115. Menschenkenntnis

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Lily

Drachenpocken.
Eine Krankheit die schon vor unserer Zeit berühmt berüchtigt war. Und die es noch heute ist. Ich hatte schon zu meiner Schulzeit von ihnen gelesen. Sie sind eine Mutation der Pockenerkankung, die bei magischen Menschen seit Jahrhunderten gefürchtet ist. Meist hinterlässt sie hässliche Narben, kann bei besonders schwerem Verlauf jedoch auch zum Tode führen. Vor allem bei älteren oder geschwächten Menschen sind die Überlebenschancen unglaublich gering. Doch wo die beiden sich hatten infizieren können, ist ungewiss. Sie selbst wissen es nicht. Es sah jedoch alles danach aus, dass sie es nicht überstehen würden.
Gerade diese Nachricht hatte gefehlt, um James den Rest zu geben. Nachdem wir nach zwei Stunden eine Auskunft erhalten hatten, James und Sirius hatten dem Heiler an den Lippen geklebt, mit besorgten jedoch hoffnungsvollem Ausdruck in den Augen, hatte eben jene alles zu Nichte gemacht, was wir uns selbst erhofft hatten. Ungläubig, selbst als sich Sirius die Haare raufend umhergelaufen ist, hatte James den Heiler angestarrt, ihm erklärt, dass er es falsch verstanden hätte. Und schließlich, nach dem dritten Mal der Schilderung, hatte James es aufgegeben, hatte die Hiobsbotschaft realisiert und war zusammengebrochen. Er war in meine Arme gefallen, hatte sich an mich geklammert und nur noch geschluchzt. Diese Trauer, diese Erschütterung seines Körpers bei jedem ausatmen, bei jeder Träne die er vergoss, jedes Mal hatte es mein Herz zerrissen, meine Kehle zugeschnürt. Ewigkeiten, so kam es mir vor, hatte er in meine Halsbeuge geweint, hatte er sich fortgerissen und geschrien, hatte sich wieder in meine Arme geworfen und geschluchzt. Es war ein Teufelskreis gewesen, ehe seine Augen keine Tränen mehr zum weinen spendeten, ehe sein Hals keine Stimme mehr zum schreien gab, ehe sein Körper keine Energie mehr hatte.

Und Ewigkeiten später, hatte man ihm angeboten sie zu sehen. Völlig zerzaust waren seine Haare gewesen, völlig verweint seine Augen, als er sich aufgerichtet hatte und mich mit sich dem Heiler hinterher gezogen hatte. Doch nicht, ohne eben jenen zu fragen, wie es sich verhielte, wenn ich ein Kind im Bauch trug. Abrupt war der Heiler stehen geblieben, hatte uns zwei gemustert und gemeint, es wäre auf unsere eigene Verantwortung, wie jedes Mal wenn man Patienten mit Drachenpocken besuche, doch hätte sich bisher mit den getroffenen Hygienemaßnahmen keiner infiziert. James hatte genickt, gewartet bis der Heiler wieder voran schritt, und dann, als keiner sonst zu sehen war, seinen Zauberstab gehoben und seine Erinnerung an dieses kurze Gespräch gelöscht. Ich hatte es hingenommen. Darüber zu diskutieren hätte nichts gebracht, geschweige denn etwas genützt. Er tat es, weil er sich bewusst war, dass jegliches Wissen, das an die Todesser auch nur im geringsten Sinne gelangen konnte, eine Waffe in deren Händen war. Nicht zuletzt deshalb handhabten wir eben jene Situation genau so.

Doch trotz meiner Erlaubnis, zu aller erst mit James die beiden zu besuchen, hatte ich verzichtet. Ich hatte Sirius geholt und ihn hinterher geschickt. Er hatte eine engere Bindung als ich mit James Eltern und hatte das Vorrecht. Ich wollte es ihm nicht nehmen, nur weil er kein leiblicher Sohn der beiden war.
Stattdessen hatte ich mich zu Hestia gesetzt und mit ihr gesprochen. Wir unterhielten uns, Ewigkeiten vergingen. Es tat gut zu kommunizieren, wenigstens ab und an zu lächeln und zu wissen, dass dort noch jemand war, der das gleiche Schicksal teilte, der die selben Aufbaukünste zu leisten hatte und der doch auch trauerte. Und vor allem, hatten wir uns, uns als beste Freundinnen. Ich hoffte inständig, dass Sirius und James sich noch mehr als solche verstanden, als jemals zuvor. Es war wichtig.

„Lily? Du kannst gerne rein. James hätte dich gern bei sich.", kam uns James bester Freund entgegen. Auch er sah fertig aus, rot unterlaufene Augen, verstrubbeltes Haar und trotz dessen mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen. Auch wenn eben jenes nicht zu hundert Prozent ehrlich rüber kam, sah man ihm an, dass dieses Gespräch mit seinen Zieheltern geholfen hatte.
Nickend raffte ich mich auf, schenkte Hest nochmal ein kurzes Lächeln und lief dann den leeren Gang entlang, in Richtung von James Eltern. Diese prachtvoll geschmückten Gänge wirkten immer mehr wie purer Hohn. Ich wusste, das es nicht das Ziel des Mungos war, doch konnte ich von diesem Eindruck nicht abkommen.

In Schutzkleidung gehüllt, mit Handschuhen auf den Händen, mit neuen Stiefeln über den meinen und mit Maske betrat ich schließlich das Zimmer meiner Schwiegereltern.
Erschöpft und mit müdem Ausdruck in den Augen lagen sie auf den Betten, James zwischen sich und ihren Blick zu mir wendend, als ich die Tür aufschob. Mia schenkte mir schwach, eines ihrer bekannten Lächeln, ehe sich ihr Gesicht wieder zu einem gequälten Ausdruck verzog. Wenn selbst Euphemia ihr Leiden nach außen hin zeigte, wusste man, dass es sehr schlimm um sie stand. Immer hatte sie so stark, so unbrechbar, so potterhaft gewirkt.
Doch jetzt, jetzt schaute selbst sie nicht mehr so aus. Auch Fleamonts Lider schienen schwach zu sein und es musste ihm eine heiden Anstrengung kosten James und mich anzusehen.
Genau jetzt, jetzt in diesem Moment wirkten weder Mia noch Fleamont so jung wie sonst. Es schien, als hätte ihr Alter sie eingeholt. Als hätte ihr Leben sie eingeholt. Alles was sie leicht abgetan hatten, was spurlos an ihnen vorbei gegangen war, alles schien sie nun zu überwältigen.

Mir missfiel dieser Anblick deutlich. Ich wollte sie so nicht sehen, nicht dieses Bild als letzte Erinnerung von ihnen haben. Doch es musste sein. Sie hatten es verdient, dass man ihnen ihre letzte Ehre erwiesen, dass man sie besuchte und ihre letzten Tage, Stunden, an ihrer Seite verbrachte.

„Lilychen, komm mehr.", krächzte Euphemias Stimme und anhand ihres sich einzig bewegenden Fingers erkannte ich, dass ich mich zu James setzten sollte. Schnell zog ich mir einen Stuhl an ihre Seite, ehe ich mich auch schon neben meinem Mann niederließ.
„Was sehe ich denn da? Du bist schwanger?", murmelte sie, nun mit einer etwas kräftigeren Stimme. Grinsend erwiderte ich ihr ehrliches, schwaches Lächeln und erkannte die aufrichtige Freude in ihren Augen.
„Ja, tatsächlich. Wir hatten es euch anders sagen wollen, aber ja, da erzählt James die Wahrheit.", lachte ich herzlich über meine Schwiegermutter und ließ meinen Blick zu James Vater wandern, welcher sich ebenso erfreut ein Lächeln abmühte.
„Ich habe es ihnen noch gar nicht gesagt. Woher wisst ihr es?", nahm ich James warme Hand auf meinem Oberschenkel wahr und blickte überrascht in seine Augen. Auch seine waren noch rot unterlaufen, zeugten jedoch wieder von neuer Lebenskraft und Freude, auch wenn die Hoffnungslosigkeit noch immer zu erkennen war.
„Deine Mutter hat eine sehr gute Menschenkenntnis. Schwangere besitzen so eine Art besondere Ausstrahlung, mein Junge. Nach so vielen Jahren war eure Glückseligkeit schnell zu erkennen.", brummte Fleamont mit rauer Stimme und zog den Blick aller auf sich. Ihm schien es bedeutend schlechter zu gehen als Mia. Doch auch er zeigte jegliche Freude bezüglich diesen Themas, soweit es ihm jedenfalls möglich war.
„Wir freuen uns riesig, auch wenn man es vielleicht nicht so merkt. Wir wären gerne Großeltern geworden.", begann sie heftig zu husten, wodurch James hastig aufstand und nach ihrer Hand griff. Die Drachenpocken beeinträchtigten zwar nicht direkt den gesamten Körper, doch bewirkte es bei Zauberern diesen Alters nach und nach ein Versagen aller ihnen zuvor möglich gewesen Tätigkeiten.

„Ihr werdet super Eltern sein. Der Kleine wird sich glücklich schätzen dürfen ein Potter zu sein.", fuhr Fleamont fort und lächelte matt. Schwer hob und senkte sich seine Brust, nahm er Sauerstoff in seine Lungen auf. Jegliche Wortbildung schien ihn anzustrengen, schien ihm Lebenskraft zu kosten.
Der Kleine?", hinterfragte James die Worte seines Vaters und blickte ihn rätselnd an. Wir hatten das Geschlecht noch nicht erfahren wollen. Er oder sie, es war egal, es würde unser Wurm, unser Wunder bleiben.
„Wir sind uns sicher, dass es ein Junge wird. So ist es seit Generationen.", hauchte Mia und drückte zart die Hand ihres Sohnes. Ja, da war wohl etwas dran. Auch, wenn ich mir James mit einem Mädchen im Kleid auf dem Arm auch gut vorstellen konnte. Es würde kommen wie es kommen musste. Das würde dann ebenso sein, wie es jetzt sein wird.

Jily für immer - 2Where stories live. Discover now