Faust

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Kapitel 7: Faust


„Okay", murmelte Hotch, den Blick auf Reid heftend. „Was wissen wir über die Botschaft?"

Reid spürte, wie sein Herzschlag kurz aussetzte, bevor es viel zu schnell weiterschlug. „D-das Zitat ist aus dem Drama Faust von Johann Wolfgang von Goethe, einem der bekanntesten deutschen Dichter des achtzehnten Jahrhunderts. Der Charakter Mephisto, der Teufel, sagt es bei der ersten Begegnung mit Faust, dem anderen Protagonisten. Es kann sich also auf die Gelehrtentragödie oder auf die Gretchentragödie beziehen..."

JJ hob eine Hand und unterbrach ihn so. „Spence, worum geht es in dem Drama. Die Kurzfassung bitte. Du bist hier der Einzige, der es kennt. Oder?"

Er seufzte kurz auf. Eine weitere Frist, bevor er gestehen musste, dass er nichts wusste. „Das ist so...


„Mephisto wettet mit Gott um Fausts Seele, dass es ihm gelingen wird, Faust dem Bösen verfallen zu lassen. Faust verzweifelt währenddessen über die Beschränktheit der Menschen und findet keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Nach den Naturwissenschaften versucht er sich in Magie, doch auch damit kommt er nicht weiter und wird nur durch das Erklingen der Osterglocken vom Selbstmord abgehalten. Am Tag darauf bietet Mephisto, der in Gestalt eines Pudels erscheint, Faust übermenschliche Kräfte an, falls dieser ihm dafür die Seele verspricht und im Jenseits dient. Mephisto soll die Seele erhalten, sobald Faust sein Ziel erreicht hat und zum Augenblick sagt: 'Verweile doch! Du bist so schön!'

Mephisto möchte Faust zum Glück bringen durch Erfahrung und nicht durch Erkenntnis. Es ist eigentlich ziemlich interessant, wenn man sich die Bewertungen von Rationalismus und Empirismus ansieht, die hier verglichen werden... Erst seit Kant, übrigens auch ein Deutscher, gibt es in der Philosophie..."

„Reid! Faust. Nicht Kant, es sei denn, er hat einen Gastauftritt!", rief ihn Morgan zur Raison.

„Okay... okay", unterbrach sich Reid, bevor er mit immer mehr Enthusiasmus fortfuhr: „Es folgt ein Rundgang durch die Welt der sinnlichen Freuden im Auerbachs Keller, was Faust jedoch abstoßend findet. Dann wird er verjüngt und trifft auf Gretchen, in welches er sich verliebt. Faust kann sie für sich gewinnen. Um sie ungestört besuchen zu können, besorgt Mephisto einen Schlaftrunk für ihre Mutter, der sie jedoch tötet. Gretchen wird schwanger.

Das ist es auch, was man die Gretchentragödie nennt. Der Teil mit der Wissenschaft wird allgemein als Gelehrtentragödie bezeichnet.

Ihr Bruder Valentin will sich rächen, er wird jedoch von Faust mit Hilfe Mephistos erstochen. Faust wird von Mephisto in der Walpurgisnacht zum Hexensabbat mitgenommen.

In der Zwischenzeit hat Gretchen, um der Schande zu entgehen, ihr Kind ertränkt und wird deswegen als Kindesmörderin zum Tode verurteilt. Faust will sie mit Mephistos Hilfe vor der Hinrichtung befreien. Gretchen lehnt Fausts Hilfe ab und akzeptiert den Tod als Strafe für ihr Vergehen und übergibt sich dem Gericht Gottes." *


„Wir haben also zwei Anhaltspunkte. Die Gelehrten- und die Gretchentragödie", fasste Hotch zusammen. „Aber die Gelehrtentragödie fällt aus. Wenn sie etwas erfahren wollte, hätte sie mit den

Männern experimentieren müssen und das können wir durch die Empathie, die sie empfindet ausschließen. Diese Gretchentragödie... was hat es damit genau auf sich?"

„Faust verliebt sich in Gretchen, kommt ihr durch Mephisto näher, veranlasst sie dazu unwissentlich ihre Mutter zu töten. Gretchen wird schwanger, tötet das Kind und wird dann selbst zum Tode verurteilt", antwortete Reid. „Aber auch das passt nicht. Würde sie Frauen töten, dann könnten wir davon ausgehen, dass sie ein Bild von Gretchen tötet, aber sie bringt Männer um und identifiziert sich mit Mephisto. Dazu würde nur der Typ Valentin passen... aber wir haben keine Hinweise darauf, dass die Männer so konservativ sind, dass sie ihre Schwester verurteilen würden, wenn sie abtrieben, oder?"

Prentiss schüttelte den Kopf. „Dazu findet man nichts in den Akten."


Er nickte und schlag die Arme um sich, als wolle er sich selbst schützen. Sein Wissen hatte versagt, etwas das noch nie zuvor geschehen war. Der Zusammenhang blieb ihm verborgen, völlig im Dunkeln. Faust war ein Buch mit sieben Siegeln. Das erste Buch, das ihm sein Innerstes vergab, ihm nicht erlaubte, zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie Goethe es geschrieben hatte.


Wenigstens war er jedoch nicht der Einzige, der zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen war. JJ kaute auf ihren Lippen, bevor sie sich eine Strähne aus der Stirn strich. Seit sie zurück im Büro war, hing sie am Telefon, doch ihrer Mine nach, hatte sie nichts erreicht.

Seine Annahme bestätigte sich, kaum dass die blonde Agentin aufgestanden war: „Tim Brewster war unbeliebt gewesen. Wechselnde Beziehungen, nur eine Frau besuchte ihn öfter als eine Nacht." Sie öffnete ein Bild. „Carolyn Sanders, Lehrerin an einer Grundschule, ohne Vorstrafen. Ich habe sie noch nicht persönlich erreicht, weil sie im Krankenhaus liegt. Wegen einer Abtreibung... Brewsters Sachen wurden schon an seine Mutter geschickt, die sich weiter, zu kooperieren. Ich werde mich aber darum bemühen, dass wir wenigstens seinen Computer bekommen. Außerdem habe ich mich mit James Holdens Freund verabredet und in Erfahrung gebracht, wo Charlie Nells Freundin zur Schule geht. Emily, vielleicht können wir uns morgen darum kümmern?"

„Gern", antwortete die Schwarzhaarige.

„Nun gut" Hotch nickte knapp. „Dann machen wir für heute Feierabend. Ruht euch aus . Morgen will ich neue Ergebnisse sehen."

**


Grelle Lichter malten bunte Kreise auf die Wände, Tische und Barhocker und zuletzt auf die Tanzfläche.

Sie kümmerte sich nicht darum.

Es war ihr 'Vorspiel auf dem Theater'.

Die Diskussion, was ein gutes Drama aus machte. Was ihr Drama ausmachte.

Spaß hatte sie keinen mehr, doch war er das, was die anderen hier zu finden glaubten. Dramatik und Tragödie waren die Inhalte ihres Lebens, ihres Auftritts auf der Bühne der Welt, geworden. Seit damals.

Ihr Blick glitt suchend durch den Raum, studierte jedes Gesicht sorgfältig, bis sie den fand, den sie suchte.

Ein Gefühl der Übelkeit stieg in ihr auf, zerfraß ihre Gedanken, bis nur noch Zorn blieb.

Geschaffen aus einer nie verblassenden Erinnerung.

Ein letztes Durchatmen. Ein letztes Sammeln.

Dann zupfte sie ihren Ausschnitt zu Recht und setzte ein kokettes Lächeln auf.

Aufreizend schritt sie in ihre nächste Schlacht.

Mit der Gewissheit, erneut zu siegen, ohne dass es sich nach einem Sieg anfühlen würde.


* Quelle: http://www.cdrnet.net/kb/data/de_goethe.asp

Gretchentragödie [Eine Criminal Minds Fanfiction]Where stories live. Discover now