6 - Erklärungen - Teil 3

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„Hörst du jetzt noch was?", fragte er erstaunt und sie schüttelte den Kopf.

„Ich bräuchte Boxen dazu, auf die ich die Hand lege. Aber ich wollte dir zeigen, bei welchem Lied ich immer an dich denke", gab sie zu.

Er sah sie erstaunt an und steckte die Kopfhörer wieder an, setzte sie auf ihren Kopf und drehte die Lautstärke hoch.

Als sie ihn fragend ansah, gebärdete er: „Ich hör es auch so. Aber ich möchte es mit dir zusammen hören."

Emma lehnte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Sie brauchte den Text nicht zu sehen. Sie kannte das Lied auswendig. Auf ihre Weise. Sie hatte es in den letzten Wochen ziemlich oft gehört. Auch auf ihre Weise. So, wie sie eben Musik hörte. Sie spürte, wie sein Atem auf ihr Haar traf und wie seine Körperwärme auf sie überging, während sein Herz etwas schneller zu pochen begann. Sie hoffte, sie hatte sich jetzt nicht blamiert. Immerhin waren sie noch nicht lange zusammen. Und na ja, das Lied offenbarte wohl, wie wichtig er ihr war. Sie fragte sich, ob sie nicht zu schnell war. Ob sie ihn damit in die Flucht schlug. Denn ein Zusammensein mit ihr konnte sich nur kompliziert gestalten. Wie sehr hatte die Szene gestern gezeigt. Hastig schob sie die Gedanken daran fort und konzentrierte sich wieder auf den Jungen, der ihr Herz so zum Schlagen bewegte. 

Als das Lied endete, lehnte sie sich zurück und versuchte, zu ergründen, was er dachte. Er war in Gedanken versunken und wirkte verschlossen. Sie hätte es ihm nicht zeigen sollen. Es war ein Fehler gewesen, dass sie ihm offenbarte, wie sehr sie an ihm hing. Sie waren nicht einmal einen Monat zusammen und sie sagte ihm praktisch, dass er ihr Licht in der Dunkelheit war. Wie würde sie an seiner Stelle reagieren?

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Daniel sah sie an. Emma runzelte die Stirn und wirkte, als wäre sie in Gedanken. Er tippte gegen ihren Arm und ihr Kopf ruckte hoch.

„Darf ich es nochmal hören?", fragte er und Emma zog überrascht die Brauen hoch.

„Nochmal? Dachte ich, ich hätte dich jetzt verschreckt", gab sie zu.

„Verschreckt? Wieso? Wenn du bei mir bist, klingt auch für mich der Regen wie Applaus", zitierte er lächelnd den Text.

„Ich klammere also nicht zu sehr?", fragte sie und er schüttelte den Kopf.

Er griff nach dem Handy und schrieb: „Ich genieße es, wenn du bei mir bist. Wenn du da bist, fühl ich mich wohl in meiner Haut. Ich wünschte zwar, die Situation mit deinen Eltern wäre nicht wegen mir eskaliert, aber ich bin froh, dass du zu mir gekommen bist. Meine Wohnung ist zum ersten Mal ein richtiges Heim. Das ist neu für mich. Übrigens wie die Tatsache, dass ein Mädchen bei mir im Bett übernachtet. Mit dir sind viele Dinge neu und das gefällt mir. Ich lerne eine Menge von dir."

„Du lernst von mir? Das hat noch nie jemand zu mir gesagt. Aber du bist nicht der Grund dafür, dass es zwischen meinen Eltern und mir eskaliert ist. Du warst der Vorwand. Das Problem bin im Grunde ich selbst. Weil ich mich nicht damit arrangieren kann, nach ihren Vorstellungen zu leben, und ich es verschwiegen habe. Ich habe mich so sehr bemüht, ihren Ansprüchen zu genügen, dass ich nicht auf das gehört habe, was ich will. Du hast mir nur geholfen zu verstehen, dass es kein Hirngespinst ist, dass ich hören will, wie die Welt klingt. Ich habe erkannt, dass es mir wichtiger ist, als ich mir selbst eingestehen wollte. Doch ihre Reaktion auf diese Eröffnung hat mich verletzt. In ihrer Vorstellung musste logischerweise der böse Hörende den Wunsch in mir geweckt haben. Auf die Idee, dass es anders sein könnte, sind sie gar nicht gekommen. Doch ich trage den Wunsch schon so lange mit mir herum und hab mich selbst dafür fertig gemacht. Mir Vorwürfe dafür gemacht, dass ich nicht zufrieden war. Mir vorgehalten, dass ich zurechtkäme. Also wozu etwas ändern? Doch ich bin nicht glücklich damit. Das habe ich begriffen. Aber ich will ein glückliches Leben, keins, mit dem ich nur klarkomme", antwortete sie und Daniel nickte, denn das konnte er nachvollziehen.

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