35. Janus

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Ich war so furchtbar verwirrt. Mein komplettes Leben löste sich gerade vor meinen Augen einfach in Luft auf. Mein Vater war nicht mein Vater, mein Bruder nicht wirklich mein Bruder und mein Großvater nicht mein Großvater. Noch dazu hatte er, gerade der Mann, der mir immer wichtig war, einfach jahrelang ins Gesicht gelogen. Und nicht nur mir. Jedem.
Niemand wusste davon. Nur mein Großvater, meine verstorbene Mutter und nun auch ich und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Sollte ich es weiterhin für mich behalten? Sollte ich es meinem Vater... Jesper sagen?
Aber mein Großvater hatte von mir gefordert, dass ich Jesper töten sollte. Bedeutete das gleichzeitig, dass er davon auch nichts wissen durfte? Und wie sollte ich überhaupt einen Kampf gegen ihn gewinnen? Er war deutlich erfahrener und auch skrupelloser als ich. Noch dazu konnte ich mir keinen Reim daraus machen, was welche Vorteile mein Großvater angesprochen hatte. Welchen Vorteil hatte ich meinem Vater gegenüber schon?

Meine Gedanken überschlugen sich in einem rasenden Tempo, während mich meine Pfoten eilig aus unserem Revier trugen.
Ich musste einfach den Kopf frei bekommen und konnte nicht mehr länger bei meinem Großvater bleiben. Er hat nur verständnisvoll genickt und sich mit einem strahlenden Lächeln von mir verabschiedet. Offenbar erfreute es ihn, dass die Wahrheit endlich ans Licht gekommen war.

Frank war mir am Hof überrascht entgegen gekommen, als ich das Haus übereilig verlassen hatte und wollte sich noch mit mir unterhalten, aber ich ließ ihn, ohne ihm groß Beachtung zu schenken, einfach stehen. Ich konnte gerade kein lockeres Gespräch führen, dafür überschlugen sich meine Gedanken zu sehr.

Ich musste zu Janus. Das war der einzige klare Gedanke in meinem Kopf, der mich immer weiter dazu antrieb schneller zu laufen. Dass ich dabei ziemlich unaufmerksam war, war mir bewusst, aber ich hätte mich momentan nicht weniger darum kümmern können.
Eine Patrouille aus fünf Wölfen staunte nicht schlecht, als ich mit voller Geschwindigkeit an ihnen vorbei rauschte und jaulte mir freudig hinterher, da sie wohl dachten, dass ich gerade trainierte und mich weiter anspornen wollten.
Ich achtete nicht einmal wie sonst darauf, dass mich auch sicher niemand sah, wie ich die Grenze überquerte.

Beim Durchqueren von Janus Rudel, kam ich an Oscar und Nyx vorbei, die gerade auf der Jagd waren. Sie wollten mich beide begrüßen, aber auch sie ließ ich einfach stehen. Erst als ich das Dickicht erreichte, das die Siedlung von jedem verbarg, der nicht wusste, dass sie darin lag, musste ich langsamer werden, um mich durch das Gestrüpp kämpfen zu können. Als ich dann die Lichtung bereits sehen konnte, fiel mir auch direkt mein Gefährte ins Auge, der mich wohl kommen gehört hatte.

Er stand mit gespitzten Ohren nah am Gestrüpp und wartete nur darauf, dass ich bei ihm ankam. Kaum, dass meine Pfoten dann die Wiese der Lichtung berührten, kam er auch schon auf mich zu und drückte sich an meinen Körper. Ich erwiderte die Geste sofort und barg mein Gesicht zwischen seinen Vorder- und Hinterbeinen in seinem Bauchfell. In diesem Moment wünschte ich mir einfach nur eine feste Umarmung. Ich sehnte mich so sehr danach, mich einfach in Janus Arme fallen lassen zu können und damit zumindest für einen Moment der Welt entfliehen zu können. Aber dieser Wunsch würde nie in Erfüllung gehen können, deshalb musste ich mich hiermit zufrieden geben.

Er spürte, dass es mir nicht gut zu gehen schien und begann sanft über mein Fell zu lecken, um mich damit ein wenig zu beruhigen. Es zeigte Wirkung.

Zumindest bis ich im Augenwinkel Dylan auf uns zukommen sah. Direkt hinter ihm Neo, der ihm zügig hinterher trabte, damit kein allzu großer Abstand zwischen ihnen entstand. Dabei sorgte sich Neo nicht um meine Reaktion, immerhin wusste er mittlerweile, dass von mir wirklich keine Gefahr für den Omega ausging, sondern um Janus. Seit der Alpha ihrer menschlichen Form gegenüber noch abgeneigter reagierte, wollte Neo am liebsten, dass Dylan meterweiten Abstand zu Janus hielt. Dass der Omega sich daran nicht wirklich hielt, ärgerte den Beta sichtlich und dass Dylan auch noch so schnell auf uns zu eilte, machte die Situation auch nicht gerade besser.

wild wolf ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora