16. Kapitel - Schicksalsschlag

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"Sei immer größer als deine Angst, Lili."

"Nein." Jolie stolperte auf dem Ast zurück, um Abstand zwischen sie zu bringen. Auch wenn sie nicht genau wusste, was sich hinter diesem Wort verbarg, packte sie eine unendliche Wut - auf die Herbarianer und auf sich selbst, dass sie reingefallen war.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwammen und jetzt zählte nur eins: Sie musste ihre Stadt retten.

Jolie blickte der Herbarianer-Jolie direkt in die Augen. "Ihr seid doch kollektiv. Indem ich zu dir spreche, spreche ich zu euch allen: Was immer ihr vorhabt, ob ihr an mich glaubt oder nicht, ich werde meine Stadt retten. Und wenn ich kann, mache ich auch meinen Fehler mit der Vernichtung eurer Herbarien wieder gut."

Ihr Gegenüber blieb ausdruckslos. "Zu spät."

"Dann eben so: Teppich! Jack!", rief Jolie.

Sie riss den gelben Ball hervor und schleuderte ihn genau auf die Herbarianerin. Diese sprang jedoch auf den nächsten Ast. Der Ball explodiert am Stamm und ließ die Traum-Bäume klirren.

"Du störst die Ruhe der Schöpfung", sprach die sie genervt.

Dann traf sie etwas von hinten und ließ sie auf dem Ast stolpern. Ein großer, hellgelber Fleck prangte auf ihrem dunklen Umhang.

"Das sagt die Richtige", zischte Jack. Er stand auf dem Teppich, der zwischen den Ästen schwebte. In der Hand hielt er einen weiteren explosiven Ball.

Er warf ihn. Der Ball zischte an der Herbarianer-Jolie vorbei, doch Jack hatte auch nicht auf sie gezielt. Er traf den Buntglasgeier, der daraufhin orientierungslos Kreise flog. Diese Ablenkung nutzte Teppich, um auf Jolie zuzufliegen. "Spring!"

Sie sprang und Jack griff ihre Hand. Er zog sie neben sich. Etwas stach Jolie in die Seite und sie erinnerte sich an die Feder aus buntem Glas. Hastig zog sie sie hervor und hielt sie sich vor die Augen.

Der Buntglasgeier war umgeben von leuchtenden Flecken, so viel, dass er vermutlich gar nichts mehr sah - was etwas heißen musste. Denn die ganze Traum-Baum-Manufaktur war gefüllt mit leuchtenden Flecken, mit frischer Fantasie-Energie, die sie zuvor nicht wahrgenommen hatte.

Lerne hinzusehen.

"Was ist das für ein gelbes Pulver?", rief Jolie, als der Teppich einen wagemutigen Schlenker zwischen den Ästen machte.

Jack sah nicht zufrieden aus. Grimmig blickte er über ihre Schultern zur Herbarianerin zurück, die sich aufrappelte. "Hinterher!", forderte sie den Buntglasgeier auf, doch dieser war zu abgelenkt. Alleine konnte sie nicht fliegen. Frustriert stampfte sie auf den Ast.

Aber Jolie wusste, dass jetzt alle Herbarianer von ihrer Flucht wussten. Sie wussten, dass sie zu ihrer Stadt kommen würde.

"Die habe ich Mal von der Tagtraum- und Nachttraum-Fabrik geklaut. Es sind Kugeln aus Blütenstaub."

Jolie erinnerte sich - Blütenstaub, der zum Träumen anregte.

"Nein", widersprach Jack, bevor sie die Frage stellen konnte. "Glaub mir, das haben wir schon versucht. Wir haben deine Stadt förmlich mit Blütenstaub überschüttet und sie hat sich keinen Millimeter im Ozean geregt."

"Aber gegen die Geier hilft es?"

"Kurzfristig, ja."

Jolie sah zurück, wo der Blütenstaub verflog und das Buntglasgeier-Baby wieder klar sehen konnte. Es startete die Verfolgung und Jolies Gedanken rasten. "Hast du noch mehr?"

"Nur noch zwei. Aber wir können zur Fabrik und mehr holen", bot Jack angespannt an. Er drückte sie auf dem Teppich runter, als sie zwischen hunderten Städten durchflogen. Weniger Widerstand, mehr Tempo. Der Wind riss an Jolies Kleidung und an ihren Haaren, während sie schneller als ein Pfeil durch die Luft zischten.

Die Stadt der wandernden TräumeWhere stories live. Discover now