fünf

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Nachdem ich die Schule endlich hinter mich gebracht hatte, was nicht gerade einfach gewesen war - wir hatten eine Biologiearbeit geschrieben für die ich 1. nicht wirklich gelernt hatte und 2. hatte ich mir die ganze Zeit Gedanken über Männerhosen gemacht - überredete ich meine Mutter mich früher vom Tisch aufstehen zu lassen, ohne beim Abräumen helfen zu müssen.

Zuerst stürzte ich unter die Dusche und trat zehn Minuten später mit babyweicher Haut, trockenen Haaren und ein bisschen belämmert aus dem Badezimmer. Schließlich wusste ich nicht, wann Casper überhaupt kommen würde, dass hatte er nämlich auch vergessen, mir zu sagen. Und wahrscheinlich hatte er es auch nicht als sonderlich wichtig empfunden. Also arbeitete ich am Anfang die Dinge ab, bei denen es peinlich oder nicht gerade vorteilhaft war, gestört zu werden. Und dieser Plan erwies sich als ziemlich klug, denn kurz vor drei Uhr nachmittags klingelte es an der Tür.

Ich atmete kurz durch und befahl mir, cool zu tun. Nicht ohne mir vorher noch einmal über die Haare zu streichen, lief ich durch den Flur, um ein Gespräch zwischen Casper und meiner Mutter möglichst kurz zu halten. So lieb ich sie auch hatte - sie war verdammt peinlich. Und zwar nicht auf irgendeine lustige Art oder so. »Siebzehn«, sagte Casper an der Haustür.

Meine Mum murmelte etwas.

»Was?«, fragte Casper.

Das heißt ‚Wie bitte', zitierte ich meine Mutter in Gedanken. Überraschenderweise schien sie es nicht für nötig zu halten, ihn darauf hinzuweisen. Entweder sie verzieh es ihm - was unwahrscheinlich war, oder sie hatte vor, mich später damit zu konfrontieren.

Stattdessen lachte sie leicht pikiert. Ich bog um die Ecke und stand im Wohnzimmer. Das Bild, das sich mir bot, war merkwürdig, anders ist es nicht zu beschreiben. Casper in schwarzer Jeans und einem verwaschenem T-Shirt mit V-Ausschnitt machte eine ziemlich imposante Figur, denn selbst in seinem Rollstuhl war er nicht viel kleiner als meine Mutter. Diese dagegen stemmte sich in den Türrahmen als wäre sie dort festgewachsen und machte keine Anstalten Casper hereinzubitten, der ihr seinerseits fast auf die Zehenspitzen rollte. »Hey«, sagte ich und lächelte angespannt, obwohl ich mich und Casper am liebsten von hier auf jetzt in das Shoppingcenter teleportiert hätte.

»Hallo«, sagte Casper, dann blickte er meine Mutter an und fragte mit vollkommen erster Miene: »Könnten sie sich vielleicht dazu herablassen, mich hereinzubitten? Es ist kühl draußen.«

Wie vom Donner gerührt starrte meine Mutter ihn an, dann machte sie einen monotonen Schritt nach links und ließ den Rollstuhl ins Wohnzimmer rollen. Ich seufzte leise auf, senkte den Kopf und ging durch den Raum, wohl wissend, dass die Meinung, die meine Mutter von Casper haben musste, nun völlig negativ war. »Na?«, meinte er gut gelaunt als ich zwischen den beiden stand.

»Wir können los«, raunte ich und hängte mir meine Handtasche und eine Jacke über die Schulter, bevor ich bestimmt die Griffe des Rollstuhls packte und ihn genauso schnell wieder hinausschob, wie er hineingekommen war.

Wortlos schloss meine Mutter die Tür hinter uns. Wortlos steuerte ich ihn über die Straße, auf den Bürgersteig gegenüber und marschierte dann geradewegs in Richtung U-Bahn-Station.

»Ich glaube, sie mag mich«, verkündete Casper ohne Notiz von meiner offensichtlichen Genervtheit zu nehmen.

»Sie hasst dich«, sagte ich ungerührt, was leider der Wahrheit entsprach, soweit ich das beurteilen konnte.

»Autsch«, er drehte sich zu mir um, zuckte theatralisch zusammen und zog eine Grimasse, »Das tat weh«

Ich schluckte und versuchte ernst zu gucken.

Ein verschmitztes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.

Ich lächelte und drehte beschämt den Kopf weg, nur um dann nochmal zu lächeln.

MauerblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt