8. Lichtung am See

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Meine Beine führten mich zielsicher durch den Wald zurück zu dem Ort, an dem mein Gefährte und ich uns letzte Nacht getrennt hatten.

Es war diesmal deutlich schwieriger, sich aus dem Haus zu schleichen, während Flynn in meinem Bett schlief. Ich musste erst warten, bis er eingeschlafen war und abwarten, ob er nicht vielleicht noch einmal wach wurde, bevor ich mich aus dem Staub machen konnte. Niemand durfte wissen, dass ich mich wieder im Wald rumtrieb. Erst recht nicht Flynn, dem ich versprochen hatte, nicht mehr alleine unterwegs zu sein.

Um meinen Gefährten wieder zu sehen, ging ich das Risiko meinen Bruder zu verärgern jedoch ein. Ich musste ihn wieder sehen. Musste mich versichern, dass seine Wunden genauso gut abgeheilt waren, wie meine, dass er keine stärkeren Verletzungen davon getragen hatte.

Als ich dann an der Stelle von letzter Nacht ankam, blieb ich einen Moment direkt vor der Grenze sitzen. Meine Rute schlug aufgeregt hin und her, während ich leider kein Duftnote von ihm wahrnehmen konnte. Die Hoffnung und Vorfreude allein schafften es, dass ich wedelte wie ein junger Hund.

Seltsamerweise störte es mich überhaupt nicht, dass mein Gefährte männlich war. Oder ein Alpha.

Ich hatte mir zwar immer eine taffe Beta mit kleinen, Handgroßen Brüsten vorgestellt, aber ich war dennoch kein bisschen enttäuscht. Das Gefühl, das er mir gestern gegeben hatte, während er meine Wunden geleckt hatte, war so atemberaubend und besonders, dass es mir absolut egal war, ob es ein Mann oder eine Frau war, die mir diese Gefühle bescherte. Die Hauptsache war, dass ich meinen Gefährten an meiner Seite hatte.

Dafür würde ich sorgen und deswegen war ich hier.

Ich wusste, dass unumgänglich war, dass wir ab und an aneinander gerieten. Wir waren beides Alphas, da konnte die Dominanz schon mal mit einem durchgehen. Aber irgendetwas sagte mir, dass wir drüber stehen würden.

Mit frischen Tatendrang trat ich ungeniert über die unsichtbare Grenze und bahnte mir meinen Weg durch das Dickicht. Alle Sinn in höchster Alarmbereitschaft. Doch wie gestern konnte ich auch heute keine Duftspuren aufnehmen. Es war viel zu still, sogar dafür, dass es Nacht war. Ab und zu hörte man eine Eule oder eine Maus im Dickicht, aber sonst war alles ungewöhnlich ruhig.
Ich setzte meinen Weg so leise wie möglich fort, versuchte mit Nichts Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und gleichzeitig irgendein Anzeichen auf ein Rudel zu finden.

Doch nichts.

Irgendwann kam ich auf einer kleinen Lichtung aus dem Dickicht heraus und stillte meinen Durst an einem recht breiten, aber sehr niedrigen Bach, der einen kleinen See speiste, in dem die Sterne hell widergespiegelt wurden. Der Anblick war schön, aber lenkte mich nicht davon ab, dass hier etwas einfach nur verdammt seltsam war.

Wenn es hier wirklich ein Rudel geben würde, dann hätten sie schon längst bemerken müssen, dass sich ein Eindringling in ihrem Revier aufhielt. Dann hätten sie mich auch schon längst angreifen und verjagen müssen.

Aber nichts. Es war ruhig und ich völlig allein in diesem Wald.

Ich leckte meine Schnauze trocken, ließ meinen Blick über das Dickicht wandern, dass die Lichtung umgab und stockte, als ich plötzlich eine Bewegung ausmachen konnte.

Alarmbereit begab ich mich in Angriffsposition und wartete angespannt ab, bis sich mein Gegenüber zeigte. Meine Gedanken kreisten sich darum, dass das Rudel mich nun endlich entdeckt hatte und bereitete mich schon mental auf den bevorstehenden Kampf vor. Als dann einen Moment später jedoch unverkennbar mein Gefährte aus dem Dickicht trat und seine Rute dabei sogar sanft hin und her wackelte, gab ich meine Haltung augenblicklich auf. Sofort war meine Sorge um dieses Rudel oder die Stille vergessen. Ich achtete nicht mehr darauf, ob ich mich in einem fremden Revier aufhielt oder nicht. Das einzige, das gerade noch zählte war er. Er, der nun nur wenige Meter entfernt stand.

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