𝟏𝟑.𝟏𝟐.𝟐𝟎𝟐𝟑 ⧽ 𝐍𝐞𝐮𝐚𝐧𝐟𝐚𝐧𝐠

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Noyomiko

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Noyomiko

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Langsam legte sich eine dünne Schneedecke über die Stadtmauern von York. Es war der Abend des 13. Dezember 2017. Die Sonne war untergegangen, die Dunkelheit war bereits über die Straßen hereingebrochen. Der Weg der blonden, etwas fülligen Frau mit den hellgrünen Augen wurde vom sanften Licht der weihnachtlichen Straßenüberhänge und Laternen erhellt. Der Glockenturm des Minster von York läutete gerade achtzehn Uhr ein und verlieh der ganzen Szenerie mit seinen Klängen etwas Unheimliches.

Saoirse wusste nicht genau, warum sie die Stelle beim Tourismusverbund der angenommen hatte, denn noch vor einem halben Jahr war sie eine Fremde gewesen. Doch der Tapetenwechsel war für sie bitter nötig gewesen. Die neue Stelle als Stadtführerin tat ihr gut, das merkte sie am eigenen Leib. York hatte einen ganz eigenen Reiz: Seien es nun die mittelalterlichen Stadtmauern, die die Altstadt der fast 200.000 Einwohner starken Stadt umgaben, mit den sorgsam gepflasterten Straßen. Oder die vielen kleinen Geschäfte und Cafés, die wie aus einem Bilderbuch geschnitten wirkten und zum Verweilen einluden. Seit sie vor einigen Jahren an einer Exkursion nach York im Rahmen ihres Studium s teilgenommen hatte, dachte sie immer wieder daran zurück.

In den vergangenen Jahren waren ihre Gedanken immer wieder zu einem Neuanfang gewandert. Immerhin hatte sie ein Geschichtsstudium, das sie in ihrem Bürojob eigentlich gar nicht brauchte. In Irland hatte es keine interessanten Stellen gegeben. Doch eines Morgens war sie fündig geworden. Die Entscheidung zum Umzug und Neuanfang war ziemlich schnell gefallen, der Abschied von der Familie war dabei temporär aus ihrem Blickfeld geraten.

Doch hier, weitab von allem, was ihr bisher vertraut gewesen war, fühlte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben so wirklich glücklich. Die Sprache war zwar etwas anders – der Dialekt, der hier in Yorkshire gesprochen wurde, hatte sie anfangs vor eine herbe Herausforderung gestellt, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt. Auch die Menschen hier waren aus einem anderen Holz geschnitzt als in ihrer Heimatstadt Cork im Süden Irlands. Aber im Grunde unterschieden sich die beiden Städte gar nicht mal so sehr voneinander, was nicht einmal an ihren Namen lag. Sie waren sich trotz aller Unterschiede doch recht ähnlich. Trotzdem war Saoirse froh, nun etwas Abstand von ihrer Familie und vor allem ihren Eltern gewonnen zu haben.

In den Wochen vor ihrer Abreise hatte sich ihr Verhältnis zu ihren Eltern noch weiter verschlechtert. Das heißt: Wenn das überhaupt noch möglich war. Schon länger wankte die Ehe ihrer Eltern und schien nur durch sie und ihre sieben Geschwister irgendwie zusammengehalten zu werden. Das Dumme war nur, dass sie alle bereits jenseits der 30er waren und es nicht mehr viel gab, was die Ehe ihrer Eltern von Kinderseite aus kitten konnte. Sie alle hatten eigene Familien, die ihre volle Aufmerksamkeit verlangten. Da Saoirse die letzte ohne Partner war, hatten sich ihre Eltern ganz auf sie konzentriert und zu einer Verschlechterung des familiären Klimas zwischen ihnen beigetragen. Die ganze »Liebe« ihrer Eltern war irgendwann zu viel für sie geworden. Noch immer verspürte sie beim Gedanken an die letzte Auseinandersetzung mit ihren Eltern ein unangenehmes Ziehen in ihrer Brust. Ihre Eltern wollten einfach nicht verstehen, dass weder sie noch ihre Geschwister oder deren Kinder das heilende Mittel für eine Ehe waren, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen zu sein schien. Sie konnte und wollte sich dem nicht länger aussetzen; letztendlich hatte sie den Kontakt zu ihnen unterbunden. Schließlich war ihr letzter Ausweg die Flucht nach England gewesen.

𝑨𝒅𝒗𝒆𝒏𝒕𝒔𝒌𝒂𝒍𝒆𝒏𝒅𝒆𝒓 𝟐𝟎𝟐𝟑Where stories live. Discover now