Außerhalb unterwegs (Teil Zwei)

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Ich entschuldige mich schon mal vorab für die Geschehnisse, das war so nicht geplant und glaubt mir, mein Herz blutet ebenso ...

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Der Marktplatz in Rhuyasetz war immer voller Leben. Aber heute ganz besonders. Schilder mit bunten Zeichnungen priesen die verschiedensten Waren an. Die Nitarausi bewarben ihre Stoffe und Kräuter mit Tanzeinlagen. Ein Nitaru mit buschigen Augenbrauen und eine Nitara mit breiten Hüften standen eng umschlungen vor einem Stand, der hauptsächlich nitarausischen Samt verkaufte. Sie bewegten sich wie ein Körper ruckartig von einer Seite zur anderen, als würden sie von Wellen durchgerüttelt werden. Unablässig streichelten sie sich und fuhren einander über den Rücken. Die Nitara packte mit beiden Händen das Hinterteil ihres Partners und kniff fest hinein. Sie stöhnte und seufzte.

Kaleo war sich nicht sicher, ob das noch als Werbung gelten konnte oder ob sich die beiden nicht voneinander von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken ließen. Sein Verdacht verstärkte sich als die Nitara dem Nitaru sein Hemd über den Kopf zog und das Kleidungsstück zur Seite warf. Wofür sie wohl ursprünglich hätten werben sollen? Eventuell die Weichheit der Stoffe?

Kaleo wandte seinen Blick ab und begegnete dem schockierten Gesichtsausdruck seiner Mutter. Auf diesem las er, was er sich selbst dachte. Sie waren hier in der Öffentlichkeit! Doch schon kam ein Neraw auf die Nitarausi zugestapft. Seine abgebundenen Flügel zuckten unter den Bandagen. Kaleo hatte nie verstanden, wofür das gut sein sollte, denn wie die Flügel an den Körper geschnürt wurden, sah schon schmerzvoll aus. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sich das für die Neraiwa anfühlen musste. Aber ein Gesetz, das noch aus den Zeiten des Hormetoskönigs stammte, besagte, dass jeder aus dem Volk der Neraiwa, der in Rhuyasetz arbeitete, die Flügel anbinden müsste, um die eigene Arbeit sowie die der anderen nicht behinderten.

Der Neraw trug die Anstecknadel der Fanatiker gut sichtbar auf seiner Brust, der Mund mit der Feder im Mundwinkel glitzerte in den warmen Strahlen der spätmorgendlichen Sonne. Seine Tätowierungen waren allerdings nicht sichtbar. Kaleo versteifte sich und beobachtete wachsam, was der Neraw mit den unverhältnismäßig großen Lippen weiter tat. Er hatte immer noch nicht vergessen, was die Fanatiker ihm angetan, was sie ihm weggenommen hatten. Auch wenn dieser wirklich nur seinen Pflichten als Sitteneinhalter nachzukommen schien. Er drängte die beiden Nitarausi auseinander und hielt dem Mann sein Hemd hin. Dieser nahm es an sich und zog es sich wieder über. Sie begaben sich zum Stand zurück, wo sie mit dem beleibten Nitaru, der wohl den Stand führte, heftig zu gestikulieren begannen. Kaleo wandte sich gänzlich von der Szene ab und fragte: „Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?"

Kana Federlippe wies auf eine Seitengasse, deren Zugang teilweise von einem Schmuckstand der Nagror verstellt war. Immer wieder kamen Kinder aus der Gasse gerannt oder wuselten wieder hinein. Eine Gruppe junger nitarausischer Mädchen und ein Junge, Kaleo schätzte sie so auf elf Frühling, tummelten sich vor dem Stand und verfolgten seine Mutter und ihn mit Blicken. Sie kicherten. Der Nitaru streckte seine schmächtige Brust raus und zwinkerte ihm zu. Die Nitara neben dem frühreifen Verführungskünstler fuhr sich durch die Haare und zwirbelte eine Haarsträhne um ihren Finger. Selbst so junge Nitarausi gingen schon so in die Offensive, wenn ihnen jemand gefiel? Das beeindruckte- und verwunderte- ihn.

Von irgendwo erklang eine Glocke und Kaleo sah sie direkt vor sich, wie sie alt und rostig geschwungen wurde. Seine Mutter führte ihn genau auf das Bimmeln zu, das aus jener Seitengasse drang. Die Gruppe jugendlicher Nitarausi folgte ihnen. Wohin gingen sie? Hätte Kaleo raten müssen, er hätte eine Schule in der Nähe vermutet. Ein Verdacht keimte in ihm auf. Wusste seine Mutter etwa von seinen Privatstunden mit Runa? Worüber hatten sie bei der Verabredung damals alles gestikuliert? Dass seine Mutter seinen peinlichen Kosenamen verraten hatte, wusste er schon und auch wie „toll und romantisch" es mit Ilja gewesen war. Aber war seine Lehrhilfe zwischen den beiden Frauen zur Sprache gekommen? Kaleo konnte nicht sagen, warum ihn dieses Unwissen so mitnahm, da für ihn die Information keinen neuen tatsächlichen Nutzen hatte. Kaleo hatte Kana schon verraten, was er für Runa empfand. Viel mehr hatte seine Mutter es erraten. Da konnten keine bösen Überraschungen mehr kommen, weil die Federlippe, so aufdringlich sie auch als seine Mutter war, immer verschwiegen war, was die Geheimnisse ihres Sohnes betraf.

Der Klang der WorteWhere stories live. Discover now