nichts schlimmes

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Sein Kopf pocht und es fühlt sich an als würde jemand auf seinen Schläfen Schlagzeug spielen, aber nicht nur wahllos mit den Schlagern herum fuchteln, sondern genau wissend wo es gerade am meisten weh tut und mit voller Kraft zu schlagend, so dass ihm sogar fast schwindelig wird. Blinzelnd öffnet der Braunhaarige seine verklebten Augen, doch nur um die grelle Sonne reinzulassen, die den geübten Schlagzeugspieler nur noch mehr motiviert, drauf zu hauen. Schnell presst er also seine Augenlider wieder aufeinander. Die Sonne ist viel zu hell dafür, dass es morgens sein soll.

Schmerzhaft stöhnt er auf, wodurch ein raues Gefühl seinen Hals flutet und auch keine Anstalten macht, wieder zu gehen. Er fühlt sich scheiße. Einfach kaputt und in keinem Fall ausgeschlafen. Er wagt den zweiten Versuch, seine Augen zu öffnen. Und wieder wird er von der viel zu hellen Sonne begrüßt. Aber gekonnt schluckt er die kommenden Kopfschmerzen runter und konzentriert sich stattdessen auf die Situation, der er begegnet.

Durch die aufkommenden Fragen, aber auch immer noch wegen den Kopfschmerzen zieht er seine Augenbrauen in Falten und stützt sich in eine sitzende Position hoch. Er befindet sich auf dem Boden, neben Glasscherben, wenn man den Saustall neben ihm Aufmerksamkeit schenkt. Aber nicht auf irgendeinem Boden, sondern in seinem Wohnzimmer vor der Couch. Ihm ist kalt, es fühlt sich an, als hätte er in einem Kühlschrank geschlafen.

Und erst als seine Augen über die Couch fliegen, kommen alle Erinnerungen mit voller Wucht zu ihm zurück, dazu begleitet von noch mehr Kopfschmerzen. Beschützend schlingt er seine Arme um seine Knie und rollt sich wieder wie ein Ball zusammen. Er lässt den Abend von gestern noch mal Revue passieren, doch heute lassen die Erinnerungen keine Träne mehr seine Wangen runterkugeln. Sein Gesicht sieht aus, als würden die Gedanken an Rezo ihn kalt lassen und nicht ins Geringste berühren. Doch das ist nur seine Fassade, die einen zu gerne fehl leitet, denn innerlich zerbricht er daran. Er kann es nicht fassen, dass er Rezo geküsst hat. Dieses Gefühl, das er da im Bauch hatte, hat ihn so gut fühlen lassen. Er kennt das Gefühl, aber schon lange konnte er es nicht mehr so intensiv spüren. Doch es war nicht das einzige, das seinen Körper bei jedem Kuss durchströmt hat und eine Gänsehaut krabbelt seinen Rücken runter, als er sich an das andere Gefühl erinnert. Er will gar nicht wissen, wie es sich anfühlt. Es war so schrecklich demütigend.

Schnell löst er seine Arme wieder von seinen Knien und stützt sich wieder auf seine Beine hoch. Kurz muss er auf der Stelle stehen bleiben, seinen schlechten Kreislauf zu liebe, doch dann stürmt er los, sucht sein Handy und holt etwas, um den Boden schnell von dem Glas und dem restlichen Gin zu befreien.

Es ist doch schon Mittag, anders als er sich so sehnlich erhofft hatte. Schwer atmet Ju aus. Er wurde angerufen. Mehrmals, von Joon und auch von seinem Bruder. Wahrscheinlich wundern sie sich, wo er bleibt. Schnell schreibt er beiden eine kleine Nachricht, dass er verschlafen hat und sich jetzt demnächst auf den Weg macht. Doch erstmal muss er sich um seinen Boden kümmern, auch die zwei Lappen von gestern liegen noch da, als hätte man sie gerade erst dorthin gelegt. Doch sie wurden vergessen und der Gin ist wahrscheinlich aus den Lappen in den Boden eingesickert. Es wird noch Tage danach hier riechen.

Julien beeilt sich, seinen Boden sauber zu machen, doch wie vorher gesehen, bleibt der hartnäckige Geruch des Gins noch immer in der Luft. Es war klar. Warum musste er das Glas gestern denn überhaupt runter schmeißen? Er will gar nicht darüber nachdenken. Stattdessen zieht er sich schnell frische Klamotten an und schlüpft in seine Schuhe. Wie es Rezo wohl gerade geht? Ob er sich viele Gedanken darüber macht, oder er gar nicht darüber nachdenkt und einfach seinem Job nachgeht, als wäre nie etwas passiert? Vielleicht geht es ihm aber noch schlechter. Vielleicht denkt er auch an die Küsse und wünscht sich, der Abend wäre anders verlaufen. Die Narben, was wenn...

Schnell schüttelt Ju seinen Kopf und versucht den Gedanken sofort wieder aus seinem Kopf zu bekommen. Er will es gar nicht wissen, denn es wäre wegen ihm und er würde sich nur noch mehr schuldig fühlen. Außerdem, würde Rezo das wirklich tun? Ju muss es, wenn sie sich das nächste Mal sehen, herausfinden, doch jetzt nicht, er hat erstmal anderes zu tun. Ohne also weiter den Gedanken zu vertiefen, schlüpft er in seine Jacke rein, wirft sich noch eine Kopfschmerztablette ein und verlässt seine Wohnung.

Doch als hätten Jus Gedanken einen magnetischen Draht zu Rezo, denkt er wieder einmal über seinen Kumpel nach. Er versucht wirklich nicht an ihn zu denken, doch erst recht, wenn er es nicht versucht, stehen Rezos Name und all seine verzaubernden Eigenschaften in seinen Gedanken. Und wenn er es dann doch schafft, an etwas anderes zu denken, taucht Rezo aus dem Nichts doch wieder in seinem Kopf aus. Es ist ein beschissener Teufelskreis.

Es dauert nicht lange und er ist am Haus angelangt. Schnell schließt er sich selbst die Tür auf und mit noch müden Augen wirft er einen Blick um sich, als er ins Haus tritt. Sie müssen oben sein, wahrscheinlich am Schneiden für die Hauptvideos. Aber er braucht jetzt erstmal einen Kaffee und was zum Frühstücken, aber nur der Kaffee würde auch erstmal genügen.

Schnell begibt er sich runter in die Küche, auch wenn ihm der Weg weiter und länger als normalerweise scheint, ist er relativ schnell unten. Mit ein paar Handgriffen hat er die Kaffeemaschine zum Laufen gebracht und es braucht auch nicht lange, bis er etwas Essbares auffinden konnte, dass er, noch bevor der Kaffee fertig ist, verspeisen konnte.

"Du musst echt etwas wegen deine Schlaflosigkeit tun.", wird Julien auf einmal aus seinem Tun gerissen und von Shawns Worten konfrontiert. Während Ju sich ruckartig zu seinem Bruder umdreht, zuckt er schnell seine Schultern, als ob es belanglos wäre. Er erwähnt Rezo nicht, auch wenn seine Gedanken in diesem Moment eine riesengroße Überschrift haben, die das Gegenteil beweist. Aber irgendwie muss er ja sein Verhältnis zu Rezo vertuschen. "Wirklich, Ju.", wiederholt er sich nochmal, mit der Hoffnung, Ju wirklich aufzufordern, etwas dagegen zu tun. Denn so kann es einfach nicht weiter gehen und normalerweise bleibt es ja immer nur bei dem fehlenden Schlaf, das mit dem Verschlafen ist noch nie wirklich so passiert und wenn dann handelte es sich auch nur um nebensächliche Minuten, was auch nur an einer geringen Menge an Tagen im Jahr passiert.

"Ich weiß.", murmelt Ju seine mickrige Antwort. Er weiß es, er sollte echt etwas wegen seinem Schlaf tun, aber was denn? Er kann nicht auf Kommando einschlafen und was kann man denn bitte dagegen tun? "Dann mach auch was dagegen, wir brauchen dich, vor allem jetzt.", bestärkt Shawn nochmal seine Bitte, während er sich neben Ju gegen die Küchenzeile lehnt und ihm einen mahnenden Blick schenkt. Schuldig blickt Ju zu der Kaffeemaschine. Es ist ihm ja bewusst, aber was soll er denn tun?

"Hast du schon gehört, was mit Rezo ist?", fragt Shawn und guckt seinen jüngeren Bruder nachdenklich an, der mahnende Blick ist direkt verschwunden. Sofort ist Julien hellwach, wahrscheinlich würde der Kaffee sogar einen schlechteren Job leisten als diese paar Worte. Aufmerksam, aber nicht zu auffällig, spitzt er seine Ohren und verspannt seinen Kiefer ein bisschen. Sorge flutet seine Adern, was ist mit Rezo.

Ohne Worte schüttelt Julien einfach seinen Kopf und wirft einen neugierigen Seiten Blick zu Shawn. Ist etwas schlimmes passiert oder doch nur irgendwas harmloses? Sein Herzschlag beschleunigt sich. Hoffentlich nichts schlimmes, hoffentlich nichts schlimmes, nichts schlimmes, wie ein Gebet murmelt er die Worte in seinem Kopf vor sich her. Hoffentlich nichts schlimmes.

Laut atmet Shawn aus und wendet seinen Blick auf den Boden. Jede Zelle in Julien ist in Aufregung, warum zur Hölle macht er es denn so spannend. "Ich dachte ihr seid so close, du würdest von sowas doch als erstes erfahren.", murmelt Shawn weiter, ohne zu sagen, was denn jetzt mit Rezo passiert ist. Aber das, was er erwähnt hatte, weiß Ju und sie waren sich sogar noch 'closer' als Shawn wahrscheinlich bewusst ist, aber das muss er ja nicht wissen.

Ungeduldig schaut Julien auf die Kaffeemaschine. Ob er jetzt so ungeduldig wegen des Kaffees oder wegen der fehlenden Aufklärung ist, kann Shawn nicht entziffern. "Was ist denn jetzt?", fragt Ju aufgebraucht und wirft seinem Bruder einen genervten Blick zu. Er hält dieses Unwissen nicht länger aus. Überrascht von Juliens Aufregung schaut Shawn ihn an. Shawn frägt sich, warum Ju auf einmal so empfindlich reagiert. Als er reinkam, wirkte Ju keinesfalls so aufgebraucht und gereizt.

"Ich hab's eben erst von Lisa erfahren. Rezo hatte einen Zusammenbruch, sie hat ihn wohl in seiner Wohnung auf dem Flur gefunden. Sie wollten sogar zum Arzt gehen, aber haben es doch gelassen. Du musst ihn später unbedingt besuchen gehen. Soweit ich weiß, geht's ihm echt nicht gut.", erzählt Shawn seinem aufgebrachten Bruder die Informationen und sofort spannt sich Juliens ganzer Körper an. Rezo hatte einen Zusammenbruch? Was ist passiert? Wie geht es Rezo jetzt? Hat er sich wieder Verletzungen zugefügt? War der Zusammenbruch wegen ihm, ist er daran Schuld? Er muss daran Schuld sein, er hat ihn gestern zu sehr verletzt. Und wie er ihn verletzt hat. Er ist an dem Zusammenbruch Schuld.


hier ein kleines kapitel, but it is what it is

bittersüß - juzoWhere stories live. Discover now