Kapitel 75

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Freitag, 06. Juli 2018 (Weiterführung Prolog)

Meine Finger strichen wie von selber über die Erde. „Ich wünschte, ich würde neben euch liegen", ich lachte ironisch auf, „Wieso können wir nicht die Plätze tauschen? Ihr hättet es viel mehr verdient hier an meiner Stelle zu sein."

Ich schluchzte auf und setzte mich ein wenig anders hin, sodass ich meine Arme um meine Unterschenkel schlingen konnte.

„Es ist einfach so verdammt unfair", ich schniefte leicht und holte tief Luft, „Ihr wisst das genau. Wieso nur ihr beide? Wieso nicht ich, verdammt nochmal? Wir waren doch immer zu dritt. Wegen mir seid ihr noch einmal zurück gegangen. Ich habe es nicht verdient. Ich hatte euch damals nicht verdient. Was soll ich nur ohne euch machen? Ich bin schon zu schwach, um euch bei Tag und mehr als einmal im Jahr zu besuchen. Was soll das alles? Ich verstehe es einfach nicht. Das Leben ist so verdammt unfair."

Einen Moment hielt ich mit meinen Bewegungen beziehungsweise Erzählungen inne, da ich etwas gehört habe. Als es weiterhin still blieb, wischte ich mir die Tränen weg. Wahrscheinlich trieb hier nur ein Tier sein Unwesen. Kein großer Grund zur Sorge.

Kaum einer würde sich nachts auf den Friedhof trauen und doch, saß ich hier. Mit einer Perücke auf dem Kopf. Wie bizarr das doch einfach alles ist.

„Mum und Dad geben es nicht zu, doch ich weiß, dass sie euch vermissen", fing ich an und seufzte, „Alle vermissen euch. Wie kann man euch nicht vermissen? Sie tun vor mir auf stark, doch ich sehe und weiß es ganz genau. Mum, die jedes Mal noch jeweils einen Teller auf den Tisch stellt, da sie verdrängt hat, was passiert ist und Dad? Dad, ach ihr kennt ihn doch. Manchmal steht er vor eurer Zimmertür und traut sich nicht, den Raum zu betreten. Er denkt, ich würde es nie sehen, doch meistens stand ich genau hinter ihm. Ich wollte sehen, ob er mehr Mumm hat, als ich. Vor mir ist er fröhlich, doch auch nicht mehr wie früher. Die Fröhlichkeit ist wohl mit euch gegangen."

Ich grinste schief, obwohl mir gar nicht danach zu Mute war. Der Wind pfiff um meine Ohren und peitschte mir die braunen Haare in mein Gesicht, weswegen ich meine Kapuze aufzog.

„Ich denke mal, ihr kennt schon die Worte, die ich euch jedes Mal sage. Wahrscheinlich seid ihr schon genervt von mir", ein unerklärlicher Laut kam von mir und ich beugte mich vor, um die beiden Rosen hinzulegen, „Na dann. Ich habe euch genug voll geheult. Wir sehen uns in einem Jahr wieder."

Wackelig stand ich auf und drehte dem Grab den Rücken zu. Die Perücke holte ich unter meiner Jacke hervor und stopfte sie unachtsam in meine Jackentasche. Ich hatte meine Forderung erfüllt. Für mehr würde ich sie nicht gebrauchen. Trotzdem verstand ich immer noch nicht den Grund hinter dieser Aktion.

Manchmal waren Menschen eben unvorhersehbar. Einen Moment starrte ich in die Dunkelheit.

„Ihr wisst, dass ich es nicht kann", murmelte ich als Antwort zurück, obwohl keine Anschuldigung kam, „Es ist schon jetzt schwer genug, euch beide zu besuchen, doch ich habe es mir geschworen und euch versprochen. Indianerehrenwort, habe ich Recht?"

Ich schnaufte und mir entwich auch ein Schluchzen, doch die Tränen konnte ich noch zurückhalten. Einzig und allein meine Augen verrieten, dass ich jederzeit anfangen könnte, zu weinen.

Meine Augen badeten in einem See, voller Sehnsucht, Verzweiflung und dem Wunsch, nicht mehr zu leben. Ich bedachte beide Gräber jeweils noch mit einem Blick, als würde plötzlich eine Antwort ertönen, doch schlussendlich entfernte ich mich mit eiligen Schritten von dem Grab.

Das, was auf den Gräbern stand, würde ich jedoch nie vergessen können. Dieses Bild brannte sich für immer in meinen Gedanken:

Henry Auguste Yael Tamlin. Geboren am 31.08.1996, gestorben am 06.07.2009. „Stagnation macht meinen Geist rebellisch! Geben Sie mir Probleme, geben Sie mir Arbeit!" - Sherlock Holmes.

Just hold on /Niall Horan/Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt