Das Ritual des Prinzen

Kapitel 4: Die Rettung

Stumm liefen die zwei nebeneinander, Iyan war in dieser lauen Sommernacht nach schweigsamen Wandern zumute. Ein Blick in Sawakos Gesicht verriet, dass auch sie eine angenehme Stille bevorzugte. Nur der Ruf der Nachteule hallte zwischen den Baumkronen hin und her, Iyan überlegte, wonach er wohl rufen könnte. Vielleicht suchte er auch jemand wichtiges?

"Eure Hoheit?", lenkte Sawako mitten in seinen Gedanken die Aufmerksamkeit auf sich. Der junge Prinz richtete den Blick auf sie. "Ich wollte nur sagen, es könnte sein, dass wir erneut in das Schloss müssen. Fühlt ihr euch bereit dazu?" Der verachtende Ton der letzten Tage war gänzlich aus ihrer Stimme verschwunden. Er war sich sicher, dass sie nichts gegen Iyan hatte, dass sie das nur aus Sorge um ihren Bruder sagte. Mit einem Mal machte sich ein Gefühl der Schuld in ihm breit.

"Ich... Ich weiß nicht. Aber ich schulde es dir", erklärte er, was Sawako dazu brachte ihren Gesprächspartner verwundert anzusehen. "Immerhin konntest du wegen mir nicht weg." Sein Blick senkte sich und er schaute auf seine Füße. "Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass mit Pascal etwas passiert ist..."

"Es wird ihm nichts passieren", verkündete Sawako, mit wilder Entschlossenheit. Trotz der fortgeschrittenen Dunkelheit erkannte er ein kleines Feuer in ihren dunklen Augen. Bereits im Schloss konnte er Zeuge ihrer geballten Zerstörungskraft werden, und da ging es "nur" um ihn. Wie würde sie sich verhalten, wenn es um ihre Familie ging? Er würde es bald miterleben.

Scheinbar brauchte es nur diese Worte, um das dünne Eis zu brechen, plötzlich fanden sie noch viel mehr Gesprächsthemen. 

"Na ja, und seit meine Mutter schon früh starb, bildete unser Vater uns im Kämpfen aus; Pascal mit Pfeil und Bogen und mich im Schwertkampf. Er war der Auffassung, wir müssten uns ergänzen, so als Geschwister." Sawako hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, in ihrem Kopf spielten sich allerlei Szenen mit ihrem Bruder und ihrem Vater ab. "Und was ist mit euch? Habt ihr etwas zu erzählen?", fragte die Schwarzhaarige, und blickte den Prinzen von der Seite an.

Iyan wand den Kopf schnell dem Himmel zu. Mit einem Mal schwang sein Gemüt wieder um. Er dachte, das Thema würde ihm nicht mehr so nahe gehen, wo er sich jedoch geirrt hatte. "Mein Vater und ich hatten keine starke Bindung zu einander", gab er zu, stierte jede Wolke einzeln an, als ob sie ihm mehr Antwortmöglichkeiten vorschlugen. "Es... war sehr einsam. Meine einzigen Freunde waren die Katzen im Schlosshof." Nun richteten sich seine Augen auf die einzelnen Äste, die unter seinen Füßen bei jedem Schritt knackten. "Na ja, und Askar, zumindest dachte ich er wäre ein Freund."

Mit einem Mal wurde die Luft um die beiden schwer und stickig, Sawako kaute verlegen auf ihrer Unterlippe herum, und schaute sich zwischen den Baumkronen um. "Katzen sind meine Lieblingstiere", lenkte sie nach einigen Sekunden des Schweigens ein und schenkte Iyan ein aufmunterndes Lächeln, welches der Prinz direkt zurück gab.

Für einige Minuten herrschte Schweigen, bis Sawako aus heiterem Himmel die flache Hand auf seinen Mund presste, um ihn möglichst schnell zum Schweigen zu bringen. Gerade wollte er sich wehren, da erkannte er ihren konzentrierten Blick, der suchend die Gebüsche abscannte. Nun hörte auch er, was Sawako aufgefallen sein musste. Hufgeklapper. Dieses Geräusch kannte er aus dem Schloss nur zu gut. Waren das etwa Feinde? Bevor er einen weiteren Gedanken formen konnte, wurde er grob in eines der Gebüsche geschubst, gefolgt von Sawako, die wachsam Ausschau hielt.

Iyan schluckte heftig, und seine Hände begannen zu zittern. Er vertraute der Kämpferin vor sich, sogar mehr als sich selbst vermutlich, und dennoch hatte er Zweifel. Natürlich hatte sie ihn vor einigen Tagen gegen fast zwei Dutzend bewaffneter Kämpfer verteidigt, doch dort war der Gang hell erleuchtet, und sie hatte den Überraschungseffekt auf ihrer Seite. Würde sie auch in der pechschwarzen Dunkelheit solch eine Trefferquote vorweisen können, wie in jener Nacht?