𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟐

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- 𝑵𝒆𝒂 -

Schon wieder war ich von einem dieser Albträume aufgewacht. Ich musste meinen Eltern beichten, dass ich mein Abitur nicht bestanden hatte. Das klingt jetzt nicht so mega schlimm, denn andere Eltern würden ihr Kind ermutigen zur Nachprüfung zu gehen, doch meine Eltern hatten mir sofort in der 11 Klasse klar gemacht, dass ich eine riesige Enttäuschung wäre, würde ich mein Abitur nicht bestehen. Ich hatte mit ihnen ein ganzes Gespräch darüber geführt, wie mein Abitur aussehen sollte. Gott sei Dank, hatte ich meinen Eltern irgendwie noch eintrichtern können, dass 13 Punkte in einer Klausur auch gut seien, denn in Chemie kam ich nie über mehr. Am Ende dieses Gesprächs stand fest, dass mein Abiturschnitt nicht schlechter als 1,2 sein durfte. Wie meine Eltern gesagt hatten: „Das ist sehr nett von uns und du wirst nicht so schnell wieder so ein großzügiges Entgegenkommen von uns bekommen. Streng dich also an, damit das alles nicht umsonst war. Denk an uns und die restliche Familie, wie enttäuscht und gedemütigt wir uns fühlen würden, wenn du das Abitur nicht schaffst.". Diese Worte hatten damals etwas in mir ausgelöst. Ich wollte keine Enttäuschung sein. Ich wollte, dass meine Familie stolz auf mich sein konnte, ich selber wollte stolz auf mich sein, ich wollte es allen beweisen und dieses Bedürfnis empfand ich heute immer noch. Immer wenn ich lernte, musste ich an die Worte meiner Eltern denken. Am Anfang habe ich es als Motivation gesehen, doch allmählich merkte ich, dass es nicht gerade das beste war. Ich setzte mich dadurch unter Druck und erlitt oft Panikattacken. Wenn ich eine erlitt, lag ich immer auf dem Fußboden und zitterte wie Espenlaub. Stehen konnte ich nicht, denn meine Knie hätte sofort nachgegeben. Mein Gesicht hatte ich immer in ein Kissen gedrückt, um den Schall meiner Schluchzer zu ersticken. Meistens lag ich für eine Stunde auf dem Boden, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Ich hatte Angst zu versagen, doch niemanden, mit dem ich darüber hätte reden können.

Da mein Kopf nun vollgestopft mit irgendwelchen Gedanken und schlechten Erinnerungen war, konnte ich nicht mehr schlafen. Ich stieg aus dem Bett, schlüpfte in meinen seidenen Morgenmantel und verließ leise das Zimmer. Auf Zehenspitzen tapste ich durch das Haus in die Küche. Dort stellte ich den Wasserkocher an und hoffte, niemanden damit zu wecken. In den Hängeschränken suchte ich nach einem Tee und entschloss mich letztendlich für einen klassischen Kamillentee. Gerade als ich den Teebeutel mit dem heißen Wasser aufgießen wollte, spürte ich plötzlich zwei starke Hände an meiner Taille. Sofort zuckte ich zusammen und stellte den Wasserkocher zurück auf die Arbeitsplatte, denn sonst hätte ich alles vollgeschüttet.

„Was machst du denn mitten in der Nacht in der Küche?", raunte er an mein Ohr und sofort bildete sich Gänsehaut auf meinem Körper. „Konnte nicht mehr schlafen", murmelte ich. „Geh schonmal nach draußen, ich komme gleich nach.", sagte er und lief aus der Küche.

Mit der heißen Tasse in der Hand lief ich auf die Terrasse, setzte mich auf eine der Liegen und stellte die Tasse auf einen der kleinen Tische neben mich. Während ich auf Thiago wartete, merkte ich erst, wie kalt es war und bereute es, nur einen dünnen Morgenmantel angezogen zu haben. Ich zog meine Beine an, schlang meine Arme um meinen Körper und versuchte mich damit etwas zu wärmen. Plötzlich stand Thiago vor mir und streckte mir eine Decke entgegen. Jetzt erst realisierte ich, wie groß er eigentlich war. Ich schätzte ihn auf mindestens 1,90 m. Wie als hätte er meinen Gedanken gelesen antwortete er: „1,91m um genau zu sein und hier, nimm die." Dankend nahm ich die Decke und legte sie sofort um meine Schultern. Da Thiago immer noch stand, rutschte ich auf der Liege etwas nach oben, um ihm Platz zu machen. Er setzte sich, legte die andere Decke über seine Beine und deutete mir an, meinen Kopf in seinen Schoß zu legen. Kurz zögerte ich, doch er sah mich mit einem so eindringlichen Blick an, dass ich es für besser hielt, ihm zu gehorchen.

Langsam fing er an mit seiner Hand über meinen Rücken zu fahren. Ich erschauderte, doch irgendwie genoss ich es auch. Die Stille, die uns umhüllte, war faszinierend. Keiner sprach oder gab irgendeinen Laut von sich. Ich starte die ganze Zeit in der Himmel und beobachtete die Sterne. Als ich kleiner war, bin ich im Sommer jeden Abend in unserer Garten gegangen und hatte mir den Sternenhimmel angeschaut. Außerdem erinnerte mich der Himmel an eine besondere Person aus meinem Leben, die viel zu früh gegangen war. Ich dachte oft an sie. Besonders in schwierigen Situationen. Ich überlegte oft, wie sie jetzt handeln würde. Es half mir. Sehr sogar, denn meine Eltern konnte ich nicht fragen. Sie waren fast immer weg und ich hatte Angst, sie würden denken, ich verstände etwas nicht, wenn ich nachfragen würde. Also tat ich es nicht.

Ich wusste nicht, wie lange wir dort so lagen. Aber langsam merkte ich wie meine Lieder schwer wurden und ich schließlich meine Augen schloss.

Sánchez || Entführt oder gerettet?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt