angriff

172 14 8
                                    

Tikaani sah aus dem Fenster. Die vereisten Wege, die sich durch das kleine Dorf zogen, waren vollkommen leer. Kaum jemand wagte sich bei den Temperaturen aus dem Haus. Nur eine ältere Frau huschte zu ihrer Wohnung und verschwand darin.
Mittlerweile hatte es wieder angefangen, zu schneien. Tikaani war Kälte gewöhnt und kam normalerweise damit klar, aber als Mensch in einem schlecht beheizten Haus war ihr dann doch kalt.
Carag hatte Tee gemacht, der nicht unbedingt gut schmeckte, aber wenigstens warm hielt.
Er hatte sich mit den Kindern auf der Bank zusammengekuschelt, um sie zu wärmen.
Amaruq starrte gebannt aus dem Fenster und beobachtete die tanzenden Schneeflocken.
"Mama?" Tikaani wandte ihr ihren Blick zu und lächelte sie an.
"Ja?"
Amaruq setzte sich auf. "Warum dürfen wir nur hier oder oben in den Bergen sein? Papa hat mal gesagt, dass es noch viel mehr zu sehen gibt auf der Welt und dass er traurig ist, dass es uns verborgen bleibt."
Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe, stand auf und setzte sich neben ihre Tochter. "Eines Tages wirst du die Welt da draußen sehen, das verspreche ich dir." Sie wollte ihr Wort halten. Amaruq und Yuka sollten die Welt sehen, wie sie wirklich war. Die Welt, in der tikaani aufgewachsen war. Aber wenn sie dadurch das Leben ihre Kinder riskieren würde, musste sie darauf verzichten.
"Im Moment geht es aber nicht", fügte sie wahrheitsgemäß hinzu.
Amaruqs Augen weiteten sich. "Was ist denn da draußen ? Und warum darf ich es nicht sehen?"
Tikaani fuhr sanft durch das schwarze Haare des Madchens und lächelte sie an. "Es ist zu gefährlich für dich und deinen Bruder. Ihr seid noch zu jung."
Gerade, als das Mädchen noch weiter Fragen stellen wollte, richtete Carag sich auf und blies die Kerze auf dem Fensterbrett aus.
"Tikaani? Hast du das gehört?" Er sprach hastig und bewegte sich hektisch, unruhig schaute er sich um.
Die Wandlerin legte die Stirn in Falten. "Was meinst du?" Automatisch zog sie ihre Tochter näher zu sich ran.
"Los, wir müssen hier weg!" Ohne auf ihre Frage zu antworten, blies er eine weitere Kerze aus und griff nach der Hand seines Sohnes, um ihn zum aufstehen zu bewegen.
Tikaani erhob sich. Ihre Nasenflügel zuckten, ein Geruch nach Rauch stieg in ihre Nase. "Feuer...", flüsterte sie. Sie scheuchte Amaruq zur Tür. "Los, lauft!"
Sie stieß die Tür auf und rannte mit Amaruq nach draußen, die anderen beiden folgten dicht auf.
"Nach Norden!", rief Carag. Aus dem Süden stiegen Rauchschwaden auf. Laute stimmen dröhnten zu ihnen hinüber.
"Was ist los, Mama?", wimmerte Yuka. Natürlich verstanden die Kinder nicht, was überhaupt gerade passierte.
Nicht, dass tikaani sonderlich viel verstand. Sie verstand nur, dass sie zusehen mussten, dass sie wegkamen.
"Sie sind bei der Feuerstelle", informierte sie Carag, als sie hörte, von wo aus die aufgebrachten Rufe kamen.
Man konnte die Eindringlinge nicht sehen, was prinzipiell ein gutes Zeichen war.
Tikaani zog Amaruq hinter eines der Häuser und blieb stehen. Sie wandte sich Carag zu. "Sind das die Menschen?"
Ihr Freund schluckte und nickte. Ihre Hand griff fester nach der von Amaruq.
"Sie haben irgendwie rausgefunden, dass hier Wandler leben", stieß Carag hervor. "Komm, wir müssen weiter."
Sie rannten bis zum nördlichsten Teil des Dorfes und hielten erst dort wieder an. Neben ihnen ragten die Felswände in den Himmel.
"Los, da hoch", sagte Tikaani.
"Wir sollten uns verwandeln", warf Carag ein. Sie dachte einen Moment lang nach und nickte kurzerhand. Das war wohl wirklich klüger.
Sie nahm die Gestalt eines Polarwolfs an und schickte Amaruq eine Bilderserie eines Wolfes in den Kopf, um Ihr bei der Verwandlung zu helfen. Carag tat dasselbe bei Yuka.
Kurze Zeit später sprangen zwei Wölfe und zwei Pumas den Berg hinauf. Ein Ziel hatten sie nicht und zur Höhle wollten sie nicht zurück. Falls man sie entdeckte und als Wandler enttarnte, sollte man nicht ihren einzigen sicheren Aufenthaltsort kennen.
Tikaani sprintete vorraus, Carag kam als letzter, um aufzupassen, dass niemand verloren ging.

Erst, als sie sich halbwegs sicher fühlten, blieben sie mit klopfendem Herzen auf dem Gipfel stehen und blickten auf das Dorf hinab.
Einige Häuser standen in Flammen, Schreie hallten durch das Tal.
Menschen rannten durch die unbefestigten Straßen und brüllten wilde Flüche, während sie mit Fackeln winkten oder mit Gewehren schossen.

Woodwalkers - In vielen JahrenWhere stories live. Discover now