Das Kapitel mit "kein Bier vor vier"

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Es war wieder mal Samstag. Zögerlich erwachte ich. Das Licht, welches durch mein Dachfenster fiel, ließ kleine Staubpartikel in der Luft tanzen. Das letzte Wochenende war mir wie ein Traum vorgekommen, noch am Abend nach meinem Sieg und der Platzierung saßen wir in der Familie und mit Oma und Opa zusammen und hatten das Filmmaterial von meinen Ritten angesehen. Opa fand natürlich einige kleinere Fehler meinerseits in der Dressur und mein Ritt im A-Springen war stilistisch auch noch nicht astrein, aber alles in allem fiel sein Urteil positiv aus.
Das hieß, eine Hürde auf dem Weg zum Cup war genommen. Mr. Chapman und ich waren diese Woche die Liste der Turniere durchgegangen und hatten direkt genannt.
Im April hatte ich fast jedes Wochenende eins. Keine Reitertage mehr, sondern richtige Turniere.
Was wiederum hieß, dass ich jetzt samstags kaum noch Zeit für das Volleyballtraining finden würde... und dass ich viel ernster mit Primo trainieren musste. Allerdings nicht heute...
Heute war endlich wieder Zeit für meine Freunde!
Ich gähnte noch ein letztes Mal, dann schlug ich die Decke zurück und bekleidete mich.

"Wuhu, da ist ja unser Goldmädchen!" rief Eva als ich zusammen mit meinem Bruder die Yoga-Scheune betrat und umarmte mich.

"Wie sie leibt und lebt." meinte ich etwas erstickt.

Auch die anderen gratulierten mir.

"Darauf sollten wir wirklich ein Bier trinken." sagte Felix, ich sah auf die Uhr.

"Kein Bier vor vier," entgegnete ich, "und es ist gerade mal neun Uhr!"

Ein verschmitztes Lächeln huschte über Martins Gesicht als er erklärte: "Also vier Uhr morgens haben wir überschritten."

"Okay, okay. Ich geb heute Abend eine Runde aus bei unserem Italiener. Oder hat jemand was anderes vor?" gab ich mich geschlagen und blickte in die Runde.

Alle schüttelten den Kopf. Gut, dann muss ich nur noch Joanne Bescheid sagen, dachte ich.

Seit Pascal dabei war konnte immer einer Punkte zählen, also tauschten wir ständig durch.
Bis zum Mittagessen hatten wir vier Matches gespielt und waren noch fit genug um weiterzuspielen. Mir fiel zum ersten Mal auf, dass meine Körperkondition sich wirklich positiv verbessert hat. Wahrscheinlich war das aus der Kombination von Volleyball und Reitsport entstanden.

"Also reservier ich einen Tisch für 18:00 Uhr?" erkundigte ich mich bevor wir uns trennten.

"Klingt gut."

Pascal und ich liefen am Abend gemeinsam in die Stadt. Wir verzichteten dabei bewusst auf den Stadtbus und hingen unseren Gesprächen nach. Es tat gut jetzt so viel Zeit mit ihm verbringen zu können, jetzt, nachdem wir uns so lange nicht wirklich gesehen hatten. Er erzählte mir von seinen Reisen und was er verrücktes erlebt hatte. Ich beneidete ihn dafür, dass er so viel von der Welt schon kannte, während ich eigentlich immer nur hier war. In meinem behüteten Leben.

"Vielleicht fängst du erstmal klein an, mit günstigen Gebieten. Als Schüler hat man ja nicht so viel Geld." meinte er. "Ich hab mir oft gewünscht dir mal einen Flug zu bezahlen an deinem Geburtstag, dass du mit mir einige Zeit rumtingeln kannst, aber du warst noch so jung."

"Ich glaub, ich hab noch nicht den Mumm um alleine in einen Flieger zu steigen. Noch nichtmal jetzt."

"Ist fast wie Bahnfahren."

Bahnfahren konnte einen auch überfordern, vor allem wenn kurz vorher noch das Gleis geändert wird oder der Zug Verspätung hat. Da gab's viel Möglichkeiten.

Als wir an unserem Lieblingsitaliener ankamen standen die anderen auch schon davor.
Wir konnten an einem Tisch für acht Personen Platz nehmen, den ich zum Glück reserviert hatte. Das Restaurant war schon wieder gut gefüllt.
Während wir auf unser Essen warteten unterhielten sich alle angeregt. Mein großer Bruder passte voll in die Jungstruppe, wenn es um Autos ging konnte er auch mitreden. Ich lächelte ein wenig während ich ihn heimlich beobachtete wie er sich gerade mit Martin unterhielt.
Joanne und Eva wiederum verstanden sich auch ausgezeichnet. Sie waren beide vom Verhalten her ehr robuste Sorte - pragmatisch, bodenständig, aber auch ein wenig verrückt, manchmal etwas rau an den Ecken, wenn es um mädchenhafte Sachen ging. Mädchenhaft in Anführungszeichen. Meine Freunde waren schon ein toller Haufen.

Als das Essen beendet war hielt ich mein Versprechen und gab die Runde Bier für alle aus. Ich mochte Bier nicht sonderlich, aber Bier war wohl das Staatsgetränk Nummer Eins... Vor allem bei Leuten, die im Handwerk tätig waren... Und bei Fußballern... Bei Reitern... Bei Bauern... Eigentlich wirklich überall.

"Bei den nächsten Schleifen ziehe ich es vor einen Kasten auszugeben." sagte ich beim Blick auf die Rechnung, woraufhin meine Freunde lachten.

"Deal!" rief Eckert amüsiert und Felix und Martin stimmten zu.

Es war bereits dunkel als Pascal und ich uns von allen verabschiedeten um uns auf den Heimweg zu machen.
Zuerst herrschte kurzes Schweigen zwischen uns, aber es war keine unangenehme Stille. Wir gingen die Gasse entlang bis wir am Pferdemarkt  von Trier ankamen. Dann brach er das Schweigen, aber mit dem was er sagte hatte ich nicht gerechnet.
"Dein Martin ist ein toller Kerl... Wirklich. Ist schwer in Ordnung."

"B-bitte?!" fragte ich überrascht und empört zugleich. "Er ist nicht mein Martin!"

Mein Bruder schmunzelte, dann sagte er leise: "Noch nicht, Kurze..."

"Da weißt du wohl mehr als ich." seufzte ich.

"Reine Intuition." murmelte er zufrieden.

Zugegeben, mein Bruder besaß wirklich ein gutes Bauchgefühl, aber dieser Aussage traute ich nicht über den Weg. Außerdem gab es gerade andere Dinge auf die ich mich konzentrieren sollte und die verlangten meine volle Aufmerksamkeit.

"Du weißt, dass wir keine ernsten Gespräche führen." entgegnete ich um vom Thema abzulenken.

"Weiß ich. Ich wollte es nur gesagt haben. Also meinen Segen hast du."

Als wenn ich den bräuchte... Wobei... Eigentlich war es ein gutes Gefühl sein Okay zu haben. Ich schnaubte, dann musterte ich ihn von der Seite.

Er fügte hinzu: "Du musst dich wirklich nicht schämen."

Jetzt reichte es aber!
Stur fing ich an laut zu singen: "Ich bin verliebt in eine Insel, akzeptier keine Kritik! Ich bin verliebt in meine Pitchers Frau und irische Musik! Und weil es in jeder Stadt einen Pub zum Feiern gibt sag ich: Slàinte, liebes Irland, ich bin in dich verliebt!"

Mein Bruder lachte und nun musste ich auch grinsen. Ich wusste ganz genau, dass er seine Gitarre dabei hatte und es ihm jetzt in den Fingern gribbelte, weil er gerade nicht spielen konnte.

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt