Zwölf: Und wenn sie nicht gestorben sind..

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KÖNIGREICH WREVORA

CHION

Götter, bitte lasst mich nicht zu spät kommen.

Chion hetzte die dunklen Flure von Blaubarts Anwesen entlang. Blaubart, der Neva entführt hatte und dessen Name sich von dem seiner Vorfahren nicht unterschied.  

Wie konnte ich auch nur eine Sekunde glauben, dass Neva wirklich in diesem Zimmer ist?

Er Narr war direkt in Blaubarts Falle getappt, obwohl er es durch das Weltenbuch hätte besser wissen müssen. Es gab nur einen einzigen Ort in diesem Schloss, in dem Neva nun sein konnte: der verbotenen Kammer des Ritters, die gleichzeitig der Ort all seiner grausigsten Taten war.

Hektisch sah Chion sich um. Die Zeit lief ihm davon. Jede Sekunde, die er mit Suchen verbrachte, lieferte Blaubart Möglichkeiten, Neva Schmerzen zuzufügen. Er musste den Ritter also irgendwie dazu bringen, den Standort der Kammer zu verraten. Durch das Weltenbuch wusste Chion lediglich, dass diese sich unterirdisch befinden musste. Das Anwesen war jedoch riesig und die Gänge wie ein Labyrinth- einige Türen führten ins Nichts und viele Gänge endeten in einer Sackgasse- sodass er bisher nicht fündig geworden war.

Ohne weitere wertvolle Zeit zu verschwenden, schwang Chion seine Waffe und stieß diese direkt in die schwarzen Wände des Hauses. Er hatte massiven Stein erwartet, doch stattdessen gaben die Wände nach und sogen seine Waffe hinein. Instinktiv riss Chion die Lanze zurück. Als hätte er dadurch etwas ausgelöst, strömte auf einmal Kälte durch ihn hindurch. Bei einem prüfenden Blick zurück auf die Wand stockte er. Die Stelle, an der er mit der Lanze in den Stein gestoßen hatte, war mit einer dicken Eisschicht von mehreren Zentimetern bedeckt.

War ich das?

Das Haus reagierte wie ein verletztes Tier. Die Wand zog sich zusammen und stieß ein unerträglich knirschendes Geräusch aus- es klang wie Knochen, die aneinander rieben.

Er hatte Recht gehabt; die dunkle Magie lebte schon so lange an diesem Ort, dass sie sich unwiderruflich mit dem alten Gemäuer verbunden hatte. Tief unter dem Haus hörte er eine Tür ins Schloss fallen. Sofort wirbelte Chion auf dem Absatz herum und steuerte direkt auf die großen Säulen neben der Treppe zu.

Ich werde nicht warten, bis dieser Irre mich findet.

Im Schatten der Säulen machte sich Chion an den Abstieg.






NEVA

Der Druck des Metalls nahm stetig zu, und dann.. hörte er plötzlich auf. Anstatt mich nach den antiken Methoden indigener Völker qualvoll umzubringen, ließ Blaubart fluchend von mir ab und stürmte zu seiner Folterbank. Von dort nahm er sich zwei der größeren Messer und rannte damit Richtung Ausgang.

Im letzten Moment schien er sich an mich zu erinnern.

"Bleib ja wo du bist Hexe!", brüllte er über seine Schulter, dann war ich alleine.

Selbst in dieser schrecklichen Situation konnte ich ein gedankliches Augendrehen nicht unterdrücken. 

Wie soll ich bitte weglaufen?

Chions Sarkasmus färbte anscheinend langsam auf mich ab.


Der höllisch brennende Schnitt an meiner Seite holte mich allerdings schnell zurück in die Realität. 

Ich muss hier raus und zwar sofort. 

Mit einer längst verloren geglaubten innerlichen Entschlossenheit, sammelte ich meine letzten Kräfte. Ich ließ sie all die Schmerzen beiseite schieben; all die schrecklichen Gefühle niederringen und mich auf diesen Moment zu konzentrieren. Ich atmete bewusst in einem langsameren Rhythmus- in einem überaus interessanten Buch hatte ich einmal über die beruhigenden Wirkungen verschiedener Atemtechniken gelesen. Die einfachste davon machte ich mir nun zu Nutze. 

The Fairytale Of A WitchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt