6 | April 2019

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Michael war wegen eines Kundenevents außerhalb der Stadt und nach Feierabend unendlich müde. Trotzdem befand er sich auf dem Weg zum Fitnessraum des Hotels, um den aufgestauten Stress des Tages auf dem Laufband abzubauen. Für Krafttraining fühlte er sich zu ausgelaugt, freute sich aber darauf den Kopf durch das Brennen seiner Muskeln zu leeren.

Der dicke Teppich auf dem Hotelflur dämpfte seine Schritte, sodass das unerwartete Klingeln seines Handys umso lauter in seinen Ohren schmerzte. Genervt stöhnte er auf, als er es aus der Tasche seiner Shorts angelte und drückte den grünen Knopf, ohne darauf zu achten, wer anrief. Ihm war egal, wer ihn versuchte zu erreichen, denn das Gespräch würde nicht lange dauern. Zu sehr freute er sich darauf, dass ihn die Anstrengung seines Körpers in eine andere Welt beförderte.

„Ja, Hofmann?", bellte er deshalb unwirsch in das Telefon und lenkte seine Schritte weiter zielstrebig zur Treppe nach unten.

„Störe ich?", fragte der Anrufer so kleinlaut, dass Michael stutzend das Telefon senkte und auf das Display sah. Christian Sprenger. Bei diesem Namen beschleunigte sich sein Herzschlag auf eine äußerst angenehme Art. Nach ihrem letzten Aufeinandertreffen hatte er allerdings nicht damit gerechnet, jemals wieder von ihm zu hören. Da er die beinahe jeden Abend damit verbracht hatte zu erörtern, ob er seine Entscheidung in der Bar bereute oder nicht, entschied er sich für eine schlichte Antwort, die ihm weiteres Futter für die Diskussion mit sich selbst liefern würde.

„Nein", sagte er deshalb.

„Wie geht es dir?", fragte Christian am anderen Ende der Leitung vorsichtig.

„Müde. Ich bin mit der Arbeit weg", er versuchte seine Antworten unverfänglich zu halten. „Dir?"

Christian seufzte, bevor er antwortete. „Ich wollte gerne noch mal mit dir sprechen. Über uns."

Über uns. Michael schauderte, er hatte ihm doch unmissverständlich klar gemacht, dass es kein uns gab, aber seine Neugier war größer als seine Ablehnung. Es war nur ein Telefonat und insgeheim freute er sich, gerade diese Stimme zu hören.

„Du bist letztens wegen dem Typen so durch den Wind gewesen, oder?", fragte Christian schließlich, weil Michael nicht geantwortet hatte. Seine Worte ließen ihn mitten in der Bewegung erstarren, sodass er nun verloren im Treppenhaus stand und mit rasendem Herz die weiß getünchte Wand vor ihm anstarrte.

„Wie kommst du darauf?"

Hatte Christian ihn mit Simon sprechen sehen?

„Also, ja", stellte Christian fest. „Weißt Du, als Du gegangen bist, war ich echt verletzt. Ich habe mir dann noch ein Bier gekauft, ich wollte noch nicht nach Hause."

„Und? Soll ich mich jetzt entschuldigen?", spie Michael patzig in den Hörer. Die Angst schloss ihre eiserne Hand um seine Kehle und machte ihn atemlos. Natürlich musste er sich entschuldigen, sein Verhalten war unmöglich gewesen, aber dies durch eine Entschuldigung laut auszusprechen war gerade zu viel für ihn.

„Nein, deswegen rufe ich nicht an", Christians Stimme klang wie immer unendlich sanft. „Auch wenn es schön wäre, das von dir zu hören. Ich-, hör zu. Er ist irgendwann zu mir gekommen und hat mir ein paar Sachen erzählt. Er war schon ziemlich betrunken."

„Simon hat mir dir gesprochen?", Michaels Knie drohten nachzugeben, sodass er mit der freien Hand nach dem Treppengeländer griff.

„Ja. Und mir geht nicht aus dem Kopf, was er mir erzählt hat. Du gehst mir nicht aus dem Kopf, Michi."

„Was hat er dir erzählt?", hauchte er ungläubig ins Telefon. Er konnte nicht fassen, wie unfair das Schicksal spielte. Er hatte auf die harte Tour gelernt, dass Simon nicht oft die Wahrheit aussprach. Und selbst wenn, war er sich nicht sicher, ob er wollte, dass Christian alle schmutzigen Details kannte.

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