Kapitel 26. 'Die gesamte Geschichte'

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Geschichte. 'Mr. Park~'

Kapitel 26. 'Die gesamte Geschichte'



18. Dezember 2020 - Freitag


Baekhyun hatte nie wirklich an seiner Entscheidung gezweifelt. Er wusste, dass Kyungsoo sie nie gänzlich verstanden hatte, dennoch hatte er immer zu ihm gehalten und ihm gut zugesprochen. Baekhyun selbst war sich immer sicher gewesen, dass er das Richtige tat. Das einzig Richtige. Und Kyungsoo hatte ihm geglaubt. Was wäre Baekhyun aber auch schon für eine andere Möglichkeit geblieben? Welchen anderen Ausweg hätte er gehabt? Denn so wie es gewesen war, konnte es nicht bestehen bleiben. Es hatte sich etwas ändern müssen.

Kyungsoo hatte es nie wirklich sehen können und dem war Baekhyun sich auch bewusst. Deswegen konnte er es seinem besten Freund auch nicht verübeln, dass er es nicht mit vollem Verständnis aufgenommen hatte.
Selbstverständlich waren die unterschiedlichsten Situationen nicht vollständig an ihm vorbeigegangen und zweifelsohne gab es Momente, in denen auch Kyungsoo kritisch seinen Blick verzogen hatte und teils sogar mit Unglauben reagierte. Doch das eigentliche Ausmaß hatte er dennoch nie wirklich erfassen können. Einen winzigen Blick hatte er nur in die Familiensituation von Baekhyun damals erhaschen können und das war nicht mal im Ansatz das, was tatsächlich alles vorgefallen war.

Es war nicht verwunderlich, dass Kyungsoo kein lückenloses Verständnis aufbringen konnte. Von einem auf den anderen Tag berichtete Baekhyun ihm, dass er den Kontakt zu seinen Eltern beendet hatte und selbst, wenn auch Kyungsoo zum Teil Skepsis verspürt hatte, er hatte ein absolut andres Bild von Baekhyuns Eltern gehabt. Ein Bild, dass der Realität nicht ferner hätte sein können. Aber Kyungsoo hatte Vertrauen in Baekhyun. Genug Vertrauen, um Baekhyuns Entscheidung nicht in Frage zu stellen und ihm stattdessen in der ganzen Zeit zur Seite stand. Ohne auch nur einmal ein Wort des Bedenkens oder des Einwandes zu äußern. Erst einige Zeit später hatte Kyungsoo es sich zur Aufgabe gemacht, zu versuchen, Baekhyun zu einem Treffen mit seinen Eltern zu motivieren. Dabei mit möglichster Sorgfalt und mit Verständnis für Baekhyun, wenn dieser das Thema zu umgehen versuchte. Er hatte Baekhyun niemals zwingen wollen, doch er wollte versuchen herauszufinden, was das Beste für Baekhyun war, und dem sollte sich auch Baekhyun sicher sein. Das allein ging nur, indem er mit Baekhyun darüber sprach und dieser sich dadurch mit der Situation auseinandersetzte.
Kyungsoo akzeptiert jede Entscheidung, die Baekhyun diesbezüglich getroffen hatte und stand als sein bester Freund immerzu an seiner Seite.

In all der vergangenen Zeit hatte Baekhyun es nicht ein einziges Mal bereut. Nicht einmal angezweifelt und auch kein einziges Mal darum getrauert. Dass es leicht gewesen wäre, würde er dennoch nicht behaupten. Das war es nicht. Es war alles andere als leicht gewesen und es hatte geschmerzt, seine Eltern, ohne zurückzublicken, zu verlassen, sie zu ignorieren und den Kontakt zu ihnen gänzlich aufzugeben. Es war nicht so, dass Baekhyun aufgehört hatte sie zu lieben. Sie waren seine Eltern und zum Teil hatte Kyungsoo Recht damit, wenn er behauptete, dass sie nur sein Bestes gewollt hatten. Doch leider war sein Bestes irgendwann nicht mehr das, was sie wirklich wollten. Sein Bestes war irgendwann das Beste für seine Eltern gewesen und nicht zuletzt drehte sich alles nur noch um sie. Das war es, was Kyungsoo nie wirklich erfasst hatte, es war das, was Kyungsoo nicht erfassen konnte, und genau das war es, was Baekhyun letztlich dazu antrieb, den Kontakt vollständig abzubrechen. Und all der Frust und all der Schmerz und all die Wut der vergangenen Zeit waren es, die ihm zeigten, dass er nichts zu bereuen hatte.
Es war schrecklich und schmerzhaft für ihn gewesen und ohne Kyungsoo hätte er die Zeit niemals überstehen können, doch es war das Richtige. Dessen war Baekhyun sich immer bewusst.

Baekhyun hatte nicht vorgehabt seine Eltern jemals wieder gegenüberzustehen. Er hatte darüber nachgedacht, wie es sein würde und dass nicht gerade selten. Aber er hatte es sich nicht erhofft. Weil er wusste, dass seine Vorstellungen niemals der Realität entsprechen würden. Wenn er darüber nachdachte, wie es sein würde, hatte er ein Bild von seinen Eltern im Kopf, wie es Kyungsoo von ihnen haben musste. Baekhyun war sich der Wirklichkeit jedoch nur allzu gut bewusst und sie würde ihn nur wieder verletzten. Also hatte er es sich nicht erhofft. Niemals.

Es würde ihn verletzten...

Baekhyun wollte sich der Situation nicht stellen. Auf keinen Fall! Nur war es auch keine Option, Chanyeol darum zu bitten, den ganzen Weg, den sie gefahren sind, wieder zurückzufahren. Nicht, nachdem sie bereits hier angekommen waren. Nicht, nachdem Chanyeol den ganzen Weg bereits auf sich genommen hatte und nicht, nachdem seine Oma sich bereits so auf ihr beider Kommen gefreut hatte. Er spielte mit dem Gedanken, irgendwo hinzufahren und abzuwarten, bis er sich sicher sein konnte, dass sie ungestört und furchtlos das Haus betreten konnten. Doch auch den Gedanken verwarf Baekhyun leider viel zu schnell wieder. Sie waren den ganzen Tag arbeiten, haben lange genug in diesem Auto gesessen und der Abend war auch bereits angebrochen. Es hatte alles keinen Sinn.

Angestrengt versuchte er tief durchzuatmen und sich irgendwie zu beruhigen, sich irgendwie auf dieses Treffen vorzubereiten. Letztlich hatte es keinen Effekt auf ihn und resigniert löste Baekhyun zuerst den Gurt, öffnete dann die Tür und atmete noch einmal tief durch. Er war darauf nicht vorbereitet und würde es wohl auch niemals sein können.

In all der Zeit hatte er gehofft, nie mehr auf seine Eltern zu treffen. Schlimmer wurde es nur durch den Fakt, dass er nicht allein auf sie treffen würde. Dass Chanyeol anwesend war, machte die Lage nicht unweigerlich einfacher – sie macht es komplizierter. Es war zum Kotzen. Viel schlimmer, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Denn in all den Jahren, in denen er darüber nachgedacht hatte, wie es verlaufen würde, sollte Baekhyun ihnen durch einen Zufall doch wieder begegnen, war er allein gewesen. Er hatte nie über einen Freund nachgedacht, der ebenfalls anwesend sein könnte und welche Bedeutung es haben würde.

Unwissend, ob es wirklich das Beste war, stieg Baekhyun aus dem Auto, holte seine Tasche vom Rücksitz und wartete, bis Chanyeol neben ihm auftauchte. In der ganzen vergangenen Zeit hatte Chanyeol nicht ein Wort gesagt. Sein Blick war verwunderlich, wie auch etwas verunsichert gewesen als Baekhyun meinte, er würde ihm seine Eltern vorstellen. Aber kein Wort hatte seine Lippen verlassen. Es war sicherlich nicht so, dass er nicht etwas hätte sagen wollen. Baekhyun konnte förmlich sehen, wie sich sämtliche Fragezeichen in Chanyeols Gesicht abzeichneten. Baekhyun war ihm dankbar, dass er keine seiner Fragen stellte. In diesem Moment war er viel zu überwältigt von all seinen Gefühlen und Chanyeol schien genau das zu spüren und zu wissen – ohne überhaupt von Baekhyuns Familiensituation Bescheid zu wissen. Bis zum heutigen Tag, hatte Baekhyun verhindert, dass es zu einem Gesprächsthema wurde.
Statt irgendwas zu sagen oder zu fragen, trat Chanyeol schweigend an seine Seite, griff nach seiner Hand und drückte sie leicht. Er gab Baekhyun genau das, was er in jenem Moment brauchte. Ein Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des größeren, welches Baekhyun nur schwach erwidern konnte.

Es graute ihm, dass er seine Eltern antreffen würde und noch mehr, dass Chanyeol dabei sein würde. Zugleich musste Baekhyun feststellen und anerkennen, dass er gerade froh darum war, wenn nicht sogar erleichtert, dass er nicht allein sein würde. Dass es ausgerechnet Chanyeol war, verunsicherte ihn zwar, doch es war Chanyeol und es war gut, dass Chanyeol es war, der ihm beistehen würde.

Einen weiteren kurzen Augenblick zögerte Baekhyun noch, weiterhin mit dem Wunsch einfach wieder zu verschwinden, ehe er seine Schultern straffte und gemeinsam mit Chanyeol zu der Tür des Hauses lief. Er hatte das Gefühl, er müsste sich übergeben, als er die Klingel betätigte, doch versuchte er sich nichts weiter anmerken zu lassen und es stattdessen so gut wie möglich zu ignorieren. Er war sowieso schon kurz davor, einfach wieder umzudrehen und zu verschwinden.

„Baekhyun! Oh, wie schön es ist, dich wiederzusehen", begrüßte seine Großmutter ihn direkt, als sie die Tür öffnete. Ein betroffener Blick folgte, den Baekhyun bereits zu deuten wusste. „Es tut mir so leid, ich wusste nicht, dass sie kommen würden. Sie standen plötzlich einfach vor der Tür. Ansonsten hätte ich dir vorher Bescheid gesagt." Schuldbewusst senkte sie den Kopf. Mit ihrem Verhalten und ihrer Aussage bestätigte sie Baekhyuns Verdacht und zerstörte damit die letzte Hoffnung, die in ihm geschlummert hatte.

„Ich weiß."
Natürlich wusste Baekhyun das. Seine Großmutter hatte es zwar nie gutheißen können, dass Baekhyun den Kontakt zu seinen Eltern – zu ihrer Tochter – beendet hatte, aber dennoch immerzu seine Entscheidung akzeptiert. Vielleicht, weil sie die einzige Person aus der Familie war, mit der Baekhyun danach den Kontakt halten konnte, vielleicht weil sie Baekhyun nicht auch noch verlieren wollte, nachdem sein Bruder bereits zu allen Familienmitgliedern, sie eingeschlossen, den Kontakt verweigerte.

Baekhyun lächelte etwas, auch wenn er wusste, dass es gezwungen aussehen musste und wand sich dann zu Chanyeol herum. „Das ist Chanyeol."
„Oh, Chanyeol also. Baekhyun hat mir viel von dir erzählt. Es freut mit wirklich sehr, dass er dich mitgebracht hat und ich dich endlich kennenlernen darf."
Begeistert fing seine Oma an zu strahlen, als sie zu seinem Freund blickte und sich leicht verbeugte. Chanyeol tat es ihr nach, während er hinter einem Räuspern, dass seine Unsicherheit deutlich zeigte, eine Begrüßung hervorbrachte. Seine Nervosität war offensichtlich, nur war Baekhyun sich nicht sicher, ob es an seiner Oma oder an seinen Eltern lag. Vielleicht war es auch die Mischung aus beidem.

„Baekhyun?"
Er hatte gewusst, dass dies passieren würde und dass er nicht drumherum kam, dennoch hatte es ihn wie ein Schlag getroffen, als er die Stimme seiner Mutter hörte. Ein paar Sekunden mehr die ihm erspart worden wären, hätte er sich gerne noch gewünscht. Ein paar Sekunden mehr, um sich besser darauf vorzubereiten. Nur ein paar Sekunden mehr...

Ohne, dass er die Zeit hatte, sich an die Situation zu gewöhnen und ohne, dass er so schnell hätte begreifen können, was passiert, sodass er keinen Möglichkeiten mehr hatte zu reagieren, fand er sich bereits in den Armen seiner Mutter wieder. Sein Blick traf den von Chanyeol und schrei deutlich um Hilfe, während der seines Freundes Verwirrung erkennen ließ. Verständlicherweise, wenn man bedachte, dass Chanyeol den tatsächlichen Grund für Baekhyuns Kontaktabbruch nicht kannte.

Mit der Situation alles andere als zufrieden, drückte Baekhyun seine Mutter von sich und schüttelte mit dem Kopf. Ein wütender Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht gelegt.
Als auch sein Vater in sein Sichtfeld trat, spannte Baekhyun sich nur noch mehr an und wünschte sich, er hätte auf seinen Instinkt gehört, einfach zu flüchten. Flüchten vor genau dieser Begegnung. Vielleicht sogar zu einem gewissen Teil, aus der Angst heraus, seinen Standpunkt nicht länger vertreten zu können und den Fehler zu machen, sie zurück in sein Leben zu lasen. Das durfte er nicht riskieren, wusste aber zugleich nicht, ob er es verhindern könnte. Es fiel ihm beim ersten Mal schon schwer, diesen Schritt zu gehen. Ein weiteres Mal würde er vielleicht nicht überstehen können.

„Wieso hast du dich denn in den letzten Jahren nicht einmal bei uns gemeldet? Hast du überhaupt daran gedacht, was du uns damit antust und wie das Ganze für uns ist?"
Ein beißendes Gefühl bildete sich in seinem Körper, dass ihm nur allzu vertraut war und mit einem sarkastischen Blick sah er seine Mutter direkt an. Sie war älter geworden. Ihre Falten zeichneten sich tiefer in ihrer Haut wieder, als es noch beim letzten Mal der Fall war. Mit einem zynischen Ton antwortete er: „An euch? Nein! Ausnahmsweise habe ich mal nicht nur an euch gedacht. Ich habe allein daran gedacht, was für mich das Beste ist und nicht, wie ich es euch recht machen kann oder was gut für euch wäre."

Nein, Baekhyun bereute seine Entscheidung nicht und er merkte in diesem Augenblick, dass er auch keinerlei Grund dazu gehabt hätte. Kopfschütteln betrachtete Baekhyun seine Mutter, ohne jegliches Verständnis und nur für wenige Sekunden, ehe er die Hand von Chanyeol ergriff und ihn an seinen Eltern vorbei in das Haus führte. Baekhyuns Großmutter, die sichtlich mit der aufkommenden Atmosphäre zu kämpfen hatte, folgte ihnen und mit etwas Abstand Eltern.

„Baekhyun, zeig Chanyeol doch erstmal das Gästezimmer. Dann könnt ihr eure Sachen abstellen und ich setzte in der Zeit Tee auf."

Baekhyun nickte nur. Immer noch spürte er die Wut in sich, die nochmal stärker geworden war, nachdem er die Worte seiner Mutter gehört hatte. Er hatte mit genau solchen Aussagen gerechnet und doch konnte er es nicht wirklich fassen, dass es eben genau das war, was sie als erstes zur Sprache gebracht hatte.

„Wow... Die Stimmung ist ja... mehr als angespannt", flüsterte Chanyeol, als sie in dem kleinen Gästezimmer angekommen waren und Baekhyun die Tür geschlossen hatte. Zittrig entließ dieser die Luft aus seinen Lungen, nachdem er diese angespannt angehalten hatte.
„Ich würde ja vorschlagen hier zu warten, bis sie verschwunden sind und ich würde auch nichts lieber als das machen. Aber sie werde nicht so einfach verschwinden und besonders jetzt nicht, nachdem sie mich gesehen haben. Es würde sich nur unnötig in die Länge ziehen und letztlich immer wieder darauf hinauslaufen, dass ich ihnen erneut gegenüberstehen muss."

„Freust du dich denn gar nicht?"
„Freuen? Hast du ihre Worte denn nicht gehört? Genau das ist es, vor dem ich damals geflohen bin. Genau dieses Verhalten und diesen Aussagen. Sie hat nicht gesagt, wie sehr sie sich freut, dass sie mich endlich wiedersieht und sie hat auch nicht gesagt, dass sie mich vermisst hätte. Keiner von ihnen hat gefragt, wie es mir nach all der Zeit geht, sie allein standen wieder im Mittelpunkt. Es mag nach einer Nichtigkeit wirken, aber das ist es schon lange nicht mehr. Es wäre okay gewesen, wenn es nicht schon immer so gewesen wäre. Das erste, was sie sagt war nicht, dass sie mich vermisst hätte, sondern die Frage, ob ich überhaupt darüber nachgedacht hätte, wie es ihnen damit ergangen ist und was ich ihnen damit angetan habe. Genau das war es, womit ich zu kämpfen hatte. Dauerhaft. Es gab keine ähnliche Situation schon einmal. Nachdem wir uns eine Zeitlang nicht gesehen hatten, war ihr zweiter Satz zu mir, dass ich nerven würde, weil sie fragte, ob sie sich zu mir setzen wolle, um ihnen von meinem Urlaub zu erzählen. Sie hatte keinerlei Interesse mit mir zu reden. Egal was gerade gewesen war, ich musste immer darauf achten, ob es ihnen recht ist und... ja eigentlich musste ich bei allem die Frage im Hinterkopf behalten, ob das was ich gerade mache oder sage oder was auch immer, auch im Sinne meiner Eltern wäre. Ist dir aufgefallen, dass sie dich keines Blicks gewürdigt haben? Sie haben nicht einmal das Interesse daran, dich anzusehen, geschweige denn dich kennenzulernen. Du bist für sie eine Person an meiner Seite und damit nicht wichtig genug, um ihren Egoismus entgegenzukommen."

„Du hast noch nie mit mir darüber gesprochen. Willst du darüber sprechen?"
Baekhyun wand sich Chanyeol vollständig zu und entgegnete seinem Blick. Ein mitfühlender Ausdruck traf ihn und mit einem Mal merkte Baekhyun, wie all die Last und Anspannung von ihm fielen. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus und es beruhigte ihn mehr, als jeder Versucht sich selbst zu beruhigen, die er in den letzten vergangenen Minuten unternommen hatte. Sein Blick wurde weicher als er Chanyeol zu sich zog, direkt in seine Arme und schließlich mit dem Kopf schüttelte. „Nein. Ich möchte wirklich nicht darüber reden. Aber kannst du mich halten? Nur für einen Augenblick, bevor wir wieder zu ihnen gehen müssen? Ich würde gerne nur ein paar Minuten allein mit dir haben."

Chanyeol lachte leicht auf und verstärkte den Druck, was als Antwort genug war. Baekhyun drückte er damit noch enger an sich, was in dem Kleineren ein angenehmes Gefühl hervorbrachte. Beruhigend fuhr Chanyeol mit seinen Händen über den Rücken seines Freundes. Baekhyun schloss die Augen und genoss einfach die Nähe zu Chanyeol. Genau das war es, was er in diesem Moment brauchte. Immer wieder hatte Chanyeol es geschafft ihn zu beruhigen und er war mehr als froh, dass Chanyeol da war und es auch in jenem Moment wieder schaffte ihn zur Ruhe zu bringen. „Ich liebe dich, so unglaublich sehr!"
Chanyeol nuschelte ein „Ich liebe dich auch", während er ihm einen Kuss auf den Haaransatz gab.

Es verging einige Zeit, in der sie nur so dastanden. Genau das hatte Baekhyun gebraucht und für einen kurzen Augenblick konnte er die Angelegenheit mit seinen Eltern vollkommen vergessen. In diesem Moment gab es nur sie beide und keinen anderen, in diesem Augenblick zählte allein Chanyeol. So mit ihm hier zu stehen, gab Baekhyun das Gefühl alles überstehen zu können, solange er einfach nur seinen Freund zur Seite hatte. Mit Chanyeol würde er alles durchstehen können.

„Baekhyun?" Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihrer Zweisamkeit und unzufrieden rümpfte Baekhyun die Nase. Chanyeol grinste über den Anblick des kleineren Mannes, schenkte ihm jedoch noch einen aufmunternden Blick, der ihm verdeutlichte, dass er da sei, egal was kommen möge. Chanyeol würde ihn nicht verlassen und stets an seiner Seite bleiben!

„Komm rein", rief Baekhyun und trat einen Schritt von Chanyeol zurück. Unbewusst griff er jedoch direkt nach der Hand des anderen, als würde er die Nähe zu Chanyeol nicht missen wollen.
„Ich wollte euch nicht stören. Ich wollte nur sichergehen, ob alles in Ordnung bei euch ist. Immerhin seid ihr schon etwas länger weg."
Baekhyun lächelte. „Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Zu mindestens, soweit alles in Ordnung sein kann, wenn man die Umstände betrachtet. Ich brauchte nur noch ein paar Minuten, um mich wieder zu beruhigen."
Verständnisvoll nickte seine Oma, dann wand sie sich Chanyeol zu. „Ich freue m ich wirklich sehr, dass du Baekhyun hierher begleitet hast. Schade, dass es jetzt zu dieser komischen Situation gekommen ist. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass unser Kennenlernen etwas ruhiger verläuft."
„Da können Sie ja nichts für", versicherte Chanyeol mit einem Lächeln, „Und zu Not haben wir auch morgen noch genug Zeit uns kennenzulernen."

Chanyeols typisches Lächeln erschien auf seinen Lippen, welches Baekhyun nicht nur einmal um den Verstand gebracht hatte. Es hatte eine unglaublich positive Art, die ansteckend war und eben genau das schien auch bei seiner Großmutter der Fall zu sein. „In Ordnung. Dann lasst uns wieder zurückgehen."
Baekhyun nickte nur, nicht wirklich überzeugt und mehr widerwillig. Dennoch wartete er einen Augenblick länger, bis seine Oma das Zimmer wieder verlassen hat, um Chanyeol zu mindestens noch einmal zu sich zu ziehen. Er streckte seinen Kopf etwas in die Höhe, um seinem Freund noch einen Kuss auf den Mund zu drücken, der bereitwillig erwidert wurde. Nach einigen Sekunden löste sich Baekhyun, nickte noch mal und nahm eine Haltung an, als würde er in einen Kampf starten wollen. Chanyeol glaubte, dass sein Gedanke an einen Kampf, nicht mal so abwegig war. Auch wenn Baekhyun nie über seine Familie sprach, hatte er bereits bemerken können, dass Baekhyun nicht im besonders Guten mit seinen Eltern auseinandergegangen war und auch nie den Wunsch hatte, wieder mit ihnen in Kontakt zu treten. Die Stimmung, die zuvor von Baekhyun und zum Teil von seinen Eltern ausgegangen war, hatte bereits einen Anflug von Kampf innegehabt. Oh ja, Chanyeol war sich ziemlich sicher, dass ein Kampf gar nicht so unwahrscheinlich war und Baekhyun sich genau darauf vorbereitete. Zudem kannte er Baekhyun inzwischen lange genug, sodass er genau wusste, dass Baekhyun mit seinen Worten sehr direkt sein konnte und er sie wissentlich einzusetzen wusste.

Chanyeol folgte ihm mit wenig Abstand, als würde er genau wissen, dass Baekhyun seine Nähe in diesem Moment am meisten benötigte. Viel zu schnell erreichten sie das kleine Wohnzimmer und immer noch unzufrieden mit der Gesamtsituation setzten sie sich auf eines der Sofas. Seine Eltern saßen ihnen gegenüber, doch Baekhyun versuchte sie keines Blicks zu würdigen. Vielmehr versuchte er zu verdeutlichen, dass er keinerlei Interesse daran hegte, mit ihnen ein Gespräch zu starten.
Natürlich hatten seine Eltern ganz andere Ansichten. Auf was anderes brauchte er gar nicht zu hoffen und erwartet, dass sie seinen Wunsch respektieren würden, hatte er auch nicht. Ein Versuch war es ihm trotzdem wert.
„Baekhyun", es war erneut seine Mutter, die das Wort ergriff, „Wie läuft es denn auf der Arbeit?"
„Welche Arbeit genau meinst du? Meine tot langweilige Büroarbeit, zu der ihr mich motiviert hattet, oder doch meine neue Arbeitsstelle, als inzwischen fertig ausgelernter Dolmetscher?" Baekhyun kniff die Augen zusammen. Seine Frage troff nur vor Sarkasmus. Er hatte gar nicht darauf antworten wollen. Was ging es seine Eltern schon an?

„Wie bitte?" Es war das erste Mal, dass auch sein Vater etwas sagte. Es war zu erwarten gewesen. Nicht einmal eine Begrüßung bekam er, aber wenn die Arbeit zur Sprache kam und besonders in Baekhyuns Fall, bei dem er eine neue Ausbildung abgeschlossen hatte, da mischte sich auch sein Vater ein. „Du bist jetzt Dolmetscher?"
„Ja. Ich habe vor knapp einem halben Jahr meine Ausbildung darin abgeschlossen. Natürlich in verkürzter Zeit und dennoch als Bester aller Abgänger."

„Das ist mein Sohn."
Ungläubig lachte Baekhyun auf. „Das hat rein gar nichts mit euch zu tun! Das war alles mein Verdienst und Chanyeol war es, der mich darin unterstützt und mir Motivation gab."
„Aber denkst du wirklich, dass es die richtige Entscheidung von dir gewesen ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du als Dolmetscher viel verdienst und dass es wirklich eine Aufgabe ist, die du dein Leben lang ausführen wirst. Dolmetscher ist doch auch kein richtiger Beruf, mit dem du was erreichen kannst."

Baekhyun spürte den Blick von Chanyeol. Er hatte sich von Sekunde zu Sekunde mehr verkrampft, den Mund geschlossen und den Blick gesenkt.
Seine Mutter hatte Tränen in den Augen. Natürlich! Es hatte kaum einen Tag gegeben, in den letzten paar Jahren, in welchen sie noch den Kontakt zueinander hatten, in welchem seine Mutter nicht mindestens einmal angefangen hatte zu weinen. Sei es gewesen, weil ihr alles zu viel geworden war, sei es das versalzene Essen oder etwas, das kaputt gegangen war. Angefangen waren die Auslöser wirkliche Katastrophen, die sie in eine finanzielle Miese gestürzt hatten, bis irgendwann die einfachsten Sachen zu einem Auslöser wurden, die seine Mutter zum Weinen gebracht hatte. Es hatte Baekhyun immer wieder aufs Neue das Herz zerbrochen. Neben all dem toxischen Verhalten waren das Zusammenleben und der Kontakt zu seinen Eltern nur noch eine reinste emotionale Belastung.

„Baekhyun, du hast dich damals für einen sehr guten Beruf entschieden, der dir viele Chancen und Möglichkeiten bietet. Auch finanziell wärst du damit abgesichert gewesen. Und anstatt deine Zeit deiner Mutter zu widmen und ihr eine Stütze zu sein, verbringst du deine kostbare Zeit mit einer Ausbildung, die dir keine so gute Absicherung bietet und mehr ein Zeitvertreib, als ein wirklicher Beruf ist? Weißt du eigentlich, wie schwer die letzten Jahre für uns gewesen sind? Was glaubst du, was wir alles machen mussten, während du solch einen Unfug angestellt hast?"

Baekhyun war still geworden. Er versuchte nicht auf die Worte seines Vaters zu hören, sie einfach zu ignorieren. Aber er schaffte es nicht. Sein ganzer Körper stand unter Anspannung, als würde er jeden Moment explodieren. Seine Augen zuckten zu Chanyeol, doch er wagte es nicht, seinen Blick komplett zu seinem Freund zu richten.
Seine Schultern sanken herab. Er kapitulierte. All das hatte er bereits durchlebt. Inhaltlich möchten sich die Situationen vielleicht unterscheiden, doch die Situationen an sich, waren doch allesamt die gleichen. Es hatte weder einen Sinn und Zweck, noch würde es etwas bringen, wenn er Widerworte gab. Sie würden nur an seinen Eltern vorbeigehen, seine Worte würde ihm im Munde verdreht werden und egal, was er auch ansprechen würde, seine Eltern würde eine Möglichkeit finden, wie sie das Gesagt auf sich beziehen könnten und wie sie Baekhyun ein schlechtes Gewissen einreden würden.

„Dass du nicht einmal zu uns gekommen bist, in all der Zeit. Wir haben immer so viel für dich gemacht und zu jeder Zeit mussten wir für dich springen, aber wenn es einmal um uns geht, fühlt sich niemand dazu verpflichtet."

Wie viele Jahre waren vergangen? Inzwischen war er 25 Jahre alt. Seit neun Jahren hatte er seinen Bruder nicht mehr gesehen, nicht mehr gehört. Den Kontakt zu seinen Eltern hatte er vor sechs Jahren abgebrochen. Sechs Jahre! Doch es hatte sich rein gar nichts verändert.
„Wenn ihr nicht freiwillig verschwinden wollt, meinetwegen." Baekhyuns Stimme war leiser als gewöhnlich. Er hatte nicht die Kraft sich damit auseinanderzusetzen. Eine angespannte Unterhaltung hätte er überstanden. Vielleicht sogar, wenn sie den Egoismus seiner Eltern an einigen Stellen in sich gehabt hätte. Aber das hier, dass konnte er sich nicht antun. Nicht erneut. Dabei hatte es noch nicht mal das reguläre Ausmaß angenommen, mit dem sich Baekhyun einst befassen musste. „Aber nur weil ihr hier seid, muss ich hier nicht sitzen."
Baekhyun stand gerade auf und war dabei das Zimmer zu verlassen, als Chanyeol ebenfalls aufstand.

„Bei allem Respekt, soweit ich jetzt noch etwas davon aufbringen kann, aber Sie gehen eindeutig zu weit. Baekhyun kann seine eigenen Entscheidungen treffen, ohne dafür eine Bewertung von Ihnen zu bekommen und er hat sehr gute Entscheidungen getroffen. Ich mag Sie nicht kennen, aber Sie haben keinerlei Anrecht darauf, so mit Baekhyun zu sprechen! Wenn Sie ihm nicht mal einen Funken Achtung entgegenbringen können, dann haben Sie auch kein Anrecht darauf, solche Forderungen zu stellen."

Verwundert blickte Baekhyun zu seinem Freund. Chanyeol wirkte nicht mehr überfordert mit der Situation. Viel mehr schien er nun auch eine Art von Wut in sich zu spüren und eben diese hatte er gerade zur Sprache gebracht und das mit einer Ruhe, die Baekhyun faszinierte und noch mehr beeindruckte ihn, dass Chanyeol Partei für ihn ergriff und ihn vor Baekhyuns Eltern verteidigte. Baekhyun hatte nicht verlangt und auch nicht erwartet, dass Chanyeol es überhaupt wagen würde, aber es erfüllte ihn mit einem unglaublichen Gefühl. In diesem Moment merkte er deutlich, wie seine Liebe zu Chanyeol stärker wurde.

„Und nur damit Sie es wissen: Baekhyun macht einen wunderbaren und wichtigen Job, in dem er sehr gute Arbeit leistet. Als sein Vorgesetzter, kann ich dies besser einschätzen als Sie beide. Ihr kennt Euren Sohn doch inzwischen gar nicht mehr und habt keine Kenntnis darüber, was sein Beruf bedeutet und wie anstrengend er sein kann. Aber das wohl wichtigste dabei ist, dass er mit seiner Arbeit glücklich ist! Das war er mit seinem alten Job nicht."




„Ich verstehe jetzt, was du gemeint hast", murmelte Chanyeol und ließ sich auf da Bett fallen. Erschöpft nickte Baekhyun und setzte sich neben seinen Freund. „Sind sie immer so mit dir umgegangen?"

„So? Das war noch harmlos:"
„Wirklich? Das ist ja mehr als herabwürdigend gewesen und ich habe dich noch nie so still erlebt..."
„Keine Sorge, Chanyeol. Einschüchtern können die mich schon lange nicht mehr. Ich habe einfach nur gelernt, dass es keinen Sinn hat, auf ihre Worte einzugehen. Wie gesagt, sie drehen mir sowieso alles im Munde herum und hätte ich versucht etwas zu sagen, dann hätten sie mich sowieso nur unterbrochen und mir immer wieder dazwischengeredet. Man lernt irgendwann, wann es Sinn hat Widerworte zu geben und wann es keinen Sinn hat. Das Beste in einem solchen Fall ist dann, sie einfach reden zu lassen und die Worte an einem vorbeiziehen zu lassen. Letzten Endes hat es nie etwas gebracht, wenn ich eine andere Meinung als sie hatte oder gegen sie geredet habe. Entweder war ich noch zu jung und zu unerfahren oder ich liege sowieso falsch, würde aber behaupten, meine Eltern wären ständig im Unrecht. Im besten Fall läuft es darauf hinaus, dass man in einer endlosen Diskussion endet, bei der meine Argumente sowieso nicht ernst genommen werden, wie eigentlich alles nicht ernst genommen wird, was ich sage. Im schlimmsten Fall wissen im Nachhinein alle darüber Bescheid, dass ich meine Eltern "kritisiert" habe und was für ein "schlimmer" Sohn ich eigentlich bin. Meist aus der Folge heraus, dass die Geschehnisse von ihrer Seite heraus so verdreht werden, wie es eigentlich gar nicht vorgefallen war."

Ungläubig schüttelte Chanyeol mit dem Kopf. Baekhyun konnte erkennen, dass die Situation auch ihn erschüttert hatte. Sie war nicht einfach so an ihm vorbeigegangen. Chanyeol selbst schien in diesem Moment mit seinen Emotionen zu kämpfen. Für Baekhyun war es von vornherein belastend gewesen. In dem Moment, als er begriffen hatte, dass das fremde Auto seinen Eltern gehörte und er auf sie treffen würde, waren all seine Gefühle das reinste Chaos gewesen und die Situation im Wohnzimmer hatte das Ganze nur noch verstärkt.

„Ich verstehe dann nur nicht, wieso Kyungsoo immer wollte, dass du den Kontakt zu ihnen wieder aufbaust und er immer behauptete, dass sie nur das Beste für dich gewollt hätten. Den Eindruck, den deine Eltern gerade mir gegenüber gemacht haben, passt nicht zu den Worten von Kyungsoo. Viel mehr hatte ich das Gefühl, dass sie keinerlei Interesse an dem haben, was für dich das Beste ist und schon allein wie sie mit dir umgegangen sind... Ich hätte dich am liebsten von ihnen weggezogen und so weit wie möglich von ihnen weggebracht. Ich versteh vollkommen, wieso du den Kontakt abgebrochen hast und das nur nach so wenigen Minuten. Wieso ist Kyungsoo da anderer Meinung?"

„Kyungsoo hat meine Eltern zu einem anderen Zeitpunkt kennengelernt als du. Ich hatte dir bereits erzählt, dass sie immer viel Arbeiten waren und mein Bruder sich viel um mich kümmern musste. Damals waren sie zwar oft nicht zu Hause, aber dennoch haben sie immer viel für uns getan und zumindest versucht, soviel Zeit wie nur irgendwie möglich mit uns zu verbringen. Sie haben sich sehr für uns eingesetzt, auch wenn sie selten richtig da waren. Irgendwann hat das aber umgeschlagen und sie haben immer mehr Wert auf ihre eigenen Interessen gelegt. Ich würde es ihnen nicht verübeln, wenn das Ganze nicht zu unserem Wohl passiert wäre. Kyungsoo hat in der ganzen Zeit nicht viel davon mitbekommen. Es gab Situationen, in denen meine Eltern Aussagen gebracht haben, die auch Kyungsoo mitbekommen hat und auch Kyungsoo war nicht ansatzweise davon begeistert gewesen. Aber es war schlimmer, wenn keiner da war, und unsere Eltern mit uns alleine waren. Wenn Besuch da war, konnten meine Eltern unglaublich freundlich sein, sodass Außenstehende den Umschwung nicht zwangsläufig mitbekommen konnten, den meine Eltern durchlaufen haben. Kyungsoo kennt meine Eltern nicht so, wie du sie gerade kennengelernt hast. Wäre er an deiner Stelle heute da gewesen und hätte er das mitbekommen, was du mitbekommen hast, dann würde er seine Meinung ganz schnell ändern. Ich habe ihm zwar die ganze Lage erklärt und immer wieder mit ihm darüber gesprochen, aber meine Erzählungen passten nicht mit dem Bild überein, dass er noch von meinen Eltern hat. Er glaubte mir und vertraute mir auch. Er würde mich auch niemals dazu drängen, wieder den Kontakt herzustellen, aber er kann sich die Situation nicht wirklich vorstellen, weil es ein sehr großer Unterschied zu dem ist, wie er meine Eltern noch kennt und für ihn kam es sehr plötzlich. Zu der Zeit habe ich zwar zwischenzeitlich meinen Unmut bei Kyungsoo ausgelassen und wir hatten auch über die Situationen gesprochen, die er mitbekommen hat, aber neben ein paar Bemerkungen hatten ich zu der Zeit nicht so oft das Gespräch mit Kyungsoo aufgesucht. Erst nachdem ich den Kontakt schon abgebrochen habe, hatte ich mit ihm über die Lage gesprochen."

Baekhyun hatte nie wirklich mit Chanyeol über seine Familie gesprochen und eigentlich auch mit keinem anderem, wenn es nicht gerade Kyungsoo gewesen war. Immer wieder hatte er versucht das Thema Familie bei seinen Freunden zu umgehen, oder hatte sich einfach nicht an solchen Gesprächen beteiligt, wenn er die Gefahr lief, über sich selbst zu sprechen. Kyungsoo war der Einzige, der ihn jemals darauf angesprochen hatte und es bis zum heutigen Tag auch immer noch tat. Seine Freunde hatten es einfach hingenommen, dass Baekhyun nicht über seine Familie sprach und keine Fragen diesbezüglich gestellt. Chanyeol war die erste Person, die angefangen hatte, seine Familie zu einem Thema zu machen und Chanyeol war neben Kyungsoo auch die einzige Person, die er überhaupt mal etwas dazu erzählt hatte und das, worüber sie bisher geredet hatten, beschränkte sich auf wenige Sätze. Es war das erste Mal, dass er tatsächlich im Detail mit jemand anderem als Kyungsoo darüber sprach. Aber es war okay. Mit Chanyeol über dieses Thema zu sprechen war okay für ihn, selbst, wenn er sich an einzelne Geschehnisse wieder erinnerte und diese sogar zur Sprache brachte. Chanyeol hatte mitbekommen, wie seine Eltern sich ihm gegenüber verhielten und noch viel wichtiger war, dass Baekhyun Chanyeol vollkommen vertrauen konnte. Allein, dass Chanyeol für ihn das Wort ergriff und versuchte Baekhyun zu verteidigen, hatte ihm verdeutlicht, dass Chanyeol für ihn da war.

Chanyeol wiederum zeigte großes Interesse daran, Baekhyun bei seiner Erzählung zuzuhören. Je länger Baekhyun sprach, desto weiter hatte er sich zurückgelehnt, sein Blick dabei fest auf seinen Freund fixiert. Mit seiner Mimik und leichten Gesten, sprach er mit Baekhyun, ohne tatsächlich etwas sagen zu müssen. Und Baekhyun fühlte sich dabei wohl. Es trieb ihn dazu an, immer weiterzusprechen.

„Und es sind ja nicht nur solche Situationen gewesen, wie die von heute, oder die eben angesprochenen. Abgesehen davon, dass sie mich eigentlich niemals ernst genommen haben, mich oftmals nicht zu Wort kommen gelassen haben, mir die Worte im Mund verdrehten oder auch alles, was gerade Thema wurde, zu einem Thema drehten, das sie wieder auf sich beziehen konnten, damit sie wieder im Vordergrund stehen und dabei besonders ihre ach so schlimmen Probleme. Ihr Egoismus, der über die Jahre gewachsen ist und das sich die Welt nur noch, um sie zu drehen hatte, waren nur eines der Dinge, die vorgefallen waren und die mich angetrieben haben, mich von ihnen zu distanzieren. Es war schon schwer genug damit zu leben. Immerhin durfte ich nicht mit Freunden raus gehen, weil ich dann zuhause keine Hilfe sein konnte. Mir wurde der Vorwurf gemacht, dafür und für eigentlich alles Zeit zu haben, aber nie Zeit für meine Eltern und damit verbunden, wurde mir vorgehalten, was sie alles für mich machen mussten."

Baekhyun verzog immer wieder missmutig das Gesicht, während er von den vergangenen Situationen sprach. Es fiel ihm deutlich schwer, sie in Worte zu fassen und wieder zu einem Thema zu machen, sie damit erneut zu durchleben. Er merkte, wie die Wut, die er damals bereits verspürte, wieder in ihm hochstieg. Zugleich merkte er auch, ein unglaublich angenehmes Gefühl, wenn er mit Chanyeol darüber sprach. Es war anders als mit seinem besten Freund. Kyungsoo beteiligte sich an dem Gespräch und brachte eigene Inhalte mit ein, eigene Gedanken und eigene Meinungen. Kyungsoo wollte verstehen und herausfinden, wie er Baekhyun helfen konnte. Chanyeol hingegen saß einfach da, sein Blick aufmerksam auf Baekhyun gerichtet und interessiert daran, was Baekhyun ihm erzählte. Er wollte nicht unbedingt Teil des Gesprächs sein, vielmehr wollte er einfach nur da sein für Baekhyun, indem er ein stiller Zuhörer war. Er wollte die Geschehnisse kennenlernen.
Mit Kyungsoo darüber zu sprechen war nicht schlechter, als diese Art von Gespräch, die er mit Chanyeol führte, aber es war anders und manchmal brauchte er nur jemanden, der ihm zuhörte. Einfach nur zuhörte, wie Chanyeol es tat. Es passte perfekt. Kyungsoo als sein bester Freund, Chanyeol als sein Freund. Seine wichtigsten Menschen in seinem Leben und sie passten perfekt in dieses hinein.

„Am Anfang war es wichtig, dass ich viel für die Schule lernte. Am Ende wurde es zu einem Problem, dass ich so viel gelernt habe und sie haben meine guten Noten als selbstverständlich wahrgenommen, als würde ich dafür nicht ständig lernen müssen. Es hieß dann immer, dass ich auch ihnen helfen muss, auch wenn ich in einer Prüfungsphase gesteckt habe und am liebsten wurde das damit begründet, dass ich doch ab und an auch mal eine Pause gebrauchen könnte. Ich hatte immer an meine Eltern zu denken und auch nur einmal an mich selbst zu denken, wäre fatal gewesen. Es wäre falsch von mir gewesen. Wie alles falsch von mir war. Ich brauchte auch gar nicht davon anfangen zu sprechen, wenn ich mal viel zu tun hatte. Egal, ob aufgrund der Schule oder der Ausbildung, oder selbst, wenn ich nur mal erwähnte, dass es mir nicht gut ginge. Als Antwort erhielt ich nur, wie schlimm es ihnen doch erging oder wie viel Stress sie doch hätten. Sie haben es immer wieder geschafft, alles auf sich zu beziehen und meine Aussagen wurden immer unbedeutender."

Baekhyun musste aufgrund der Erinnerungen auflachen, noch mehr aber aufgrund Chanyeols Blicks, den er in jenem Moment erhielt. Die Mimik, die Körpersprache seines Freundes schrie nur so vor Fassungslosigkeit. Mit leicht geöffnetem Mund und die Augen entsetzt geöffnet schüttelte er mit dem Kopf. Ein paar Mal versuchte er zum Sprechen anzusetzen, doch gab er nach wenigen Sekunden den Versuch auf, atmete angestrengt aus und schüttelte ein weiteres Mal mit dem Kopf. Chanyeol war eindeutig sprachlos. Baekhyun seufzte.

„Wie gesagt, das ist nur ein Grund gewesen, wieso ich mich von meinen Eltern abgewendet habe. Das war ihr Egoismus. Aber es war auch emotional für mich irgendwann nicht mehr tragbar. Mein Vater war in der Hinsicht weniger ein Problem. Bei ihm hatte ich die Probleme mit dem Egoismus und wie man heute vielleicht auch gemerkt hat, ist ihm der Beruf und der Erfolg sehr wichtig. Auch bei mir. Das Problem lag mehr bei meiner Mutter. Ich weiß nicht, ob ihr alles irgendwann zu viel wurde und sie es sich nicht eingestehen wollte, oder was auch immer es war, aber sie hatte nur noch geweint. Jeden Tag. Wenn irgendwas nicht ganz so passte, wie sie es wollte, dann fing sie an zu weinen und merkbar konnte sie mit den Situationen nicht mehr umgehen. Ich habe versucht ihr eine Unterstützung zu sein und ihr soweit es möglich war, zu helfen, aber das hat kaum etwas gebracht. Und am Ende lief es eh wieder darauf hinaus, dass ich sowieso alles falsch mache, was die Situation meistens nur wieder verschlechterte. Es ist eine unglaubliche Belastung für ein Kind, seine Mutter so zu sehen. Egal wie alt man inzwischen ist. Aber das konnte ich irgendwann nicht mehr ertragen. Ich bin selbst daran zerbrochen."

Chanyeols Blick wurde sanfter, als Baekhyun bei seiner Erzählung die Stimme gesenkt hatte und damit verdeutlichte, dass es ihm noch heute schwer traf, wenn er an solche Situationen zurückdachte. „Seine eigene Mutter derart emotional zu sehen, tut weh, aber auch hier habe ich irgendwann an mich denken. Ich konnte das nicht mehr tragen, ohne mich selbst darin zu verlieren."
Verstehend nickte Chanyeol. „Du brauchst dich nicht schuldig fühlen. Ich verstehe dich."
Baekhyun lächelte leicht und drückte die Hand von Chanyeol, nach welcher er irgendwann im Laufe des Gesprächs gegriffen hatte.

„Es gab auch keine richtigen Gespräche mehr, die wir untereinander geführt haben. Ich habe die Kommunikation meistens abgebrochen, wenn ich merkte, dass mir sowieso nicht richtig zugehört wird und erst recht, wenn es plötzlich wieder nur um meine Eltern ging. Die einzigen Gespräche, die noch stattgefunden haben, waren irgendwelche Streitigkeiten. Eine ruhige Unterhaltung hat es so selten nur noch gegeben, dass ich lieber gar nicht mit ihnen gesprochen habe."

„Danke."
Verwirrt legte Baekhyun leicht den Kopf auf die Seite. „Wofür?"
„Dafür, dass du mir das erzählt hast. Seit wir uns kennen, hast du nur in wenigen Sätzen über deine Familie gesprochen und ich konnte dir anmerken, dass du auch nie wirklich das Interesse hattest, darüber zu sprechen. Danke, dass du mir so sehr vertraust und es mir erzählt hast."

Baekhyun lächelte. Er hatte Chanyeol immer schon vertraut, nur wollte er nie über das Thema sprechen. Heute war ein anderer Tag, der ihm verwehrte, das Thema zu umgehen und doch war Baekhyun froh darum, dass er endlich mit Chanyeol darüber sprechen konnte. „Es war nicht so, dass ich es dir gegenüber verschweigen wollte..."
„Das weiß ich. Es war schwierig darüber zu sprechen und nach allem, was ich mitbekommen habe und besonders nach allem, was du erzählt hast, kann ich das auch nur allzu gut verstehen."
„Es ist so viel mehr als nur schwer und ich weiß, dass ich nicht wirklich in Worte fassen kann, was damals alles vorgefallen ist. Das Ganze war... schlimmer? Keine Ahnung wie ich es beschreiben soll Aber was ich eben erzählt habe, wird es vermutlich nie so darstellen können, wie es wirklich passiert ist und noch weniger, was es emotional für mich bedeutet hatte, dass tagtäglich zu durchleben."

Chanyeol rückte näher an Baekhyun und zog ihn für einen kurzen Kuss zu sich. Baekhyun fühlte sich wohl und aufgehoben, als sein Freund sich wieder von ihm löste und die Stirn gegen seine drückte. Ein liebevoller Blick, in dem Baekhyun all die Liebe erkennen konnte, die Chanyeol für ihn empfand, entgegnete ihm.
„Wenn du darüber reden willst, dann bin ich da. Erzähl mir, wie es wirklich war, erzähl mir all die Situationen, die vorgefallen sind, wenn es dir hilft darüber zu sprechen und wenn nicht, dann beende das Thema. Du musst nicht weiter mit mir darüber sprechen. Aber ich bin dir dankbar, dass du mir überhaupt davon erzählen mochtest."

Und wieder lächelte Baekhyun, während er sich wieder ein Stück mehr in Chanyeol verliebte, ohne zu wissen, dass es überhaupt möglich war, ihn noch mehr zu lieben, als er es sowieso schon tat.
Und er sprach weiter. Die ganze Nacht bis in die frühen Morgenstunden.



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#Update: 28. Januar 2023

Mr. Park~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt