Anaïs bekommt eine Jacke

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„Ist alles in Ordnung?"

Anaïs hatte gerade angefangen, ihre Gefühle beiseitezuschieben und ihr Lächeln zu üben, als eine Stimme sie in der Dunkelheit erschrak. Alarmiert blickte sie sich um und aus den Schatten tauchte eine große Gestalt auf.

Anaïs entspannte sich, als sie die Gestalt trotz des dämmrigen Lichts erkannte – es war Weide, die Dryade der Peitschenden Weide. Sie erkannte ihn, obwohl sie ihn eigentlich nie richtig gesehen hatte, aber es waren diese außergewöhnlichen Haare, die an die Äste der Weide erinnerten und diese ruhige Stimme, als würde er nicht zu laut sein wollen. Anaïs mochte das – sie mochte es nicht so gern, wenn Leute zu laut waren.

„Weide!", begrüßte sie ihn und wischte sich die letzten Tränen von der Wange, „Du hast mich ziemlich erschreckt. Warum schleichst du dich immer so an?"

Weide trat näher und nun konnte Anaïs ihn sogar sehen – er hatte männliche Züge (im Gegensatz zu den anderen Nymphen des Waldes), wirkte aber jung. Älter als Anaïs, als jünger als Professor Albus Dumbledore. Das schränkte es zwar nicht wirklich ein, aber immerhin war es ein Anfang.

„Ich denke, ich bin es nicht gewohnt, in der Nähe von anderen Wesen zu sein", sagte Weide ruhig, „Ich schrecke sie lieber ab. Ich mag es nicht, wenn Wesen in meiner Nähe sind."

„Oh", machte Anaïs, „Dann gehe ich jetzt wohl lieber... Es war aber schön, dich wieder zu sehen."

„Du bist kein Problem", hielt Weide sie zurück, „Deine Nähe mag ich."

Das war ein Kompliment, wie Anaïs fand, also glaubte sie Weide und blieb. „Warum bist du hier draußen?", fragte sie ihn.

„Ich wohne hier", erinnerte Weide sie ein wenig amüsiert, „Die Frage ist wohl eher, warum du hier bist."

„Die anderen Mädchen haben herausgefunden, dass ich von den Toden anderer Leute träume und denken jetzt, dass ich die Erbin von Slytherin sein muss, weil ich mich auch gut mit dem Blutigen Baron verstehe, aber eigentlich haben sie das alles ganz falsch verstanden, ich bin nämlich nur die Tochter von Persephone, die eine Naturgöttin ist, aber auch die Königin der Unterwelt und deswegen habe ich Verbindungen zu beiden Themen, was aber andere nicht verstehen, denn offenbar kommt es nicht einmal in der Welt der Zauberer häufig vor, dass eine Demigöttin wie ich hier bin und deswegen verstehen sie mich nicht", erzählte Anaïs ohne einmal Luft zu holen alles. Sie holte einmal tief Luft. „Und dann war ich traurig und bin hierher gekommen, aber jetzt geht es mir wieder gut. Ich muss nicht mehr weinen."

„Du bist nicht mehr traurig?", fragte Weide nach.

„Ich muss nicht mehr weinen", korrigierte Anaïs ihn, „Traurig bin ich schon noch... aber das ist okay. Ich muss nicht glücklich sein."

„Warum nicht?", fragte Weide nach.

Anaïs wusste darauf nicht die Antwort. „Ich weiß nicht...", gestand sie, „Mir sagen Leute nur immer wieder, dass es in Ordnung ist, unglücklich zu sein. Ich darf unglücklich sein."

„Aber du solltest es anstreben", erklärte Weide ruhig, „Du solltest versuchen, glücklich zu werden."

„Oh", machte Anaïs, „Diesen Zusatz haben wohl immer alle vergessen..."

Einen Moment lang standen sie still zusammen in der Dunkelheit.

„Hier draußen kannst du nicht bleiben", bestimmte Weide schließlich, „Und du kannst jetzt auch nicht zurück gehen. Folge mir – da gibt es sowieso jemanden, der dich treffen will."

„Wer will mich denn treffen?", fragte Anaïs aufgeregt nach. Die Jahre, in denen diese Worte bedeutet hatten, dass ein Paar interessiert an ihr war und sie vielleicht adoptiert wurde (und das war ja etwas Gutes) hatten ihr beigebracht, dass diese Worte positiv waren.

Pomegranate | Harry PotterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt