5|missing piece

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Saphira

Den Rest von dem, was sie sagt, nehme ich gar nicht mehr wahr. Alles rauscht und ist zu ruhig auf einmal. Alles steht still, dreht sich jedoch gleichzeitig viel zu schnell. Ich habe das Gefühl, dass mein Herz aufgehört hat zu schlagen und doch kann die Geschwindigkeit, in welcher es schlägt, nicht normal sein. Kalter Schweiß bricht mir aus und es fröstelt mich, als der Ventilator in meine Richtung schwenkt. Durch die Hitze, die ich vorhin im Café verspürt habe, erscheint es mir beinahe wie in einer Tiefkühltruhe.

Ihre Eltern... verstorben... ihre Eltern... verstorben...

Diese Worte wiederholen sich in Dauerschleife wie bei einer kaputten CD. Mein Kopf beginnt zu hämmern und ich bekomme keinen Sauerstoff. Jeden Moment kippe ich um, also kralle ich meine Finger in das Holz des Tisches vor mir.

Unweigerlich tritt das atemberaubende Gesicht meiner Mutter vor meine Augen. Ich sehe sie noch vor mir, wie wir heute Vormittag zu viert das Puzzle fertig gemacht haben. Das Lachen meines Dads ertönt in meinen Ohren. Wir haben dich lieb. Hab einen schönen Tag. Ich halte mir die Ohren zu. ...einen Sonntag hätten, bei dem du nicht so hetzen musst, oder? Schönen Tag. Freudlos lache ich auf, als ich die Stimme von meiner Mom im Ohr habe, wie sie mir das gesagt hat, bevor ich aus dem Haus bin. Klar ist es ein schöner Tag. Die Sonne scheint, wir haben gute Temperaturen und ich habe viele Gäste, was viel Trinkgeld heißt. Doch das alles spielt keine Rolle. Nicht mehr.

All die Momente mit meinen Eltern brechen über mir zusammen, bis auf einmal das Gesicht meiner kleinen Schwester vor mir auftaucht. Ich ringe nach Luft.

„Claire?", kommt es atemlos von mir.

„Was?"

„Claire. Was ist mit Claire? Wo ist sie? Geht es ihr gut? Wo ist sie?"

Miss Young lächelt mich an. „Sie war nicht im Auto", erklärt sie.

Sofort habe ich Horrorszenarien vor meinem Auge, wie sie aus dem Fenster hätte geschleudert werden können und nun irgendwo auf der Straße oder im Busch liegt. Dann fällt mir jedoch wieder ein, dass meine Eltern heute zu Freunden fahren wollten und deswegen Claire zu ihrer Freundin aus dem Kindergarten gebracht haben. Erleichterung durchflutet mich. „Ok." Tonlos kommt dieses eine Wort von mir, ohne, dass ich es wirklich meine. Denn absolut gar nichts ist ok an dieser Situation.

Ohne weiteres stehen die beiden Polizisten auf und gehen aus dem Raum.

Hinter ihnen tritt meine Chefin ein. „Saphira?"

Mein Blick ist nach wie vor starr auf die Holztischplatte gerichtet. Ich spüre, wie mein Herz schlägt, dennoch fühle ich mich wie tot. Keine Emotionen dringen zu mir durch. Alles rauscht und ist doch so leise. Alles dreht sich und ist doch so still. „Meine Eltern sind gestorben. Sie sind tot. Weg", kommt es leise von mir.

„Oh Gott, Saphira. Das tut mir so leid. Du darfst natürlich sofort nach Hause gehen. Wen soll ich anrufen?"

Vor zwei Wochen würde ich ohne Umschweife nach meinen Eltern oder Danielle verlangen, doch ich habe niemanden mehr, den sie anrufen könnte. Ich habe keine Freundin mehr, die mir so nahesteht. Und mein Freund hat mich betrogen. Und meine Eltern sind... Dann jedoch fällt mir eine Person ein. „Nate. Mein Cousin", erwidere ich monoton. Ich klinge wie ein Roboter. „Nummer ist in meinem Handy." Mit zitternden Fingern krame ich danach, bis ich es nach drei Versuchen endlich in der Hand habe. „Können Sie das machen, bitte?"

Meine Chefin nickt und nimmt mir das Gerät aus der Hand. Ich höre es tuten, bis dann die gutgelaunte Stimme meines Cousins ertönt: „Prinzessin? Hey!" Es schnürt mir die Kehle zu, dass ich diejenige sein werde, die ihm die Hiobsbotschaft verkünden muss.

Desire-Hot as FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt