Hinweise?

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Kapitel 4: Hinweise?


Sie betrachtete die Fotografie auf dem Kamin. Es ist ihr Vater in seiner Militäruniform, neben dem sie steht. Das rote Sommerkleid flattert in einer kühlen Brise und sie lacht. Ihre ganze Familie hatte dieses Foto auf dem Kamin stehen, weil es das schönste war.

Glücklich.

Sie war damals glücklich gewesen.

Nur Tage später änderte sich alles in ihrem Leben. Ein einziges Erlebnis und nichts war mehr so, wie es vorher gewesen war. Was hieß Glück jetzt? Würde sie jemals wieder glücklich sein?

Das Mädchen vor ihr weinte leise.

Sie strich ihr über das volle Haar, flüsterte die gleichen Lügen, die auch sie damals gehört hatte. „Alles wird gut. Schsch."

„Er hätte mich verlassen...", schluchzte das Mädchen.

„Schsch. Du musst nicht weinen." Und leise begann sie zu singen:

Es war einst ein König in Thule

Gar treu bis an das Grab,

Dem sterbend seine Buhle

Einen goldenen Becher gab..."

**


Reid betrat die Buchhandlung, die in der Nähe der BAU lag und die er schon mehrfach nach der Arbeit besucht hatte, wenn seine eigenen Bücherregale nichts Interessantes mehr hergegeben hatten. Er hatte sich nur an einzelne Zitate erinnern können und den groben Zusammenhang des Textes. Es war einfach zu lange her, dass er im Bett seiner Mutter gelegen hatte, obwohl es bereits Mittag war, und sie ihm vorgelesen hatte.

Was er an dieser Buchhandlung so sehr schätze, war die Tatsache, dass sie nicht nur normale Romane und eine begrenzte Anzahl an Sachbüchern verkauften, sondern auch ganz spezielle Bücher. Und genau nach solchen suchte er.

Seine Schritte führten ihn zwischen Fantasyromanen und Historischen Romanen durch, direkt zu der klassischen Literatur.


Der Teppichboden dämpfte jedes Geräusch und hohe Schilder zeigten neu erschienene Romane an. Obwohl die Luft nach normalen Geschäften roch, statt nach Staub und Wissen, fühlte er sich wohl. Es waren Bücher und Wissen, die die einzigen Konstanten in seinem Leben darstellten, und nirgends fühlte er sich so geborgen wie zwischen den hohen Regalen, die voll beschriebenem Papier waren.

Er fühlte, wie er ruhiger wurde, obwohl mitten in D.C. ein Mörder auf freiem Fuß war, und obwohl er merkte, dass sein Magen flau war, weil er den Kaffee zu schnell getrunken hatte. Für einen kurzen Moment lächelte er und sein Blick flog über die historischen Romane, auch wenn er sich nicht für sie interessierte.

Plötzlich prallte er gegen etwas und stolperte ein Stück zurück. Im gleichen Augenblick lag seine Hand an der Waffe. Erst dann sah er, mit wem er zusammen gestoßen war.

**


Prentiss lehnte sich im Wagen zurück und schloss für einen Moment die Augen. Ihr einziger Trost an diesem Tag war die Tatsache, dass der Fall keiner der schlimmsten zu sein schien, zumindest was die Opfer anging. Ihr Tod war nicht der Endergebnis einer langen Abfolge von Folter und psychischer Gewalt, wie sie es sonst so oft hatten.

Dann war da auch noch die Tatsache, dass Gideon die BAU endgültig verlassen hatte und sie noch keinen Nachfolger für ihn erwarten konnten, die ihre Gedanken beherrschte. Sie selbst hatte den schwierigen, aber genialen Profiler nicht lange persönlich gekannt und dennoch spürte sie seine Abwesenheit überdeutlich, wenn sie in die Gesichter der anderen Teammitglieder blickte. Hier ein Anflug von Unsicherheit, dann der Versuch, professionell zu sein und sich nichts anmerken zu lassen. Schließlich waren sie auch vorher ohne ihn ausgekommen. Nur lernte man Hilfe mit der Zeit schätzen, ebenso wie die Person, die hinter dem Profiling stand.

„Worüber denkst du nach?", unterbrach Morgan die Stille im Wagen.

„Mhm... Die Morde...", erwiderte sie die halbe Wahrheit und einem kleinen Lächeln. „Ich dachte nur... dass die Opfer wenigstens nicht lange leiden mussten. So viele unserer Fälle haben mit Psychopathen zu tun, die ihre Opfer zu Tode quälen. Dieser Fall... wenn die Täterin Mitgefühl für sie entwickelt, könnte sie einfacher zu verhaften sein."

„Nicht, wenn sie glaubt, auf einer Mission zu sein..."

**


Die junge Frau aus dem Café rieb sich die Hüfte, mit der sie offensichtlich gegen das Regal gestoßen war.

„Oh... d-das tut mir leid", stammelte Reid und Röte kroch in seine Wangen. „Ich... ich wollte nicht... Haben Sie sich etwas getan?"

„Nein, nein. Keine Sorge." Sie lachte kurz auf. „Sie können die Hand jetzt von der Waffe nehmen."

Er hätte im Erdboden versinken mögen. Auch die altbekannte Nervosität meldete sich wieder zu Wort, ließ tausend Fakten und Statistiken durch seinen Kopf wirbeln, weil sie etwas waren, was er kannte, womit er zurechtkam. Eigentlich war es eine Situation, mit der er klar kommen sollte. Eigentlich.

„Ähm, ja... Sie..." Er räusperte sich. „haben mich erschreckt."

Die junge Frau lächelte und rückte ihre Patchworktasche zurecht. „Von welcher Bundesbehörde sind Sie, wenn ich fragen darf?"

Ihre direkte Art überraschte ihn. „BAU, die Behavior Analysis Unit des FBI. Wie kommen Sie darauf, dass ich von einer Behörde bin?"

„Waffe, aber keine Uniform. Ich... naja, es lag nahe." Sie warf einen schnellen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich würde wirklich gern hier bleiben, aber... ich muss an die Uni."

„Ich könnte Sie ein Stück begleiten." Die Worte waren ausgesprochen, bevor Reid es verhindern konnte. Am liebsten hätte er sie sofort wieder heruntergeschluckt.

„BinwederFräulein,wederschön,kannungeleitnachHausegehn! Auf Wiedersehen!", lachte sie und schlenderte zur Kasse. Er blieb allein zurück und starrte ihr nach. Ihre letzten Worte stammten ebenfalls aus Faust.

**


Morgan wurde vom Klingeln des Mobiltelefons unterbrochen „Es ist Garcia. Hi, Babygirl! Was hast du für uns?" Er stellte das Handy auf Lautsprecher, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete.

„Sei mir gegrüßt, mein starker Held! Es gibt absolut keine Verbindung zwischen den Männern", begann die Technikerin in ihrem üblichen, schnellen Redefluss. Leise hörte man das Klappern ihrer Tastatur. „Charlie Nell ging auf eine Privatschule, trainierte eine Fußballmannschaft und hatte Noten, von denen ich früher geträumt hätte. Er gab Unmengen für Essen und Trinken aus, aber, angesichts seiner Figur lud er wohl oft Freunde ein. Sein Eltern sind Banker, beide hier in der Gegend geboren und ehrenamtlich in der Kirche tätig. Was für eine Bilderbuchfamilie! Sie haben keine Schulden und ein Bankkonto, bei dem man vor Neid erblassen könnte!"

„Okay." Emily hatte sich eilig Notizen gemacht. „Was hast du zu Tim Brewster?"

„Tim war das genaue Gegenteil von Charlie. Er hatte ein Stipendium in Kunst, seine Eltern sind geschieden und so schlimm zerstritten, dass seine Mutter eine gerichtliche Verfügung erwirkt hat, dass sein Vater keinerlei Kontakt zu ihnen haben darf. Was ihn anscheinend auch nicht stört, da sein aktueller Wohnsitz in Paris ist - der Glückliche - wo er versucht, sich mit der Malerei durchzuschlagen. Er ist auch noch dort. Nun gut, Tims Mutter arbeitet als Verkäuferin in einem Supermarkt in Dallas, Texas." Wieder eine kleine Unterbrechung, in der man nur das Tippen von flinken Fingern auf der Tastatur hörte. „Tim hat kaum Geld und gibt auch fast nichts aus. Seine Noten sind durchschnittlich und es sieht so aus, als würde nicht mehr viel fehlen, um das Stipendium zu verlieren...

„Nun gut, euer letztes Opfer, James Holden, hat eine Ausbildung zum Elektriker angefangen und wohnt mit einer Sue Colby zusammen. Seine Eltern sind tot, er hat nur ein kleines Einkommen und stammt eigentlich aus Brooklyn, New York. Und er lebt quasi nicht: keine Kreditkarte, kein Führerschein. Deshalb hab ich seine Freundin überprüft. Sie arbeitet in einer Buchhandlung in der Nähe des letzten Tatorts und studiert Mathematik. Ich muss ehrlich sagen, ich habe noch nie drei Opfer gesehen, die so wenig gemeinsam haben!"

Gretchentragödie [Eine Criminal Minds Fanfiction]Where stories live. Discover now