5 | März 2019

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So gern er sich bei Christian melden würde – Michael kannte sich, am Ende würde es wieder in einem Desaster enden, so wie es auch mit Julia und Simon mit einer Katastrophe geendet hatte. Es dauerte mehrere Tage, bis er an einem stressigen Tag die Selbstbeherrschung verlor und mit zitternden Fingern und wild klopfendem Herzen Christians Nummer in sein Handy übertrug. 

Der kleine Post-It Zettel, auf dem er sie notiert hatte, hing seit dem Tag, an dem er ihn auf seinem Schreibtisch gefunden hatte, an der kleinen Pinnwand in seinem Eingangsbereich. Wann auch immer er seine Wohnung verließ, oder nach Hause kam, strichen seine Finger ehrfürchtig über die Zahlen. Sie waren so verführerisch, gaukelten ihm vor, dass er haben konnte, was er sich wünschte. Aber er verbot es sich, seiner Neugier nachzugeben, denn ihre gemeinsame Nacht hatte ihm bereits deutlich gezeigt, dass er nicht so weit war. Eigentlich war es ihm schleierhaft, warum Christian ihm dennoch seine Nummer hinterlassen hatte.

Er schrieb mehrere Textnachrichten und löschte sie wieder. Frustriert sperrte er sein Handy, legte es weg. Tigerte durch seine Wohnung und nahm es wieder zur Hand. Christians Gesicht tauchte vor ihm auf, die dunklen, exotisch anmutenden Augen, das Tattoo, das sich so verführerisch an seinem Oberkörper hinab zog. Konnte man jemanden vermissen, den man kaum kannte? Oder vermisste er viel mehr das, was sein könnte?

An diesem Abend schickte er Christian keine Nachricht, sondern fuhr ins Fitnessstudio und quälte seine Beine, bis diese drohten, unter ihm nachzugeben. Nach seinem Workout wäre er am liebsten zurück in sein Auto gekrochen und war einfach nur froh, dass der Sport ihm die nötige Ablenkung verschafft hatte.

Auch an den nächsten Tagen war die Versuchung einfach eine Textnachricht abzuschicken allgegenwärtig, denn das kurzfristige Event zehrte an seiner Kraft und seiner Selbstbeherrschung. Beinahe jeden Abend tippte er Nachrichten, die er nie abschickte und haderte mit sich.

Felix hatte ihm geraten, zu sich zu stehen. Wenn er dieser Anweisung nachkommen wollte, müsste er ihn endlich anrufen oder den senden Button drücken. Aber er konnte Christian nicht gerecht werden, dessen war er sich sicher. Und verstecken wollte er sich nicht wieder. Warum konnte Christian nicht einfach eine Frau sein? Das würde alles so viel einfacher machen. Ein dünnes Stimmchen in seinem Hinterkopf flüsterte ihm allerdings ein, dass er nicht wie ein verwundetes Tier zwischen Flucht und Angriff verharren würde, wäre dies der Fall.

Eine weitere Woche später, hatte er auch das schreckliche Kundenevent hinter sich gebracht und war in euphorischer Stimmung. Mit Stefanie hatte er sich das ein oder andere Glas Sekt gegönnt, nachdem die Vertreter der Firma sich bei ihnen für die gute Arbeit in so kurzer Zeit bedankt hatten. Er konnte das Grinsen kaum mehr von seinem Gesicht verbannen und der Sekt, der auf frisch auf seiner Zunge prickelte, tat sein Übriges. Noch in der Location zückte er sein Handy und rief den Kontakt auf, der lediglich mit Christian betitelt war.

Danke für den Kaffee! Ich würde mich gerne revanchieren.

Michael

Die Nachricht war verschickt, bevor er sie zweimal gelesen hatte. Das tat er erst, als es schon zu spät war. Sofort stolperte er über das Wort revanchieren. Es hatte definitiv eine Konnotation, die er nicht gewollt hatte. Ihm blieb aber keine Zeit, die Zeilen wieder zu löschen, denn die App zeigte ihm, dass sie bereits gelesen wurde. Er schluckte schwer und beobachtete dann, wie ein Profilbild erschien. Er hatte seine Nummer gespeichert und als Kontakt bestätigt. Ganz so schlimm war seine Nachricht vielleicht doch nicht gewesen? Ob er ihm übelnahm, dass er zwei Wochen gebraucht hatte, um ihm zu schreiben?

Hallo Michael, was schwebt dir denn vor?

Unwillkürlich musste er grinsen, allerdings stellte er sich nun die Frage, was er überhaupt mit seiner Nachricht bezweckte. Aus seiner Laune heraus hatte er sich gemeldet, weil er seine Freude teilen wollte. Weiter hatte er aber nicht gedacht. Tief durchatmend, tippte er wieder. Er wollte ihn wieder sehen, er wollte, dass Christian sich in Zukunft mit ihm freuen würde, wenn etwas Gutes passierte. Er wollte so sehr wieder jemanden in seinem Leben haben, mit dem er seine Gedanken teilen konnte. Jemand, der nicht sein Bruder war. Warum genau er diesen Wunsch auf ausgerechnet auf Christian projizierte, konnte er sich selbst nicht beantworten. Der Sekt schien seine Gedanken zu vernebeln und seine Gefühle zu klären, um ihm zu zeigen, wohin sein Herz wollte und mit einem Lächeln im Gesicht schickte er den nächsten Absatz los.

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