vierzehn

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Seit ich wieder zur Schule ging, hatte ich es mir angewöhnt, unablässig irgendwelche Dinge auf die Ränder meines Blockes zu kritzeln, nur um sie danach hastig durchzukritzeln und zu hoffen, dass niemand sie gesehen hatte.

Ich hatte das vorher nie getan und ich war wirklich nicht gut darin, aber irgendwie lenkte es mich von meinen Mitschülern ab, die inzwischen von meinem Krankenhausbesuch und dem nicht ganz so glorreichen Grund desgleichen erfahren hatten.

Es gab zwei grundliegende Reaktionen: die erste war Verachtung.

Ich stellte sie vorwiegend bei Mädchen fest, an den herabschauenden Blicken, dem Geflüster und den ziemlich eindeutigen und in den meisten Fällen nicht einmal wirklich lustigen Trinkerwitzen.

Aber damit kam ich eigentlich ganz gut zurecht. Das unscheinbare Ziergras im Blumenstrauß hatte sich eben zur Diestel entwickelt.

Die zweite Reaktion machte mir weit mehr zu schaffen. Die billigen Anmachversuche.

Mindestens fünf Typen, die bis vor einer Woche nicht einmal meinen Namen gekannt hatten, hatten mich auf dem Weg zu den Klassenräumen, an meinem Schließfach oder sogar während des Unterrichts angesprochen, mit diesem ekelhaften schmierigen Grinsen und dieser selbstgefälligen Stimme, die man nur benutzt, wenn man sich seiner Sache vollkommen sicher war.

Und ich konnte sagen, was ich wollte, immer schenkten sie mir einen Blick der quasi schrie „Ich weiß, dass du es willst". Aber ich wollte „es" ganz und gar nicht.

„Grace", rief mich Mr. Novak, ein in die Jahre gekommener, grimmiger Typ, der eigentlich Professor gewesen war, nun aber aus mysteriösen Gründen an der Highschool unterrichtete mich auf, wahrscheinlich in der Hoffnung, ich hätte nicht aufgepasst.

Ich senkte den Kopf in mein Buch und überflog schnell das letzte Zitat, welches wir besprochen hatten.

„Mütter lieben ihre Kinder mehr, als Väter es tun, weil sie sicher sein können, dass es ihre sind."-Aristoteles

„Ich möchte nicht bezweifeln, dass Aristoteles ein genialer Philosoph war, allerdings denke ich nicht, dass man die Liebe zu einem Kind daran beurteilen kann oder sollte, ob man es geboren hat. Außerdem ist seine Aussage nicht mehr wirklich zeitgemäß, da es heutzutage ja Vaterschaftstests gibt.", antwortete ich.

„Sie spricht da aus Erfahrung", flüsterte irgendjemand, gerade laut genug, dass alle es hörten und der Lehrer es trotzdem ignorieren durfte.

„Danke", grummelte Mr. Novak, „Anmerkungn?"

Ich schüttelte leicht den Kopf, um nicht zu betroffen auszusehen und wendete mich wieder den sehnigen Schultern irgendeiner Person zu, die ich zu zeichnen versuchte.

„Sieht hübsch aus", flüsterte Wanda, die wie in so gut wie jedem Fach, das wir zusammen hatten, neben mir saß.

Mein Blick streifte kurz ihr Gesicht, um zu prüfen, ob sie sich über mich lustig machte, dann huschte er schnell wieder zurück auf das Papier.

„Willst du mich beleidigen?", fragte ich sarkastisch.

„Nein" Sie klang erschrocken. Die Arme.

In Gedanken seufzte ich, dann sah ich wieder zu ihr auf, rollte mit den Augen und schenkte ihr ein gezwungenes Lächeln. „Danke"

„Bitte", antwortete sie und beugte sich wieder über ihr eigenes Blatt.

Mr. Novak nahm mich kein zweites Mal dran, auch wenn ich mich ein paar Mal meldete - wahrscheinlich ging es ihm immer noch gegen den Strich, dass ich beim ersten Mal die Antwort gewusst hatte und gerade, als ich den kompletten Rand sorgsam vollgezeichnet und dann wieder übermalt hatte, klingelte es.

Wanda und ich waren die ersten, die den Klassenraum verließen, weil es einfacher war, als sich in peinlicher Untätigkeit zwischen Freunden und Pärchen und Gruppen von Menschen hindurchzuschlängeln, die sich umarmten und lachten und redeten.

Seit die Schule wieder begonnen hatte, fuhr ich bei Wanda mit und sie brachte mich nach Hause.

Sie hatte es angeboten - ob aus Mitleid oder weil sie eine wunderbare Persönlichkeit war wusste ich nicht, aber es war nicht wichtig.

Ich, die nicht ganz so edelmütige Person die ich war, hatte abgewogen was weniger nervig sein würde - ein Schulbus voller kreischender Schüler mit grottigem Musikgeschmack und dem merkwürdigen Verlangen ihn dem ganzen Bus zu präsentieren oder Wandas silberner Kleinwagen, leiser Musik aus den Achtzigern und ein wenig Smalltalk.

Letzteres schien ertragbar.

Und eigentlich war es wirklich ganz okay.

Wie jeden Tag lud Wanda ihre Schultasche auf der Rückbank ab, während ich meine auf dem Schoß behielt.

Ich schaltete zögerlich das Radio an, fragte höfflich ob ich den Sender verstellen konnte und stellte den einzigen ein, der uns Beiden gefiel - eine Mischung aus Classic Rock und Klassikern aus der Popbranche.

Wanda fuhr vorsichtig wie immer, fragte nach meiner Englischnote, einer Zwei, bevor sie mich später, als es möglich gewesen wäre, aber früher, als es der Bus getan hätte, Zuhause absetzte.


„Was zur Hölle ist das?"

„Ein Ghettoblaster"

„Wo hast du bitte einen Ghettoblaster her?"

Cas zuckte die Schultern, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. „Hab ich halt"

Stirnrunzelt hielt ich ihm das hölzerne Gartentor auf und half ihm, den Rollstuhl an einem riesigen Blumenkübel, den meine Mutter neu gekauft haben musste, vorbei zu wuchten.

„Wusste ich gar nicht", erwiderte ich.

Er zuckte erneut mit den Schultern und lächelte schief. „Hatte noch nie das Gefühl, der wäre wichtig"

„Aber jetzt?", fragte ich.

„Aber jetzt.", bestätigte er.

„Warum ausgerechnet jetzt?"

Ich wusste nicht, was mit ihm los war, aber er wirkte glücklich und irgendwie fast wie ein Kind, mit seinen leuchtenden Wangen und den frech funkelnden Augen.

„Weil Mar ihn haben wollte"

„Ja und?"

„Hat gesagt, ich benutze ihn nie."

Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Na jetzt benutze ich ihn eben."

Ich schüttelte den Kopf. „Weißt du überhaupt, wie man den benutzt?"

„Ich weiß wie man ihn auf der Schulter trägt und dabei unglaublich cool und retro aussieht, wenn du das meinst" Mit den Worten parkte er den Rolli und hob den Ghettoblaster auf seine Schulter.

Ich pfiff durch die Zähne, immer noch ohne mir ein kleines Grinsen verkneifen zu können.

Er grinste zurück. „Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie man da Musik rausbekommt."

Ich umrundete den halben Rollstuhl, ging federnd in die Knie.

Eigentlich kannte ich mich mit solchen Dingern auch nicht aus, also drückte ich einfach ein paar Knöpfe, bis sich ein Fach öffnete.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf und setzte mich auf seine Knie, sonnte mich einen Moment lang in seinem verwirrten Blick.

„Du weißt, das man da was reintut?"

„Hm. Nein"

„Tut man."

„Oh" Er zog die Augenbrauen zusammen, rümpfte die Nase und starrte einen Moment lang nachdenklich auf das dunkelgrüne Gras. „Hm"

Er war wohl der einzige Mensch der ganzen Welt, bei dem das überhaupt nicht dämlich wirkte, dafür aber unglaublich niedlich.

„Nächstes Mal", sagte ich, beugte mich schwungvoll vor, küsste ihn auf die Wange und wurde puterrot als ich seinen Blick auf mir spürte und realisierte, was ich getan hatte.

MauerblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt