9 | Juli 2019 (2)

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Zum zweiten Mal an diesem Tag parkte er seinen Wagen am Straßenrand und sah sich um. Dass Christian in einem Vorort wohnte, war ihm bis jetzt nicht klar gewesen. Die Einfamilienhäuschen seiner Straße waren gepflegt, aber klein. Die Hausnummer, die Michael suchte, lag etwas weiter die Straße hinab, aber er hatte den Wagen absichtlich nicht direkt davor abgestellt, sondern eine Parklücke etwas abseits gewählt. Sobald er sich nicht mehr in der Anonymität der Großstadt verlieren konnte, tendierte er dazu, nicht alles für die Augen neugieriger Nachbarn offen zu legen. Sein Heimatort hatte ihn in dieser Hinsicht, nachhaltig geprägt. Gerade sein schicker Audi stach zwischen den Familienwagen, die sich an der Bordsteinkante aufreihten, deutlich hervor.

In seinem Handschuhfach suchte er nach der glänzend roten Folie, der letzten Schachtel Zigaretten, bevor er mit dieser in der Hand ausstieg, um sich für einen Moment von außen gegen das Auto zu lehnen. Mit einem genussvollen Seufzen rollte sein Daumen über den Zünder des Feuerzeugs, aus dem sofort eine kleine Flamme emporstieg, die er zur Zigarette zwischen seinen Lippen führte. Langsam inhalierte er und wartete, bis das Nikotin durch seinen Körper wanderte und seine Sucht befriedigte. Erst dann entließ er den Rauch wieder durch die Nase und sah sich weiter in der beschaulichen Straße um. Die kleinen Vorgärten waren mit Zäunen oder hüfthohen Hecken vom Gehsteig abgetrennt, manche waren liebevoll bepflanzt, während andere utilitaristisch gepflastert waren und lediglich Fahrräder in allen benötigten Größen beherbergten.

Hinter einigen Fenstern brannte, dank der einsetzenden Dämmerung bereits Licht, sodass Michael die Schatten der Bewohner durch Vorhänge erahnen konnte. Der abendliche Verkehr war weniger stark gewesen, als er erwartet hatte. Nun stand er etwas zu früh hier und genoss seine verdiente Zigarette im sanften Abendlicht in Ruhe.

Er war froh, noch einen Moment für sich zu haben, das Gespräch mit Julia hing ihm nach, auch wenn er gestärkt heraus gegangen war. Ihre freundliche, aber bestimmte Ablehnung einer erneuten Verbindung zwischen ihnen, egal wie oberflächlich, erleichterte es ihm, nach vorn zu sehen.

Mit jedem Kilometer, den er auf dem Weg nach Hause, zwischen sie brachte, war Schwere von ihm abgefallen, sodass er sich nun beinahe leicht fühlte. Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Schmunzeln, bevor er sie wieder um den Filter der Zigarette legte. Vorfreude durchzuckte ihn bei dem Gedanken, schon in wenigen Augenblicken seinen Mann wieder im Arm halten zu dürfen, bei ihm zu sein und seinen unverwechselbaren Duft zu riechen.

Als die Glut schon beinahe am Filter leckte, öffnete sich die Tür des Hauses, das laut dem Navigationsprogramm auf seinem Handy, das sein musste, welches sein eigentliches Ziel war. Aus dem Türsturz trat ein Mann mit einem Karton auf dem linken Arm, den rechten warf er ungehalten gestikulierend in die Luft. Seine schulterlangen, blonden Haare rahmten weich sein jungenhaftes Gesicht ein, auf dem sich trotz der Entfernung die Wut deutlich abzeichnete.

Nachdem er einen Schritt über die Schwelle getan hatte, erschien eine zweite Gestalt im Türrahmen, die Michael mit Leichtigkeit als Christian erkannte. Dieser sah ebenso wenig erfreut aus, auch seine Stimme, die dank der abendlichen Ruhe bis zu ihm drang, war rau mit kaum gezügelter Emotion. Den letzten Zug des nikotinhaltigen Rauchs in der Brust, trat er die Überreste der glühenden Zigarette auf dem Asphalt aus, bewegte sich aber nicht, sondern beobachtete weiter die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte. Wer dieser Mann wohl war, der schwer beladen aus Christians Haus kam?

Die Unterhaltung der beiden gewann an Lautstärke, doch mehr als einzelne Wörter konnte Michael nicht verstehen. Auch aus dem, was er hörte, konnte er sich keine schlüssige Erklärung bilden. Der Fremde war gut gekleidet, ein Leinenhemd, Jeans und er meinte auch das Blitzen von Ohrringen erkennen zu können. Im Gegensatz zu ihm wirkte Christian in seinem gemütlichen Outfit fehl am Platz. Nur ein ausgewaschenes Shirt und eine tiefsitzende Sporthose verhüllten seinen Körper. Entgegen aller Neugier konnte Michael seine Augen kaum von der Silhouette des Mannes lösen, den er so sehr begehrte. Ein warmes Gefühl der Zuneigung stieg in ihm auf, ließ ihn in sich hinein lächeln, auch wenn er gerade Christian dabei beobachtete, wie er sich mit dem Unbekannten stritt und diesen anscheinend vor die Tür setzte.

Love and DestroyWhere stories live. Discover now