Das Kapitel mit meiner Familie

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Den ganzen Tag hatte ich Muskelkater vom Sport gehabt, weshalb ich nur zum Longieren bei Primo Victoria gewesen war und um zwei Fleecedecken aus dem Textil-Discount dortzulassen für ihn.
Nach anderthalb Stunden war ich dann mit dem nächstmöglichen Bus wieder nachhause gefahren.
Meine Mutter stand in der Küche, sie war gerade am Abwasch beschäftigt als ich hereinkam. Gilbert leistete ihr Gesellschaft.
Kurz hielt sie inne und sah mich an. Nachdem sie meine Kleidung gemustert hatte, sagte sie zu mir: "Kannst du gleich zur Wäsche legen."

Zuerst verstand ich nicht, was sie genau meinte, doch als ich an mir runtersah fiel auch mir auf, dass ich meine gute Jeans vollgesaut hatte. Herje!
"Entschuldige, Mama." An mir nagte mein schlechtes Gewissen. "Eigentlich wollte ich gar nicht in den Stall."

Sie lachte. "Du bist deinen Großeltern so ähnlich!", dann gab sie mir einen neuen Katalog mit Reitsportartikeln in die Hand mit dem ich dann die Küche verließ und in mein Zimmer ging.
Am liebsten wollte ich ihn sofort durchblättern, doch zuerst musste ich duschen. Also eilte ich ins Bad, ich wollte ja sowieso die nassen Sachen loswerden, und dann duschte ich mich. Danach konnte ich auch endlich den Katalog aufschlagen und durchstöbern. Es gab so viele Sachen, die Primo und ich für die kommende Saison und das Training noch brauchten - meine Liste wuchs schon wieder.
Esperanza besaß all die Sachen, weil Miriam und Hans immer darauf geachtet hatten, dass der Stute nichts fehlte. Primo hingegen war nur ein Pferd von vielen in Mr. Chapmans Stall. Er hat wohl noch nicht viel Anlass dazu gegeben, dass man ihm Equipment kaufen wollte und ich selbst hatte nichts an Inventar, da ich kein eigenes Pferd besaß.
Die Sachen im Katalog sahen toll aus, doch bei den Preisen wäre mir beinahe schwindelig geworden. An Pferden ließ sich wohl ganz gut Geld verdienen, nur mit ihnen nicht. Es machte trotzdem Spaß die Sachen anzusehen.

Plötzlich vibrierte mein Smartphone und der Bildschirm leuchtete auf. Eine Nachricht von Pascal: >Skypen?<

Das kam mir sehr gelegen, ich habe schon begonnen meinen Bruder zu vermissen.
Der Laptop lag neben meine Bett und ich zog ihn auf meinen Schoß.
Nach einem Tuten ging Pascal ran: "Hi, Kurze. Na wie geht's?"

Es war schön, dass wir uns so gut verstanden. Ich konnte mit ihm über alles reden, nur tiefgründige Gespräche führten wir nahezu nie, weil er nur selten ernst dabei blieb.

Ich nickte.
"Joa, ist ganz okay. Und bei dir? Du siehst blass aus."

"Ich weiß, bin etwas krank. Ansonsten geht's. Wie läuft dein Volleyballtraining?"

"Schätze, ganz gut. Letzten Samstag waren wir nach dem Training essen bei einem Italiener, Joanne war auch mit. Wir wollen sie mit Felix verkuppeln, das ist einer aus meinem Team." berichtete ich mit breitem Grinsen.

Er lachte.
"Wer ist 'wir'?"

"Martin und ich."

"Martin... So, so. Ist das der... auf den du ein Auge geworfen hast?"

"Pascal!"

Wieder lachte er.
"Ich frage ja nur... Also war das ein Ja?"

Als ich stumm nickte fuhr er fort: "Schön. Ihr wart also essen. Trefft ihr euch jetzt jedes Wochenende?"

"Ja, bisher haben wir erstmal immer nur den Samstag geplant. Weiß noch nicht wie es weitergeht. Morgen ist es aber auf jeden Fall nochmal. Aber was anderes: wann kriege ich dich mal wieder zu Gesicht?"

"Ich komm in der zweiten Märzwoche," antwortete er zu meiner Überraschung, "und bleibe einen Monat. Dann kann ich dich auch zu ein paar Turnieren begleiten und deine bunte Kuh mal sehen."

"Cool!" jubelte ich. "Dann kannst du ja auch mit zum Volleyballtraining kommen."

"Meinen Schwager kennenlernen?"

"Argh... Pascal!" schimpfte ich, fühlte mich jedoch gleichzeitig ertappt.

"Ich mache nur Scherze. Wenn du mich mitnimmst, dann bin ich dabei."

"Wann kommst du genau, weißt du das schon?"

"Den Donnerstag gegen Mittag."

"Wissen unsere Eltern schon bescheid?"

"Nein, wird eine Überraschung - wie immer. Nescitis qua hora dominus veniet -"

"Vigilate ergo quia nescitis qua hora dominus vester venturus sit." beendete ich die Bibelstelle.

"Du bist gut." sagte er.

Aber irgendwas war anders an meinem Bruder, ich hatte ein merkwürdiges Gefühl. Vielleicht lag es daran, dass seine langjährige Freundin Schluss gemacht hat und nun mit seinem besten Freund zusammen war, oder vielleicht war es doch was ganz anderes.
Mein Handy vibrierte erneut und ich schaute auf das Display. Eine neue Nachricht. Als ich sah von wem sie war lächelte ich.

>Soll ich dich morgen mitnehmen, wenn Ev on Tour ist?< schrieb Martin.

"Oh oh, ich kenne diesen Blick." meinte mein Bruder und grinste mich vielsagend an.

"Hab eine Nachricht im Mannschaftschat." log ich.

"Ja, ja. Mannschaftschat." Er machte Anführungszeichen in die Luft. "Ich mach mich dann mal auf den Weg. Vielleicht noch ein Bierchen mit Kai trinken."

"Na gut. Macht nicht so doll." sagte ich.

"Kennst mich doch. Tschüss, Kurze."

Ich verabschiedete mich und schaltete den Laptop aus, ehe ich begann die Nachricht zu beantworten.

>Hab ich gar nicht so mitbekommen. Wo ist sie denn?< antwortete ich verwirrt. Sie hat nichtmal gesagt, dass sie nicht kann.

Kurze Zeit später antwortete Martin: >Keine Ahnung. Kommt jedenfalls aus der anderen Richtung zum Training. Hast du's noch nicht gelesen?<

>Noch keine Zeit gehabt. War noch am Skypen.<
Als ich es abgesendet hatte fiel mir auf wie das klang. Hoffentlich denkt er jetzt nicht, dass ich mit einem Typen gechattet hab. Wobei... Eigentlich sollte mir das egal sein, immerhin hat er eine Freundin.

>Sorry, hoffe ich störe nicht.< kam dann.

>Alles gut. Mein Bruder wollte eh gerade los zu seinem Kumpel. (:
Also nochmal zurück zum eigentlichen Thema: es wär super, wenn du mich mitnimmst.< tippte ich schnell.

>Oh, okay. Dann nehme ich dich morgen mit. Dein Bruder ist älter?<

>Ja, er kommt nächsten Monat zu Besuch, dann bringe ich ihn mal zum Training mit. :D Hab ihn schon lange nicht mehr gesehen.<

> ^^ bin gespannt. Wie lief deine Woche?<

>War okay. Bisschen langweilig, wenn keiner da ist. Naja. Zumindest Joanne ist ab Montag wieder da. Und du? Konntest du an deinem Skoda noch rumbasteln?<

>Bin zwar nicht so fertig geworden mit dem anderen Auto wie gewollt, aber ein bisschen Fummeln am Skoda ging noch. <

>Steht der in deinem Lehrbetrieb?<

>Jo, ich darf die Werkstatt umsonst nutzen und mein Meister guckt manchmal mit drüber.<

>Das ist nett.<

>Jup. Jetzt haben sie mir auch schon einen Arbeitsvertrag für nach der Lehre angeboten, ich denke, ich bleib dort. Aber jetzt werde ich schlafen gehen. Gute Nacht gewünscht und bis morgen. :P <

>Gute Nacht. (: <

Ich legte das Smartphone wieder auf den Nachtschrank. Unbemerkt hatte ich die ganze Zeit gelächelt. Als es mir auffiel ließ ich es bleiben. Junge, war ich verknallt...

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt