Das Kapitel über unser Auswärtstraining

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Der Freitag war Dank der Klausur wirklich mühsam gewesen und das Wochenende ohne meine Freunde nur sehr schleppend verlaufen. Jetzt allerdings war Pfingstmontag und ich saß zusammen mit Henna und Ettie im Auto.
Primo war problemlos zu Bärchen auf den Hänger gegangen und von den beiden war nichts zu merken - also standen sie ruhig nebeneinander; kein Wackeln, kein Gejuche, kein Nichts, nur Ruhe. Das war schon mal viel wert.
Wir hatten uns darauf geeinigt, dass Ettie vorne bei Henna saß. So konnte ich in Frieden hinten noch ein bisschen lernen, immerhin war bald Notenschluss und alle Lehrer überkam die übliche Torschusspanick... Bald würde auch die Schulmeisterschaft stattfinden und dann, keinen Monat später, die Sommerferien, die ich wirklich kaum erwarten konnte. Ganze sechs Wochen in denen ich viel Zeit bei Primo verbringen konnte. Ich erhoffte mir davon auch dass wir im Training einige Fortschritte erzielen konnten und dann endlich bereit waren für den Cup.

Auf dem Platz angekommen luden wir sofort ab und Henna ging mit Ettie und Bärchen zum Ablongieren, damit der Fuchswallach sich an die fremde Umgebung gewöhnen konnte. Vorher jedoch hatte er mir in Primo Victorias Sattel geholfen. Allerdings war nicht Bärchen derjenige, der das Ablongieren benötigte...
Wir hatten an alles gedacht, nur Primo schien seine Manieren offensichtlich zuhause vergessen zu haben. Unruhig schnaubte er immer wieder und an entspanntes Schrittreiten war gerade gar nicht zu denken. Da half es auch nicht dass Ettie kurze Zeit später schon mit Canterville bei uns auftauchte. Primo tänzelte und es führte kein Weg hin zu einem ausgeglichenen Pferd.

"Henna, du musst Ettie bei dir behalten. Der ist hier heute irre." wies ich ihn an.

"Was hast' jetzt vor?" fragte er mich verwundert.

"Rennen lassen. Beruhigt sich schon."

Jetzt sah Henning mich an als wäre ich irre. "Willst du sterben? Das ist wie man stirbt!"

"Was soll er denn machen? Mich in den Dreck setzen?" fragte ich, für bessere Ideen war ich offen.

Henna zuckte jedenfalls nur mit den Schultern. Dachte ich mir... Ich trug eine Sicherheitsweste und meinen Helm. Was sollte denn passieren? Primo verdiente etwas Vertrauen und ich vertraute in diesem Moment darauf, dass er mich einfach nicht bösartig in den Dreck setzte. Also trabte ich an.
Zwar war der Hengst spanning, aber zumindest lief er nicht wie eine Giraffe und entzog sich mir somit nicht nach oben. Das gab mir ein bisschen mehr Vertrauen. Immerhin lag auch die Trense mit dem Drei-Ring-Gebiss auf, mein Ultima Ratio für den äußersten Notfall. Ich trabte ihn forsch voran.
Außer uns waren inzwischen auch einige andere Anhänger auf den Parkplatz gerollt und einige wenige Reiter ritten ebenfalls ab. Da war gerade wirklich viel Trubel und das machte etwas mit Primo Victorias Gemütszustand, doch daran musste er sich gewöhnen. Angst haben half ihm nicht da raus, außerdem tat ihm ja niemand etwas. Jedoch wurde mir in diesem Moment auch wieder zu deutlich bewusst, dass dieser Hengst noch ein junger Bursche war, der eigentlich noch nicht viel von der Welt wusste. Es war wirklich wichtig mit ihm auch Mal ins Auswärtstraining zu fahren. Wirklich, wirklich wichtig.
Immer wenn er sich ein wenig beruhigte lobte ich ihn. Nach einer Viertelstunde kam ich deshalb zum Entschluss ihn galoppieren zu lassen. Der Platz war wirklich weitläufig und ich konnte einen riesigen Zirkel anlegen. Die erste Runde lief Primo noch als wäre die Hölle hinter ihm her. Stück für Stück kam er allerdings zur Besinnung. Ich hielt derweil nur eine lockere Zügelverbindung, damit ihm bewusst wurde, dass er weg konnte, wenn er weg wollte... Und weil ich vor einiger Zeit schon die Erfahrung machen musste dass es absolut gar nichts brachte, ehr die Symptome noch verschlimmerte, wenn man versuchte dagegen zu halten. Jetzt gerade gab es ja auch die Möglichkeit ihn einfach laufen zu lassen, hier war Platz und noch gar nicht so viele Leute saßen auf ihren Pferden.
Ich wechselte durch unseren riesigen Zirkel. Den fliegenden Wechsel sprang er zwar sehr flach, aber er sprang in einem um und wir galoppierten auf der anderen Hand.

Es war nicht einfach Primo Victoria wieder ein bisschen Selbstbewusstsein zu geben, aber er beruhigte sich schlussendlich doch und wir konnten zu Henna und Ettie aufschließen.
"Jetzt kann ich sie mitnehmen." sagte ich zu ihm, während Primo unter mir ein wenig aus der Puste war.

Henning sah mich vielsagend an. "Für einen Moment hab ich echt gedacht, hier geht gleich ein Rodeo ab und dass ich vielleicht vorsichtshalber schonmal den Krankenwagen rufen sollte."

"Alles in Ordnung. Jetzt zumindest."

Wäre das also geklärt. Ich atmete erleichtert aus, auch Primo schnaufte ab. Der Siedepunkt war bei uns beiden beinahe erreicht gewesen, doch nun, wo sich die Situation beruhigt hatte, hatten wir nichts mehr zu befürchten. Es würde alles okay sein, irgendwie. Wie eigentlich immer.
Ettie ritt folgsam mit ihrem Fuchswallach neben mir her. Canterville konnte selbstverständlich kein Wässerchen trüben, worum ich dankbar war. Seine Gelassenheit übertrug sich langsam auch auf Primo Victoria.

Ein wenig enttäuscht war ich jedoch trotzdem. Das Training war eigentlich kaum nennenswert ein Training. Zwar war jemand vor Ort, der ab und an mal ein paar einzelnen Leuten etwas sagte, sich aber überwiegend mit den Ortsansässigen Reitern beschäftigte. So hielt sich Mariette einfach nur an Primo und mich. Wir trabten in Ruhe und nahmen uns dann Zeit für kleinere Baumstämme.
Ich trabte mit meinem Scheckenhengst vorne weg und warf immer wieder einen Blick über die Schulter. Die kleine Amazone hinter mir war auch ohne Trainingseinheit von außen bester Laune und trieb gerade Bärchen euphorisch zum Sprung. Zwar war der Stil noch nicht das Gelbe vom Ei, aber darum ging es auch gar nicht. Der Wallach sprang ehrlich und versuchte keine miesen Tricks, so konnte Ettie erstmal Erfahrung sammeln und sicherer werden.

"Besteht ja auch gar keine Notwendigkeit dazu hier ernsthaft mit Trainer zu trainieren." sprach ich mit meinem Pferd, während er brav galoppierte. "Ich muss mich mal locker machen, irgendwie schaffen wir das schon."
Pascal hat wahrscheinlich mit vielen Sachen Recht gehabt, vorallem mit der, dass ich uns nicht immer so jagen sollte, wenn ich nicht will, dass uns häufiger böse Fehler passieren. Primo Victoria und ich waren immerhin auf dem richtigen Weg. Da konnte ich gerade in allen Disziplinen, die mit Springen zu tun hatten, einen Gang zurück schalten. Manchmal machte meine Verbissenheit es mir selbst schwerer als notwendig. Hier und jetzt ging es doch eigentlich nur darum Primo mal eine etwas andere Umgebung zu zeigen und Ettie langsam an XC ranzuführen, oder nicht?
Der Blitz von Hennas Kamera holte mich wieder zurück ins Diesseits.

Erschrocken schüttelte ich den Kopf und fragte ihn: "Seit wann hast du denn so eine gute Kamera?"

"Ist nicht meine." erklärte der Stallbursche Schulterzuckend. "Hat mir Louise mitgegeben, damit ich auch feine Bilder von Ettie machen kann. Und dir natürlich."

Ich lachte. Hätte ich mir ja denken können dass Mariettes Mutter an alles dachte. Ein bisschen neugierig war ich auf die Frau schon. Bestimmt würde ich sie irgendwann kennenlernen.

Wir nahmen uns den Teich als nächstes vor. Doch Primo wackelte nichtmal mit den Ohren. Nur Bärchen zögerte kurz, allerdings konnte Ettie den Fuchswallach sehr wohl überzeugen durch zu gehen.
Danach machten wir eine kurze Schrittpause.

"So, Ettie," sagte ich zu Hennings Cousine, "gleich reitest du mal ein bisschen vorne weg und wir kommen hinterher."

"Okay." entgegnete sie mit einer überzeugenden Selbstverständlichkeit.

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWhere stories live. Discover now