Kapitel 7: Flucht aus dem eigenen Lager

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Panische Stimmen, die durcheinander riefen. Das schellende Geräusch von Glocken. Das war es, was Iyan vernahm, als er langsam zu sich kam. Einzelne Stimmen konnte er ausmachen, wie die von Pascal und der kleinen Maya, die unaufhörlich auf ihn einzureden versuchten. Doch diese klangen erstickt, als wäre er unterwasser. Auch die Gesichter der beiden waren verschwommen und nur schwer zu erkennen. Alles schien so weit entfernt, nur eines bekam in Iyans Kopf seine Aufmerksamkeit. Das Klingen der Glocken.

"Vater... Ich muss ihn suchen..."

"Mutter könnte noch da sein..."

Die Sätze sprudelten nur so zwischen nuschelnden Lippen heraus, wobei Iyan selbst gar nicht zu bemerken schien, was er da redete. Sein Körper zuckte ständig, doch kein Finger rührte sich, so wie er es wollte.

Vor seinen Augen sah er wieder die brennenden Pfeile, das Feuer, das vom Himmel regnete. Ein heller, wolkenverhangener Himmel war es, man roch, dass Regen bevor stand.

Sein Vater, mit einem Pfeil im Bein, nicht mehr in der Lage zu flüchten. Abermals fand sich Iyan in dieser hilflosen Situation. Um seinem Vater das Leben zu retten war er zu schwach, um alleine zu flüchten, zu schwach, um die fliegenden Angreifer zu bekämpfen, zu schwach. Das einzige, was ihm übrig blieb, war auf andere zu vertrauen.

"Vater... Vater...!" Sein Schrei blieb leise, und verklang mit der Zeit im Tumult.

"Ich glaube, er erinnert sich an das Schloss, wenn er so nach seinem Vater ruft", vermutete Pascal, mutmaßlich. "Da gab es auch Glocken für den Notfall. Vielleicht hört er die."

Die kleine Maya, die gerade in seinem Gesicht herumtippte, schaute zu ihm rauf, in seine gläsernen Augen, die den bewusstlosen Iyan besorgt musterten.

"Das ist nicht deine Schuld, Passi!", sagte sie mit ihren großen, unschuldigen Äuglein, während die die Arme auf ihre Knie stützte. Die hellen Augen des Jungen richteten sich auf. Maya grinste ihn aufmunternd an. "Du bist so cool, das kann nicht deine Schuld sein!"

Er schmunzelte für einen Moment, ehe er sich auf den inzwischen vom Regen durchnässten Boden fallen ließ und den Blick wieder auf den schlafenden Mann richtete. "Ich fürchte, eine Mitschuld trage ich schon. Ich hatte Chris vertraut. Wenn das überhaupt sein Name war." Er schüttelte langsam den Kopf. "Getäuscht von einem Asneaner. Sawa wird daran schwer zu kauen haben." Ein tiefes Seufzen ging über seine Lippen.

"Wir können dann. Es sei denn, du willst dich noch weiter unterhalten."

Von Schuldgefühlen geblendet hatte Pascal gar nicht bemerkt, wie seine Schwester und an ihrer Seite die jung wirkende Ärztin. Er nickte hastig. "Natürlich! Lass uns gehen! Eh, Maya, wir sehen im Dorf wieder! Bis dann!" Zum Abschied drückte er ihre Kinderhand einmal fest zu, ehe er sie hinter sich ließ. Auf dem Rücken trug Sawako den Prinzen, noch immer von fürchterlichen Erinnerungen geplagt.

Ohne einen letzten Blick zurückzuwerfen, verließen sie das Lager Richtung Süden. So hatten es die obersten Räte noch vor einigen Monaten geplant. Nachdem der Prinz gerettet war, würden sie eine Weile im Lager verweilen, um für den Nachhauseweg Kraft zu tanken. Sollte etwas schiefgehen, sei es ein unverhoffter Angriff oder ein Unwetter, so würden die Alarmglocken erklingen, und jeder würde in Gruppen von 4 oder 5 in eine für jeden individuell festgelegte Richtung ausscheren. Auch bei der Gruppenfindung würde es feste Regeln geben. Die Person, die für den Prinzen verantwortlich war, würde auch in seiner Gruppe sein, genauso wie Lucia, die Ärztin der Mission. Ein direkter Weg in der großen Gruppe wäre zu gefährlich, zu hoch das Risiko, weitere Angreifer lauerten irgendwo.

Der Weg führte sie durch den Wald, es wurde schnell stockfinster, doch handliche Fackeln erhellten den Flüchtigen den Weg über knackende Äste und Blätter. Keiner sprach ein Wort, noch zu frisch war der Schock, dass sie vom vorsichtig ausgeklügelten Notfallplan Gebrauch machen mussten. Dieser Plan gab den Angehörigen der Rettungsmission ein sicheres Gefühl, zu wissen, was zu tun war, sollte etwas passieren, doch wäre es jedem Recht gewesen, auf dem einfachsten Weg wieder zu Hause anzukommen.

Das Ritual des PrinzenKde žijí příběhy. Začni objevovat