15 | Weihnachten 2019

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Am Tisch herrschte für einen Moment Stille, während Felix' Worte in das Bewusstsein der Anwesenden sickerten. Kerstins Mutter fing sich als erste. Sie sprang von ihrem Platz auf und fiel ihrer Tochter um den Hals, die neben Felix an der Stirnseite des Tisches stand.

Widerwillig gab der seine Freundin frei, damit sie die Umarmung ihrer Mutter erwidern konnte.

„Oh, meine kleine Maus", schniefte diese. „Ich kann es gar nicht glauben! Wann bist Du wo groß geworden?"

Michael nahm einen großen Schluck Rotwein, ohne den fruchtigen Geschmack, den er eben noch so genossen hatte, überhaupt wahrzunehmen. Ja, wann war sein kleiner Bruder so groß geworden? Nichts war mehr übrig von dem süßen Mondgesicht, stattdessen stand dort ein hübscher junger Mann, der stolz auf seine Verlobte hinabsah.

Nach dem Dessert hatten sie die Bombe beim Weihnachtsessen mit beiden Familien platzen lassen. Deshalb also hatten sie alle am Feiertag zu sich eingeladen.

Um ihre Verlobung zu verkünden.

Als ob Weihnachten nicht schon anstrengend genug wäre.

Nachdem sich Kerstins Mutter wieder einigermaßen beruhigt hatte und ihr Schluchzen einem Lachen wich, erhoben sich auch die anderen, um ihre Glückwünsche auszusprechen. Auch ihre Mutter hatte feuchte Augen, als sie zunächst Felix und dann auch Kerstin in die Arme schloss. Natürlich war sie überglücklich, denn ihr kleiner Junge war nun auch erwachsen und würde endlich die Rolle des guten Ehemannes und wahrscheinlich bald auch Vaters übernehmen.

Genau das, was er selbst nicht gekonnt hatte. Genau das, was seine Mutter noch immer von ihm erwartete.

Unterdessen wurden weiter Hände geschüttelt, Umarmungen verteilt, nur er saß noch wie angewurzelt an seinem Platz. Vielleicht wäre es leichter, wenn Christian hier wäre.

Dabei waren sie ja nicht einmal fähig, sich auf einen Wohnort zu einigen. Wie sollten sie sich schließlich auf ein gemeinsames Leben einlassen?

Nach einem weiteren Schluck Wein schüttelte er über sich selbst den Kopf – Felix war nicht der Grund für seine Bitterkeit. Kurz schloss er die Augen, schob weitere Erinnerungen weg, die sich wie ungebetene Gäste selbst einluden, dann schaffte er es endlich aufzustehen.

Sein Bruder sah Michael fragend an, als dieser mit schwerem Herzen auf ihn zu kam. Felix musste wohl erkennen, wie schwer es für ihn war.

„Was machst Du denn für Sachen?", flüsterte er Felix ins Ohr, als er ihn dich an sich zog. Er wollte sich so gern für ihn freuen, aber er schaffte es nicht recht, viel mehr wünschte er ihm, dass er seine Entscheidung nicht bald bereuen musste.

Hoffentlich brachte Felix dieser Schritt mehr Freude als ihm.

„Es tut mir leid, dass ich dir nicht früher etwas gesagt habe", gab Felix nur kleinlaut zurück und fasste Michael am Oberarm.

„Ach was!"

„Und... es tut mir auch leid, dass ich dich nicht gefragt habe, mein Trauzeuge zu sein."

Bei diesem Kommentar lachte Michael gequält auf. „Ich glaube, das war die richtige Entscheidung. Ich... Es hätte wahrscheinlich kein Glück gebracht." Nicht bei seiner Vorgeschichte.

„Quatsch!", grinste Felix. „Nach der Logik hätte ich dann auch schuld sein müssen, dass das mit euch nichts geworden ist."

„Als ob! Aber vielleicht ist es trotzdem gut, dass Du einen anderen Trauzeugen hast. Mach möglichst wenig so wie ich", mit einem schiefen Lächeln zog Michael seinen Bruder ein weiteres Mal in seine Arme. „Ich muss euch kein Glück wünschen, ihr habt es schon. Und Du bist sowieso zu schlau für dein Alter, kleiner Bruder!"

Love and DestroyWhere stories live. Discover now