verdammt nackt

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Feste steuert er seine Gedanken auf die nächsten Worte die er sagen will, aber immer als er seinen Mund öffnen will, wird er von dem starken Braun, das ihn wunderschön aus Juliens Augen anstrahlt, gestoppt. Julien sieht so ahnungslos aus, was er auch ist. Aber wenn Rezo es jetzt sagen würde, wie würde er ihn dann anschauen? Würde er ihn überhaupt noch als Kumpel haben wollen?

Angst vor Juliens möglichen Reaktionen durchfluten ihn. Wie wird er danach wohl von ihm denken? Wird er ihn überhaupt noch mögen? Rezos Herzschlag steigt und jetzt öffnet er nur seinem Mund, um seine Lunge schneller mit Sauerstoff füllen zu können. Was ist wenn er es nicht sagt und einfach irgendetwas anderes erwähnt? Er kann seinen Herzschlag schon bis in seine Ohren hören. Wenn er einfach mit etwas leichterem anfängt, nichts über seine Gefühlslage preis gibt und einfach seinen hässlichen Unterarm zeigt. Mit großen Augen mustert er Juliens Gesicht und sofort steigt ihm Hitze ins Gesicht. Was macht er eigentlich hier?

Schnell sinkt er wieder seinen Blick auf seine Hände wie sie in Juliens liegen, um den stechenden braunen Augen zu entfliehen. Er will seine Gefühle nicht gestehen. Der Druck, den Julien mit seinem Starren unabsichtlich auf Rezo ablegt, steigert sich und plötzlich fühlen sich seine Hände gefühllos an, als ob sie betäubt worden sind und nur noch sein unregelmäßiger Herzschlag ist darin zu spüren.

Ohne nachzudenken, nur mit dem Hintergedanken seine Gefühle nicht gestehen zu müssen, löst er seine rechte Hand vorsichtig aus Juliens Griff und verwundert schaut Julien ebenfalls hinunter. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen umgreift er den langen Saum seines Pullis. Er hat sie noch nie jemanden, ohne dass sie übermalt waren, gezeigt. Das wird jetzt schwer werden, aber er muss da durch, er hat jetzt schon angefangen.

Kurz hält er in seiner Position inne, atmet schwer ein und wagt einen kurzen Blick hoch zu Ju, der seine Augenbrauen besorgt zusammen zieht, bevor er langsam den Stoff über sein Handgelenk und schlussendlich auch den Unterarm zieht. Ein angeekelter Gesichtsausdruck breitet sich auf Rezos Gesicht aus.

Sie sind hässlich, genauso runzlig und rötlich verfärbt wie immer. Er hasst es sie anzusehen, es zieht ihn immer noch weiter in den Selbsthass rein, den er so oder so schon auf sich selbst hegt. Und jetzt ist es nicht nur der Selbsthass, der ihn erdrückt, jetzt beschäftigt ihn auch noch das Gefühl von Julien, wie er jetzt alles sieht. Rezo fühlt sich nackt, so verdammt nackt, als würde dieser Arm jeden seiner Gedanken, die er in dem letzten Jahr hatte, zeigen. Warum hat er das nur gemacht, hätte er nicht einfach die Gefühle gestehen können? Das wäre doch so viel einfacher gewesen.

Doch als er gerade seine Augen schließen will, um nicht länger diesen Anblick dulden zu müssen, legt sich etwas warmes und doch leicht raues auf die wunde Haut an seinem Arm. Es sind Juliens Finger, die behutsam über seine Haut fühlen und jeden Zentimeter der langen Schnitte so sachte, wie Rezo es sich niemals erträumen hätten konnte, entlangtasten. Ein angenehmes Gefühl breitet sich in ihm aus und seine Muskeln entspannen sich ein wenig, als ob Julien ihn mit dieser leichten Berührung beruhigt.

Er versteht nicht, wieso Julien das macht. Er versteht nicht, warum Ju diese hässlichen Flüsse an Selbsthass auch überhaupt nur anfassen will. Kurz lässt Rezo seine Augen noch über Juliens Finger wandern, die gerade vorsichtig der längsten und ältesten Narbe folgen, bevor er sie aus Schmerzen und Erinnerungen schließt.

Juliens Augen bleiben währenddessen jedoch offen, nicht aus Ekel oder Abscheu wie Rezo es von ihm erwarten würde, viel mehr aus Überraschung, weshalb Rezo so etwas sich selbst zugefügt hat, Sorge, warum Rezo sich das angetan hat oder immer noch antun, und Reue, weil er für Rezo nicht da war.

Als Julien jede Narbe abgetastet hat und sich mit der Überwältigung des Gefühlschaos in sich drinnen endlich abgefunden hat, wandert sein Blick wieder hoch auf den gesenkten Kopf von Rezo. Er würde ihm so gerne nehmen, was ihn so sehr bedrückt. Er würde ihn so gerne von diesen Gedanken befreien, die er haben muss, sich selber so etwas anzutun. Ihm tut der Anblick von den Tränen unter Rezos Augen weh, als ob ihm jemand in den Bauch getreten hat.

bittersüß - juzoWhere stories live. Discover now