zwanzig

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Dieses Kapitel widme ich der Person, die dafür gesorgt hat, dass ich es schreibe. Also, falls die "Dedicate"-Funktion funtioniert. Ja, ich meine dich, Wattpad. 


Natürlich lief ich nicht ins Krankenhaus. Das hatte ich von dem Moment an gewusst, an dem die Tür hinter mir zugefallen war. Allerdings hätte ich wahrscheinlich gegenteilig geantwortet, hätte mich jemand danach gefragt. Denn Etwas wissen und sich Etwas eingestehen waren zwei unterschiedliche Dinge und das war eine Tatsache, die meine Schritte zielsicher aus unserem Wohnviertel hinaus und danach an der Hauptstraße, die zum Krankenhaus führte, entlang lenkte.

Und während ich lief, die Schultern gegen die Kälte anziehend, die sich quälend langsam unter meine Strickjacke schlich und sich darunter festbiss, versuchte ich nicht nachzudenken. Sobald meine Gedanken sich aus ihren Verstecken hervorkämpften und ihre von mir angelegten mentalen Fesseln abzuschütteln wagten, überlegte ich mir, in welcher Farbe ich meine Nägel lackieren wollte, welches Buch auf dem sich immer weiter auftürmenden Stapel auf meinem Nachtisch ich als nächstes lesen wollte und als alles nichts mehr half, versuchte ich mich zu erinnern, was ich am vorigen Tag zu Mittag gegessen hatte.

Kartoffelbrei, dachte ich und sah auf, nur um zu erkennen, dass es inzwischen gänzlich düster war und nur die immer gleichen Silhouetten der vom Staat gepflanzten Bäume, die ihre armseligen Äste wie die knochigen Finger vernarbter Hände in den pechschwarzen Himmel streckten noch an das Bild erinnerten, das sich mir durch die Fensterscheibe des alten Lada meiner Mutter eingeprägt hatte.

Und in diesem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich vor Nagellack, Büchern und Kartoffelbrei jegliche Bereiche meines Gehirns, die sich um meine Orientierung kümmern sollten vollständig blockiert hatte, stürzte mein instabiles Gerüst aus Lügen, Gedankenfesseln und absurden Plänen in sich zusammen.

Ich begriff, dass ich nicht zum Krankenhaus laufen würde. Nicht nur, dass ich den Weg alleine nicht finden würde – ich würde nicht vor Mitternacht ankommen.

Cas würde schlafen, friedlich in seinem Krankenhauszimmer, mit Mar oder seiner Mum an seiner Seite und vielleicht würde er von mir träumen. Aber ein wahrhaftiges, frierendes, verwirrtes Ich, dass wie begossen in der Lobby stand und auf seine Krankenschwestern einredete würde ihm nicht im Geringsten helfen.

Und das lustige war, je genauer ich mir die Situation vorstellte, in die ich mich hineinbringen wollte, desto unrealistischer schien sie mir.

Also tat ich das einzige, was mir einfiel: ich rief Toby an.

Nicht, weil ich ihm so sehr vertraute oder so, sondern einfach, damit ich niemanden anrufen musste, der mich gut kannte. Den ich gut kannte. Der mich damit aufziehen würde, oder mir Moralpredigten halten würde.

Was Toby dachte, war verhältnismäßig unwichtig. Außerdem glaubte ich nicht, dass er jemand war, der andere schnell verurteilte.

Er nahm ab, schon nach dem zweiten Piepen.

„Grace? Bist du es, Grace? Oder hat irgendein Arsch dir das Handy abgenommen?"

„Nein", erwiderte ich, um letztere Frage zu beantworten, „Ich meine doch. Ich meine... ich bin ich und ich hab mein Handy."

Ich konnte sein Stirnrunzeln beinah durch den Hörer hindurch sehen.

„Hör zu, ich hab was Dummes gemacht."

„Dumm-dumm?"

Jetzt lag es bei mir, die Stirn zu runzeln. „Keine Ahnung"

Ich hab meine Jungfräulichkeit, ne Million Dollar und meine Katze an 'nen verheirateten russischen Rentner verloren-Dumm oder Ich hab mich mit meinem Lehrer angelegt und er will meine Eltern anrufen-Dumm?"

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