62|lies and betrayal

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Saphira

Zwei Tage. Zwei Tage hatte ich Zeit, um wie ein Zombie rumzulaufen und mich in meinem Bett zu verkriechen. Nicht einmal Claire konnte mich aufmuntern.

Ich habe erwartet, dass ich weinen würde, oder wenigstens ein bisschen Herzschmerz verspüren würde. Doch Fehlanzeige. Ich fühle nach wie vor gar nichts. Nichts außer der Leere und Taubheit in mir drinnen, die wohl Wurzeln in meinem Inneren geschlagen haben müssen, da sie sich nun rasend schnell in meinem gesamten Körper ausbreiten. In meinen Armen, meinen Beinen. Mir fällt das Atmen zunehmend schwerer, ebenso scheint das einfache Aufstehen vom Bett Unmengen an Kraft zu kosten. Doch ich schaffe es jedes Mal.

In der Nacht auf Montag habe ich kein Auge zugetan. Die roten Ziffern auf meiner Digitaluhr sind immer größer und größer geworden, bis es an der Zeit wurde, dass ein durchschnittlicher Mensch aufstehen würde.

Es ist Montag. Neuer Tag, neue Woche.

Ich schwinge meine Beine vom Bett und setze mir ein Lächeln auf, bevor ich endgültig aufstehe, um runter zu gehen.

In der Küche sitzen bereits Johanna und Paul. „Guten Morgen, Saphira." Beide lächeln mich an, ich lächle zurück. Plastik. Ich habe ihnen am Freitag gesagt, dass ich einen Essay schreiben muss, was der einzige Grund ist, warum sie mich die Tage über in Ruhe gelassen haben.

„Ah, da ist ja unsere Kleine." Paul setzt seine Tasse ab, um sich nach Claire zu bücken, die wie ein Wirbelsturm in die Küche gelaufen kommt. Heute hat sie einen geflochtenen Kranz auf dem Kopf, den ihr unmissverständlich Johanna gemacht haben muss.

Hinter ihr tritt Nate in die Küche. „Guten Morgen." Er sieht alle an. Seine Eltern und Claire. Doch sein Blick streift nicht einmal meinen. Er ist sauer auf mich. Auch ihn habe ich das ganze Wochenende über weggeschickt, genauso wie Claire.

Diese jedoch springt fröhlich in meine Arme, als ich diese für sie ausbreite. „Hey, mein kleiner Wirbelwind. Na? Wie hast du geschlafen?"

Mein Grinsen scheint nun auf mein Gesicht gepflastert zu sein, da es keinen Millimeter verrutscht.

„Gut. Nate hat mir mein Kleid zugemacht." Mit dem Daumen deutet sie auf unseren Cousin. Ich gehe mit ihr zum Tresen, auf welchem bereits allerlei Brot und Belege liegen, um einen Schluck von meinem Kaffee zu nehmen und Claire auf einen der hohen Stühle zu setzen.

Ich schnappe mir meine Kaffeetasse und begebe mich in den Flur. Dort trinke ich den Rest aus und rufe: „Bin weg. Schönen Tag." Sofort höre ich, wie ein Stuhl zurückgeschoben wird und gleich darauf Schritte.

„Du gehst schon? Was ist mit Frühstück?" Johanna bleibt vor mir stehen und begutachtet mich. Ich zeige ihr mein bestes Lächeln. „Kind. Du musst doch was essen, sonst wirst du noch krank." Johannas Rock flattert um ihre Knöchel in einem knalligen Rot, als sie zurück in die Küche geht und kurz darauf mit einer Semmel in der Hand wieder kommt. „Hier." Sie hält sie mir hin. „Nimm eine zumindest mit, Kind."

Ich bin im Begriff abzulehnen, doch der Ausdruck in den Augen meiner Tante lässt mich kurz innehalten. Ich habe überhaupt keinen Hunger und habe die letzten beiden Tage so gut wie nichts zu mir genommen außer einen Eiskaffee. Es ist, als wäre mein Magen auf die Größe einer Walnuss oder Erbse geschrumpft. Am Samstagmittag musste ich mich übergeben, als ich versucht habe, etwas zu essen. Auch jetzt noch grummelt mein Bauch nur beim Gedanken ans Essen.

Ich strecke meine Hand aus und nehme ihr die Semmel ab. Ihr Lächeln ist so breit, wie ich es seit Langem nicht mehr gesehen habe. „Danke", sage ich noch, bevor ich meinen Rucksack schultere und zur Tür rausgehe.

Desire-Hot as FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt