jetzt keine kraft

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Dumpf klingt das Rauschen des Autos, welches gerade mit voller Geschwindigkeit an ihm vorbei saust, in seinen Ohren, während sein schneller Puls jedes andere Geräusch ohne viel Übung übertönt. Wäre er jetzt in einem Film, würde es wahrscheinlich regnen und eine traurige Melodie jeden seiner hektischen Schritte begleiten. Seine Klamotten würden sich am Regenwasser vollsaugen und ihm schwer an seinem Leib hängen, es wäre, als würde dieses schwere Gefühl ihn noch tiefer in die Traurigkeit herunterziehen. Doch es ist kein Film und stattdessen wird er von der kühlen Nachtluft umhüllt, die er jedoch neben den vielen Tränen nicht wirklich zu bemerken scheint. Viel zu sehr beschäftigt er sich mit seinen vollen Gedanken oder mit dem Verlangen nach der Rache an sich selbst, die wie Lava in ihm brodelt und den Sauerstoff in Sekunden aus seinem Blut brennt, so dass er immer hektischer nach Luft schnappen muss.

Jedoch kann er nicht mehr viel nachdenken oder sich weiter in seine wirren Gedanken hinein steigern, da nicht nur sein Kopf, sondern auch sein Körper von Geschehenem überfordert ist und er somit nicht mehr gerade einen Fuß vor den anderen stellen kann, es ist vielmehr eine Herausforderung die der Weg ihm stellt. Jedes Mal wenn er sein Gewicht von dem einen Fuß zum anderen verlagert, scheint sein beanspruchtes Bein plötzlich einknicken zu wollen, oder wenn er versucht den nächsten Schritt zu tätigen, leitet sein verwischtes Sichtfeld ihn fehl und er platziert sein Fuß zu nah oder zu weit weg, so dass er sich vor einem Fall bewahren muss. Es fühlst sich an, als wäre er unfähig zu laufen oder zu denken, jeder Schritt wird komplizierter und so wird auch jeder Gedanke kniffliger.

Doch durch ein Wunder, dessen er sich in dem Moment nicht wirklich bewusst ist, schafft er es dann doch noch zu seiner Hausnummer und durchsucht vollkommen benommen seine Jackentaschen. Schnell tasten seine tollpatschigen Finger seine Jacke ab, jedoch macht er dies viel zu hektisch, so dass er erst nach dem zweiten Mal und dann noch dem dritten Mal durchsuchen auf seinen Schlüsselbund trifft. Schnell zieht er den Bund heraus und hadert nun damit, den Hausschlüssel zu finden. In seinem verwischtem Sichtfeld scheint es, als hätte er auf einmal hunderte Schlüssel, aber nirgendwo scheint der Richtige zu sein, es ist, als wolle er die Nadel im Heuhaufen suchen. Schnell blinzelt er Tränen aus seinen glasigen Augen, um die Übersicht über die Schlüssel wiederzubekommen, doch irgendwie werden seine Augen immer mehr von Augenflüssigkeit gefüllt, die ihn weiterhin hindert, klar zu sehen. Wo ist denn dieser verdammte Schlüssel?

Mehr Panik fließt durch seine Adern, so dass seine Finger immer mehr zittern. Doch irgendwann verliert er komplett die Übersicht seiner Schlüssel und mit einem lauten Klirren landet der Schlüsselbund schlussendlich auf dem Boden. Er schafft es einfach nicht. Wie soll er denn zwischen so vielen verschiedenen Schlüsseln den einen Richtigen finden, während alle auch noch eine verdächtige Ähnlichkeit haben? Es ist unmöglich. Er braucht ein paar Sekunden, um seine Nerven wieder zu beruhigen, bis er plötzlich nur noch mehr Tränen vergießt.

"Rezo?", wird er auf einmal aus seiner Verzweiflung gerissen und panisch dreht er seinen Kopf um. Hektisch pocht sein Herz in seiner Brust und weit reißt er seine Augen auf. Scheiße, er hat seine Cap nicht auf. Wurde er erkannt? Bitte nicht, jetzt ist ein scheiß Zeitpunkt, er hat nicht nur keine Kraft mehr für eine Fan-Begegnung, er steht auch noch direkt vor seinem Haus mit seinem Schlüssel in der Hand. Dann darf er seiner Privatsphäre wohl bald auf Wiedersehen sagen, aber das Schlimmste ist, als ihm klar wird, dass wahrscheinlich nicht nur er von Fans belästigt wird, da sein Nachbar auch nicht gerade unbekannt ist.

Doch erleichtert atmet er auf und sein Puls beruhigt sich wieder ein wenig, nachdem er erkennt, dass die Stimme ihm nicht wirklich fremd ist und sogar eine freundliche Stimmung in ihm erweckt, was er wiederum zwischen dem ganzen Herzschmerz nur undeutlich bemerkt. Es kann kein Fan sein. Aber auch für jemanden, den er kennt, hat er jetzt keine Kraft mehr. Er will sich nicht so zeigen. Er muss schrecklich aussehen, mit den gläsernen, vielleicht sogar rot angeschwollenen Augen, der vollen Nase und seinem zitternden Körper.

bittersüß - juzoWhere stories live. Discover now