1 - Rettung - Teil 3

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Wieder hatte sie nicht achtgegeben. Was war nur heute mit ihr los? Sonst war sie nicht so unaufmerksam. Aber Daniels Augen hatten sie wieder abgelenkt. Sie hatte wahrhaftig noch nie so blaue Augen gesehen. Sie wüsste einen tollen Gebärdennamen für ihn: Blauauge, denn die stachen einem wirklich direkt aus dem Gesicht entgegen. Natürlich wurden sie von der Tatsache, dass er dunkelbraunes Haar hatte, zusätzlich hervorgehoben. Immer wieder setzte ihr Herz einen Schlag aus und fing dann an, zu rasen. Ihr Magen war ganz kribbelig geworden, als er näher an sie herangerückt war, um ihr über die Schultern zu sehen, während sie tippte. Sie hatte wieder wahrgenommen, dass er so frisch wie das Meer roch und sie war froh, dass sie jetzt dazu übergegangen waren, übers Handy zu schreiben. Denn sie hätte nur noch stammeln können. Einerseits, weil ihr Mund trocken war, obwohl sie immer wieder einen Schluck des Kaffees trank und andererseits, weil er Chaos in ihrem Kopf anstiftete. Der im Moment ohnehin genug zu tun hatte, die Gebärden, die sie dachte, in Schriftdeutsch zu übersetzen.

Die Kellnerin hatte scheinbar etwas gesagt. Sie hatte nicht zugehört. Sie merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, als sie deren erwartungsvollen Blick bemerkte. Hilfesuchend sah sie Daniel an, auf dessen Mund ein sachtes Lächeln lag und er wiederholte offenbar die Worte der Bedienung.

Denn seine Lippen formten: „Möchtest du nochmal einen Kaffee?"

Zumindest dachte sie, dass sie das formten. Hilfe! Sie war gerade überfordert. Immer noch ruhte der fragende Blick der Kellnerin auf ihr und sie merkte, wie ihre Hände feucht wurden. Sonst ging sie damit anders um. Sonst war sie allerdings auch nicht so abgelenkt, gab sie zu.

Offenbar bemerkte Daniel, dass sie sich immer noch nicht sicher war, denn er tippte: „Willst du nochmal Kaffee?"

Schnell nickte sie. Sie sah, wie er jetzt die Kellnerin ansah und ihr scheinbar bestätigte, dass sie einen bestellen wollte. Scheiße. Sie war total aus dem Konzept. War das peinlich. Er musste ja denken, dass sie absolut hilflos war. Wie sie sich schämte. Sie merkte, wie ihre Hände plötzlich zitterten, und versuchte, das zu verbergen. Was ihr offenbar misslang, weil Daniel nach ihrer Hand griff und sie hielt, während seine Augen einen besorgten Ausdruck annahmen. Hilfe. Oh Gott. Sofort stoben Schmetterlinge in ihrem Magen auf und verwirrten sie noch mehr. Sowas passierte nicht. Sie war ein vernunftbegabter Mensch und sowas gab es schlicht nicht. Aber ihre Hand kribbelte und ihr war flau. Auf eine gute Art flau. Scheiße.

Sie atmete erleichtert auf, als er ihre Finger losließ und nach seinem Telefon griff, um zu schreiben: „Alles ok, Emma?"

Sie nickte, ehe sie den Kopf schüttelte, nur um dann beschämt den Kopf zu senken. Wie sollte sie erklären, was in diesem Moment bei ihr ablief? Er griff wieder nach ihrer Hand und automatisch erwiderte sie seinen Blick. Scheiße, das war nicht gut. Gar nicht. Sie hatte nur mit ihm was trinken gehen wollen. So als Dankeschön. Aber das war nicht gut.

Sie entzog ihm ihre Hand und tippte: „Entschuldigung. Hatte Blackout. Weil sie plötzlich neben mir stand und ich nicht bemerkt hatte, dass sie sich näherte. Aber bin ok. Oder so. Heute scheint nicht so mein Tag zu sein. Egal. Ich bin ok. Sonst bin ich nicht so ballaballa. Heute schon. Tut mir leid. Danke für deine Geduld. Das kenne ich so nicht. Meistens sind Hörende schnell genervt, wenn man sie nicht versteht. Oder sie sehen einen mitleidig an, als wäre man nicht ganz dicht und dumm wäre oder so. Obwohl ich mich heute ja so aufführe. Irgendwie. Ich war vorher etwas überfordert. Du musst denken, ich wäre doof, oder so."

Schnell griff er nach seinem Telefon und erwiderte: „Nein, um ehrlich zu sein, denke ich, dass du ganz schön etwas auf dem Kasten haben musst, wenn du dir das meiste zusammenrätseln musst, was aus den Mündern der Menschen kommt. Ich weiß nicht, ob ich damit zurechtkommen würde, würde mir mein Gehör fehlen. Aber das ist wohl eine Sache der Gewohnheit, oder? Wie lange bist du denn schon gehörlos? Oder sagt man taub? Was ist denn richtig?"

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