Zu viel

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Kapitel 9: Zu viel

Hotch goss sich einen starken Kaffee ein, bevor er in sein Büro zurückkehrte. Nachdem Morgan die Leiche gefunden hatte, war auch seine Nachtruhe vorbei gewesen. Dabei war es ihm absolut nicht Recht, zu nächtlicher Stunde das Haus verlassen zu müssen. Jack hatte seit einigen Tagen schon Bauchschmerzen, was Haley und ihn nachts sowieso schon wachhielt, wenn er immer wieder weinend aufwachte. Hotch machte sich Sorgen und hätte die Tage lieber zu Hause verbracht, doch der Job rief. Wie so oft.

Seufzend ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder, bevor er die Berichte über das neuste Opfer durchging. Dennis Grey war einundvierzig Jahre alt und Germanistikprofessor an der Georgetown-University, zweimal geschieden, herzkrank und einmal verhaftet, wegen eines Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht. Kurzum, er sprengte nun endgültig den Rahmen der Viktimologie. Es gab keine körperliche Verbindung mehr und auch keine gesellschaftliche. Es war, als suche die Täterin sich wahllos Männer heraus.
Hotch schüttelte den Kopf. Er würde darauf hoffen müssen, dass Prentiss und JJ etwas von den Freundinnen erfuhren, was ihnen weiterhalf. Oder Garcia den springenden Punkt in Erfahrung brachte.

Als nächstes ging der erfahrenste Agent den Autopsiebericht Greys durch. Auch in ihm fand man Blauen Eisenhut, jedoch war die Dosis nicht tödlich. Tödlich war der Stoß ins Herz. Der nicht zu ihrem Modus Operandi passte. Es war zum Verzweifeln.

**Reid versuchte seine Atmung möglichst flach zu halten, während sie in der völlig überfüllten U-Bahn standen und so dicht aneinander gepresst waren, dass er jeden von Julianas Herzschlägen spürte. Was seinen eigenen Herzschlag zu Höchstleistungen trieb. Längst war ihm das Blut in die Wangen geschossen, doch es gab keinen Platz, einander auszuweichen.Juliana hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte abwechselnd ihn und die Decke an. Wenn er nur wüsste, was in ihr vorging! Wahrscheinlich hätte er es ohne größere Probleme herausfinden können, wäre es ihm möglich gewesen, auch nur einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen. Oder wenigstens einen der sehr klaren Gedanken festzuhalten, bevor er sich in einen wilden Kampf mit Fakten und psychologischem Grundwissen warf, das sich absolut nicht mit dem Fall sondern eher mit zwischenmenschlichen Beziehungen befasste.„Können Sie mir verraten, warum Sie mich dazu brauchen, einen Fall zu lösen?", fragte Juliana leise, was nur dadurch möglich war, dass ihr Mund gefährlich nahe an seinem Ohr war. Ein Schauer überlief ihn und erschwerte ihm das Antworten.„Der Fall hängt mit Goethes Faust zusammen, mehr kann ich Ihnen erst im Hauptquartier sagen", antwortete er, den Fehler begehend, ihr in die braunen Augen zu sehen. Mit einem kleinen 'Klick' setzte sein Denken für einen Moment aus.Er war kein Mann, der die Aufmerksamkeit von Frauen auf sich zog. Sein Fachgebiet waren trockene Zahlen und Fakten, was die meisten Menschen abschreckte oder schlicht langweilte. Wahrscheinlich würde Juliana den Blick auch nur solange erwidern, bis er wieder einen seiner hoch intelligenten Kommentare abgab, die zwar tatsächlich intelligent waren, aber eben auch uninteressant. Eine Frau, die einen derartig individuellen Stil hatte und dann auch noch Musik studierte, würde wohl kaum Gefallen an ihm finden. Vielleicht war ein anfängliches Interesse da, jedoch würde es wohl schneller vergehen wie der Reiz seiner Nerven, die das Kribbeln ausgelöst hatten, als er ihren Atem an seinem Ohr gespürt hatte, gebraucht hatte, um sein Gehirn zu erreichen.Julianas Mund verzog sich zu einem kurzen Lächeln, doch ihr Blick blieb unschlüssig. Etwas, das sich nicht ändern sollte, bis sie wieder in Quantico ankamen.**Juliana nagte an ihrer Unterlippe, so wie sie es auch früher schon zu oft getan hatte, wenn sie sich fehl am Platz gefühlt hatte. In der weitläufigen Eingangshalle des FBI-Gebäudes kreuzten unzählige, dunkel gekleidete Menschen ihren Weg und musterten sie mit einem Stirnrunzeln.Normalerweise war sie auf fragende Blicke und Ablehnung vorbereitet. Das war der Preis, den man zahlen musste, wenn man sich entschloss, gegen den Strom zu schwimmen. Seit sie ihren Schulabschluss in der Tasche hatte, hatte sie nur wenige konservative Outfits in ihrem Kleiderschrank – obligatorische Blusen und schwarze Hosen für die Auftritte mit dem Universitätsorchester, einige Jeans, wenn ihr danach war und mehrere schicke Kleider für Dates und andere Veranstaltungen – sonst hatte sie versucht, ihren eigenen Stil zu finden, ein Mittelding aus orientalisch, Hippie und europäisch-mittelalterlich. Nun hätte sie lieber eines der langweiligen, spießigen Kleider getragen, einfach um weniger aus der Menge zu stechen.Dies war nicht ihre Welt und sie fühlte sich beobachtet, beinahe verfolgt.Ganz anders Spencer. Er hatte deutlich an Selbstbewusstsein gewonnen, seit sie durch die Türen getreten waren. Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen und nun traute er sich sogar, ihr einen kurzen Seitenblick zu zuwerfen. Während der beengten U-Bahnfahrt war er sogar noch schüchterner gewesen als bei ihrer gestrigen Begegnung im Buchladen. Juliana hätte nicht gedacht, dass das überhaupt noch möglich sei.Obwohl vielleicht gerade darin der Reiz bestand, ihn näher kennen zu lernen... sie wusste es noch nicht.„Reid!", ertönte eine weibliche Stimme hinter ihnen. Eine schlanke, schwarzhaarige Frau kam ihnen mit großen Schritten hinterher. „Heute Nacht gab es ein neues Opfer. Morgan war vor Ort, aber die Täterin war schon verschwunden, als man den Mann fand. Sie hat ihren MO geändert und... Wer sind Sie denn?"Der Blick der Schwarzhaarigen war zu Juliana gehuscht und anschließend zu Spencer, wobei sie die Augenbrauen überrascht anhob.Juliana erwiderte den Blick, doch es führte absolut nicht dazu, dass sie sich in irgendeiner Art und Weise wohler fühlte. Die Frau, zweifellos eine weiter Agentin, passte in das Bild, das sie sich in den vergangenen zwei Minuten gemacht hatte. Das Kostüm war sicherlich schrecklich teuer gewesen, saß dafür aber perfekt und der sichere Stand, den sie in den hochhackigen Schuhen hatte, war beneidenswert.„Das ist Juliana McAllen. Juliana, das ist Special Agent Emily Prentiss", stellte Spencer sie einander vor, die Arme um sich schlingend. „Miss McAllen kann uns vielleicht bei den Botschaften weiterhelfen."Die beiden Frauen nickten sich zu, doch der interessierte, lauernde Ausdruck war nicht aus Agent Prentiss' Miene verschwunden. „Weiß Hotch darüber Bescheid? Du weißt, dass wir Außenstehenden gewöhnlich keinen Einblick in unser Fälle gewähren dürfen."Julianas Mundwinkel zuckten ärgerlich. „Ich kann auch sofort wieder gehen. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass Doktor Reid mich nicht um Hilfe gebeten hätte, wüsste er einen anderen Weg, eine Verbindung zu Ihrem ominösen Fall und einem der besten Dramen, die ich bislang gelesen habe und ich könnte mir vorstellen, dass das mehr sind als Sie..."Sie unterbrach sich im letzten Moment. Die Situation wurde ihr zu viel. Die ganzen Menschen, die sie drei inzwischen aufdringlich musterten, besonders, da sie ihre Stimme wütend erhoben hatte, machten sie nervös. Ihre mühsam erarbeitete Selbstsicherheit, die sie noch im Café an den Tag gelegt hatte, konnte sie nur auf bekanntem Terrain aufrecht halten. In Mitten dieser streng wirkenden Agents bröckelte sie und wurde daraus die altbekannte Abwehrhaltung, die sie eigentlich hatte ablegen wollen.„Emily, ich kläre das mit Hotch. Bitte... ich... ich komme mit den Botschaften allein nicht zurecht", murmelte Spencer, sich vorsichtig zwischen die Fronten tastend. Seine Wangen waren erneut gerötet und der Blick wurde wieder unsicherer.„Auf deine Verantwortung... Hotch hat übrigens eine Lagebesprechung um ein Uhr angeordnet. Ich hoffe, dass wir bis dahin Ergebnisse vorweisen können... die Medien belagern uns schon", antwortete Agent Prentiss und stöckelte davon.

Gretchentragödie [Eine Criminal Minds Fanfiction]Where stories live. Discover now