𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟑

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 - 𝑵𝒆𝒂 -

Aufgewühlt saß ich auf der Couch vor unserem Bett und kaute auf meiner Lippe herum. Morgen sollte die Hochzeit stattfinden. Nur wenn ich daran dachte, wurde mir vor Nervosität schlecht. Wie würde ich das morgen überlegen. Nichts wäre schlimmer, als mich vor dem Altar zu übergeben oder zusammenzuklappen. Ich hatte fast jeden Abend vor der Verlobung Thiago angebettelt mich nicht zu heiraten. Ich bin gerade mal fast 18 und meiner Meinung nach, damit viel zu jung. Generell verstand ich nicht, warum ich ihn direkt heiraten musste. Lieben tat ich ihn nicht und er mich auch nicht. Klar, er war sehr attraktiv, nett zu mir und wir hatten uns schon geküsst, aber nur deswegen heiratete man doch nicht. Thiago hatte immer nur gesagt, dass es für mich das beste sei und ich mich schnell daran und an ihn gewöhnen würde.

Ich überlegte. Vielleicht würde ich das irgendwann, aber ich wollte jemanden heiraten, den ich liebte. Früher hatte ich mir immer vorgestellt, wie ich eines Tages mit einem Mann, den ich liebte heiraten würde, eine Familie gründen würde. Doch daraus wird ja jetzt wahrscheinlich nichts. Für Thiago war ich doch sowieso nur ein Klotzt am Bein, er könnte jede haben, ins Clubs gehen, Frauen kennenlernen, die er vielleicht lieben würde. Aber nein, er holte mich, (aus einem Grund, der mir nicht schlüssig war), zu sich und heiratete mich nun.

Als es plötzlich klopfte, unterbrach ich meine Gedanken und lief zur Tür. Ich öffnete sie und erblickte Mariana. Sie lächelte und fragte: „Darf ich reinkommen". „Ehm ja klar, sorry ich bin ich bisschen durch den Wind.", erklärte ich ihr mein nicht böses gemeinte unwillkommnes Verhalten. Zusammen liefen wir zur Couch und setzten uns. Sofort nahm Mariana meine Hände und hielt sie fest in der Hand. „Ich kann verstehen das du nervös bist, das war ich damals auch, als ich José geheiratet habe. Bei mir war es ähnlich wie bei dir, nicht genauso, aber ähnlich. Wenn du willst kann ich dir etwas über meine Vergangenheit erzählen. Vielleicht nehme ich dir damit wenigsten ein bisschen die Panik.", bot sie mir an. Ich schaute ihr in die Augen und nickte. „Also, wo fang ich an. Vielleicht bei dem ersten Aufeinandertreffen von José und mir." Sie holte kurz Luft und fing dann an zu erzählen: „Meine Kindheit war eigentlich echt schön, bis ich zehn Jahre alt wurde. Ab da an stritten sich meine Eltern jeden Tag, mein Vater ging jeden Tag ins Boxstudio und meine Mutter fing an zu trinken. Sie hörte auf zu arbeiten und das Geld, was mein Vater ab und zu mal verdiente, reichte nicht mehr aus. Aber anstatt wieder anzufangen richtig zu arbeiten, häuften sich die Geldschulden immer weiter an. Ich musste mich selber versorgen, versuchte meine Schule zu beenden. Als ich dann 16 war, nahm mein Vater mich immer mal mit in den Boxclub. Nach einem der Kämpfe von meinem Vater stellte ich ihn zur Rede. Ich fragte ihn, warum er lieber im Ring kämpfte, anstatt für ein vernünftiges Leben. Er schrie mich sofort an. Da es super laut in der Halle war, bekam es Gott sei dank fast niemand mit, denn ich wäre sonst am liebsten im Erdboden verschwunden. Du musst wissen, dass ich meine Eltern nie auf ihr Verhalten angesprochen habe, und jetzt tat ich es einmal und wurde nur angeschrien. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie mich jemand auf einmal nach hinten schob und sich vor meinen Vater stellte. Er war breit gebaut, hatte viele Muskeln und trug auf seinem Rücken ein großes Wolfs-Tattoo, welches ich durch den leichten Stoff seines weißen T-shirts erkannte. Er drängte meinen Vater gegen eine Wand und brüllte ihn an. Das einzige was ich verstand, war, dass dem jungen Mann der Boxclub gehörte. Irgendwann stellten sich dann die beiden zu mir und der Mann machte meinem Papa ein Angebot. Er würde mich kaufen, für eine menge Geld. Und da meine Eltern förmlich in Schulden schwammen, nahm mein Vater das Angebot an und verkaufte mich noch am gleichen Tag an den Typen, an José Sánchez. Ich war damals 16 und José 21." 

Fassungslos blickte ich Mariana an. „Dios mío", war das einzige was ich erstmal rausbekam. Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte Mitleid mit Thiagos Mama. Meine Vergangenheit war nichts zu ihrer und trotzdem saß jetzt hier vor mir eine wunderbare starke Frau. „Du brauchst kein Mitleid mit mir zu haben. Wie du siehst, geht es mir gut. Am Anfang ging es mir wie dir, ich war völlig überfordert und sehr enttäuscht von meinen Eltern. Ich hatte gehofft, meine Mutter würde mich wieder zurück holen, aber das tat sie nicht. Ich habe seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Und das ist nicht schlimm. Früher hatte mich das traurig gemacht, aber jetzt. Ich habe meine eigene Familie gegründet, drei gesunde und wundervolle Jungs bekommen und ich liebe José sogar. Ich könnte mir keinen besseren Ehemann an meiner Seite vorstellen.", erklärte sie. „Und ab morgen werde ich eine bezaubernde Schwiegertochter haben.", schmunzelte sie.

„Glaubst du Thiago und ich werden auch glücklich zusammen oder lieben uns sogar irgendwann?", wollte ich beklommen wissen. „Das wird die Zukunft zeigen Nea, ich gehe aber davon aus.", machte mir Mariana Mut. Mit einer aufmunternden Miene schaute sie mich an. „Gib der Ehe eine Chance und zerbrich dir deinen Kopf nicht so.", flüsterte sie mir zu, denn Thiago hatte derweil das Zimmer betreten und lehnte im Türrahmen. Sie umarmte mich noch einmal kurz, wuschelte ihrem Sohn durchs Haar und verließ dann das Schlafzimmer.  

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Sánchez || Entführt oder gerettet?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt