zehn

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Der Arm war tatsächlich gebrochen, was mich zwar nicht wirklich wunderte, dafür aber umso schlimmer für Cas war, auch wenn er das nicht zugeben wollte. Aber wenn man schon den gesamten Unterkörper nicht bewegen kann, muss ein eingegipstes Bein doppelt so schlimm sein.

Sie mussten einen Schnitt nähen, dann bekam er einen Verband um den Arm und durfte schon am nächsten Tag wieder nach Hause.

Die gesamte erste Woche saß er auf seinem Zimmer und tat eigentlich nichts, wie mir Mar berichtete, mit der ich dafür aber täglich telefonierte.

Ich wollte auch vorbeikommen, aber davon riet sie mir ab, denn ihr Vater war der Einzige, der das Zimmer normalerweise betreten durfte.

Und der hatte erzählt, dass Cas pausenlos las. Nach der zweiten Nacht hatte Mars Mutter gemerkt, dass ein paar ihre Bücher fehlten.

Mar hatte den Verdacht, dass Cas sie sich in der Nacht geholt hatte, weswegen sie am heutigen Morgen bei mir angerufen und mich gebeten hatte, dass ich aufbleiben sollte, damit sie mich nachts anrufen konnte, was sie dann auch tat.

"Shhh", war das Einzige, das ich hörte, dann klapperte es und ich hörte ein angestrengtes Keuchen, gefolgt von einem scheppernden Geräusch.

"Er kommt wirklich", raunte Mar in den Hörer, dann war es absolut still.

Ich hörte entfernt das leise Knistern und Rauschen von Buchseiten.

Urplötzlich klickte es - wahrscheinlich ein Lichtschalter - und Mar schrie: "Ha!"

Es polterte, dann hörte man ein erschrockenes Ausatmen von Cas und dann rauschte es.

"Warum telefonierst du?", fragte er schließlich beachtlich ruhig und sachlich.

"Grace!", schrie Mar voll kindlichem Stolz und es rauschte erneut, gefolgt von übernatürlich lauten Atemgeräuschen.

"Halt mir das doch nicht so an den Mund, Mar", zischte er verärgert und ich vermutete, dass er ihr das Telefon aus der Hand nahm, denn seine Stimme klang klarer, als eben. "Grace?"

"Hi", sagte ich leise, weil ich mich irgendwie dümmlich fühlte.

Er seufzte.

Ich schwieg.

"Tut mir leid, dass Mar dich wachgehalten hat."

"Ich bin freiwillig wachgeblieben, Mar hat damit nichts zu tun", erwiderte ich pikiert, und konnte einen leisen Vorwurf in meiner Stimme nicht unterdrücken, weil er es nicht einmal für nötig gehalten hatte, mich über seine Lage zu informieren.

"Okay", meinte er entschuldigend.

Ich wollte gerade etwas erwidern, da wurde mir furchtbar übel, von einem Augenblick auf den Anderen.

"Ich muss auflegen, Schlafmangel und ich hatte zum Abendbrt...-" ich kam nicht mehr dazu, ihm zu erklären, was ich zum Abendbrot gegessen hatte, denn mein Mageninhalt suchte sich unbarmherzig seinen Weg nach oben und ich übergab mich gerade noch so in meinen Mülleimer.

"Hast du d-..." Bevor er etwas sagen konnte drückte ich den roten Hörer und saß dann für ein paar Sekunden völlig fassungslos da, verwundert und geschockt über mich selbst, bis ich kopfschüttelnd aufsprang um etwas zu trinken. Als sich mein Magen wieder beruhigt hatte, wusch ich den Mülleimer aus und beschloss, die Geschichte einfach zu vergessen.

Cas hatte sowieso erstmal selbst ein bisschen was zu beichten und sich zu entschuldigen, bevor er irgendwas über mich sagen konnte.

Und er sagte nichts, allerdings auch nichts, das annährend einer Entschuldigung gleichkam.

MauerblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt