elf

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Die Sonne schob sich kriechend über den graublauen Himmel und schickte zögerlich ein paar Strahlen durch die schwere Wolkendecke, was zwar angesichts der winterlichen Jahreszeit eine ziemliche Überraschung war, aber eine schöne.

Schnee war noch nie mein Ding gewesen, weder zu Weihnachten, noch zu irgendeiner anderen Zeit im Jahr.

Trotzdem - gegen die bitterliche Kälte kam die Sonne in ihrem kläglichen Versuch, den Frühling einzuläuten, nicht an.

Ich nahm die nackten Hände an den Mund, blies etwas warmen Atem in die Handflächen und rieb sie dann aneinander, damit meine Finger nicht kalt wurden.

Zur Not hatte ich zwar immer noch kirschrote Handstulpen, die einst meiner Mutter gehört hatten, sich dann aber vor zwei Jahren samt allem, was nicht braun oder grau war aus ihrem Kleiderschrank verabschiedet hatte.

Ich wusste selbst jetzt nicht, warum meine Mutter den Farben abgeschworen hatte, aber ich hatte meinen Nutzen daraus ziehen können.

Erst, als ich den Kopf in den Nacken legte und unwillkürlich gegen den blendend hellen Himmel anblinzeln musste, bemerkte ich, vor was für einem Haus ich stand. Es war ein Stockwerkbau, einzelne Wohnungen, viele Klingelschilder.

Mein Blick wanderte zu eben diesen nur um festzustellen, dass ich keine Ahnung hatte, wie Toby mit Nachnamen hieß.

Was solls.

Ohne groß zu überlegen - ich hätte ja eh nur raten können - drückte ich auf den, der mir am wahrscheinlichsten vorkam.

Toby Collins. Das klang doch nach etwas.

Und bei dieser Meinung blieb ich, auch noch als ich schließlich wirklich vor Tobys Wohnungstür stand, nachdem ein extrem gesprächiger, in die Jahre gekommener Exsoldat namens Collins mich dort hingeführt hatte.

Doch erst, als ich mit beiden Füßen auf der gelben Fußmatte stand wurde mir klar, was ich tat.

Ich hatte nicht in alte Muster zurückfallen wollen. Tat ich das etwa gerade?

Toby war älter. Bestimmt Mitte Zwanzig. Allerdings war er freundlich gewesen. Er hatte mich eingeladen. Und er hatte mich nicht abgewiesen, so wie Cas es getan hatte, obwohl ich mich Monate lang nicht bei ihm gemeldet hatte.

Wenn es unagenehm wird, geh, ermahnte mich die Stimme in meinem Kopf und mit einem Kloß im Hals hämmerte ich gegen die Tür.

Es dauerte nicht lange, bis sich Schritte nährten. Federnd und recht zügig, bis zwei undeutliche, schwarze Schatten unter dem Türschlitz auftauchten.

„Grace?" Seine Stimme klang nur gedämpft durch das dunkele Holz und sie klang etwas weniger tief als am Telefon, aber trotzdem war sie unverkennbar, die Geschmeidigkeit. Wahrscheinlich hätte er alles nur Erdenkliche sagen können, bei ihm klang es unschuldig, die Worte perlten von seinen Lippen und schwebten leicht und aufrichtig in den Raum, wie winzige, weiche Daunen.

„Ja", erwiderte ich.

Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht und der Blick in die Wohnung gab sich vor mir frei.

Viel Zeit oder Muße, die Umgebung zu bestaunen hatte ich jedoch nicht, denn Toby, der noch größer wirkte, wenn er aufrecht stand, umarmte mich fest und kurz und bat mich dann herein, indem er die rechte Hand mit sanftem Druck auf meiner Schulter ruhen ließ.

„Es tut mir leid wegen eben", murmelte er, damit beschäftigt, mir die Mütze vom Kopf zu ziehen, „Ich hatte echt nicht gedacht, du meldest dich nochmal."

Bevor ich etwas antworten konnte, zog er bestimmt am längeren Ende meines Schals und ich machte zwei Umdrehungen um das hässliche Ding loszuwerden.

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