Prolog

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R a v e n

Stan Lee sagte einmal, dass sein Motto ›Excelsior‹ sei. Das ist ein altes Wort, das ›hoch hinaus und auf zu großem Ruhm‹ bedeutet.

Als Kind konnte ich die Tiefe des Wortes nie ganz verstehen. Es klang interessant in meinem Kopf und ich vergötterte Stan Lee; er war immer einer meiner größten Helden.

Als ich älter wurde, verstand ich, was man damit sagen wollte: Mach jeden Tag weiter und wenn es Zeit ist, zu gehen, dann ist das so.

Zum ersten Mal verstand ich das, als mich mein Vater verließ.

Ich war gerade einmal zehn Jahre alt und für mich brach eine ganze Welt zusammen. Eines Nachts verließ er unser Haus, einen Koffer in jeder Hand und kam nie wieder.

Die tausend Tränen, sowohl die meinen als auch die meiner Mom, prägten mich für mein Leben.

Der Verlust schmerzte; schmerzte viel zu sehr für ein zehnjähriges Herz. Das Schlimme war, dass ich mir manchmal wünschte, er wäre einfach gestorben, denn mich damit auseinandersetzen zu müssen, dass mich mein Vater lieber für immer und völlig freiwillig verließ, zerriss etwas in mir.

Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass wir - dass ich - nicht gut genug für ihn war; dass meine Liebe nicht ausreichte, um zu bleiben, wenigstens bei mir.

Der Blick, den er mir zuwarf, kurz bevor er ins Taxi stieg und davonfuhr, brannte sich wie Säure in mein Gedächtnis ein. Er ätzte sich in mein Gewebe und war dazu bestimmt, für immer dort zu verweilen. Doch von da an verstand ich, dass ich lernen musste, ihn loszulassen, da ich zu akzeptieren hatte, dass ich einfach nicht ausreichte.

Mit den Jahren hinterließ der Gedanke an ihn nur noch einen dumpfen Schmerz, und das war okay. Einige Zeit war ich traurig. Ich war wütend, frustriert; doch ich lernte es zu akzeptieren.

Mittlerweile hoffte ich, er hatte das gefunden, was er bei uns vergeblich gesucht hatte. Meine Mom lernte wieder zu lächeln, ihre trüben Augen glänzten wieder und sie strahlte, was sie nach Dads Flucht kaum noch konnte. Der Grund war Bob. Bob war ein netter Kerl. Ein Gebrauchtwagenhändler, der ihr - uns allen - ein gutes und solides Leben ermöglichte.

Als Kind machte ich mich lustig über seinen Namen, denn ehrlich... Bob? Was hatten seine Eltern sich dabei gedacht, ihn so zu nennen?

Wenigstens war er bei der Namensgebung seiner Kinder kreativer. Ja, Bob hatte Kinder. Um genau zu sein, hatte er drei Kinder. Sein jüngster Sohn hieß Lenox, der gerade mal drei Jahre alt war, als ich ihn kennenlernte. Dann kam Eden, Bobs zweitältester Sohn, der eine Klasse unter mir war, und zuletzt Matthew.

Matthew...

Er war vier Jahre älter als ich und... nun, sagen wir einfach, mein elfjähriges Ich war hin und weg. Matthew war ganz offensichtlich extrem gutaussehend. Wie seine jüngeren Brüder hatte er dunkelbraune Haare, die sie alle eindeutig von ihrer Mutter hatten. Ihre spanischen Wurzeln machten alles nur noch schlimmer.

Er war verdammt hübsch.

Wirklich, es war beinahe unanständig, wie gut er aussah. Sicher, seine Brüder standen ihm, was das anging, in kaum etwas nach, doch Matthew hatte etwas an sich, was mich wie die Motte zum Licht anzog. Das einzige Problem bei meiner Schwärmerei: sie war zu hundert Prozent einseitig.

Hateful kisses.Όπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα