2 | Februar 2019 (1)

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This is what I am, I am a man
So come and dance with me, Michael
So strong now, it's strong now
So come and dance with me, Michael
I'm all that you see, you want to see
So come and dance with me, Michael

Der Boden vibrierte im Takt der Musik unter Michaels Sohlen. Der Club war voll, viel zu voll und viel zu laut. Er war die stickige Luft in dem Kellergewölbe nicht mehr gewöhnt. Wann war er eigentlich so erwachsen geworden, sich nur noch an einem Freitagabend von den Jungs breitschlagen zu lassen, um die Häuser zu ziehen? Ihm war beim Blick auf sein schon wieder verdächtig leeres Bier klar, dass er bis Sonntag brauchen würde, bis er wieder fit wäre. Er versuchte in der Menschenmenge auf der Tanzfläche bekannte Gesichter auszumachen, aber es war unmöglich. Alles war in Bewegung, Arme und Köpfe rauschten an ihm vorbei und der künstliche Nebel erschwerte die Sicht noch zusätzlich.

Er fühlte sich wie eine Salzsäure, so felsenfest stand er noch zwischen seinen Kumpels, die es mal wieder krachen ließen. Sie johlten und lachten über etwas, das Michael nicht verstanden hatte. Über diesen Lärm hörte er gar nichts mehr – er war aber auch schon immer schlecht darin gewesen, aus dem Geräuschpegel beim Feiern das herauszufiltern, was gesagt wurde. Mürrisch sah er, wie die Bierflaschen aneinander krachten und die Runde gleichzeitig ansetzte, um sich die sicher von Tanzen schal gewordenen Getränke hinter die Binde zu kippen. Er war mal wieder zu langsam gewesen, um anzustoßen, nahm aber trotzdem einen kleinen Schluck von seinem Bier.

Was war heute eigentlich schon wieder los mit ihm? Mit einem weiteren Zug leerte er sein Bier und zog sich die Schachtel Kippen aus der Hosentasche. Mit den Fingern an den Lippen signalisierte er, dass er sich zum Rauchen nach oben absetzen würde. Heute war die Musik aber auch besonders scheiße und die anderen hatten ihm schon einiges voraus, als sie hergefahren waren. Das dumme Kundenmeeting hatte aber auch erst so spät stattfinden können, weil auf ihrem Stockwerk in der Firma immer noch gebaut wurde. Die Außenfassade bekam neue Leuchtreklame oder so etwas. Eigentlich interessierte es ihn auch nicht weiter, warum er diese Woche wieder so viele Überstunden gemacht hatte, war eh jede Woche das Gleiche. Die leere Flasche stellte er auf dem Weg achtlos auf einen der leeren Stehtische am Rande der Tanzfläche – er verabscheute die Menschen, die Ihre Getränke einfach irgendwo auf dem Boden aussetzen. Es erinnerte ihn an eine ziemlich schmerzhafte Nacht, die er in der Notaufnahme verbracht hatte, als sich ein kaputtes Glas durch die Sohle seiner Sneaker gebohrt hatte, sodass die Wunde genäht werden musste.

Mit jedem Schritt die Treppen nach oben wurde die Musik erträglicher – besser gesagt leiser, bis sie nur noch als dumpfes Dröhnen wahrnehmbar war. Endlich war die Luft nicht mehr verseucht mit dem Parfum und Schweiß der Feiernden und er konnte wieder frei atmen. Die vielen Menschen, die mit jeder ihrer Bewegungen gegeneinanderstießen, sich aneinander rieben oder sich achtlos anrempelten, überforderten ihn heute maßlos. Der Tag war lang gewesen und der Alkohol verweigerte seinen Dienst.


Unter seinen Schuhen knirschte leicht der Schnee, der in leichten Flocken vom Himmel fiel und die Welt unter einer sanften Decke begrub. Frau Holle hatte heute wohl die Betten extra gut aufgeschüttelt. Bei dem Gedanken grinste er leicht, an Märchen hatte er schon viel zu lange nicht mehr gedacht. Unter einem Hausvorsprung gegenüber fand er Unterschlupf und zündete sich endlich eine Zigarette an. Genüsslich inhalierte er, nur um den blauen Rauch anschließend in Richtung des Nachthimmels zu blasen. Die Härchen auf seinen Armen stellten sich zu einer Gänsehaut auf, die sich hier draußen über seinen Körper ausbreitete. Aber die kurze Auszeit war es wert, auch wenn das bedeutete, nur im Hemd zu frieren und sich vor dem Schneefall zu verstecken. Die tanzenden Flocken hypnotisierten ihn beinahe, als er seinen Kopf in den Nacken legte und in die graue Unendlichkeit sah, die von den wirbelnden Punkten durchbrochen wurde. Welche Reise jedes dieser Wunder wohl hinter sich hatte?

Love and DestroyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt