𝟐𝟑.𝟏𝟐.𝟐𝟎𝟐𝟑 ⧽ 𝐁𝐞𝐠𝐞𝐠𝐧𝐮𝐧𝐠

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Noyomiko

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Noyomiko

AUS IHREM EIGENEN ADVENTSKALENDER
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Seufzend öffnete Tobias die Tür zum Wartebereich der Praxis. Den gesamten Nachmittag war er unterwegs gewesen, um in letzter Minute einen Adventskalender für seine beiden Kinder zu kaufen. Für Kinder, die eigentlich schon längst aus dem Alter für einen Adventskalender rausgewachsen waren. Doch seine Therapeutin war der Meinung, dass in solchen Zeiten Rituale und Struktur das Beste waren. Er hatte extra früher auf der Arbeit Schluss gemacht und seinem Kollegen Callum die letzten drei Termine überlassen, nur um im Anschluss stundenlang über die Zeil zu hetzen und passende Geschenke für die beiden Halbstarken zu besorgen, die sie im Wechsel auspacken und sich daran erfreuen konnten. Natürlich hatte er alles, was er wollte, gefunden.

Er ließ seinen Blick durch das weiße, steril wirkende Wartezimmer gleiten, das nur spartanisch weihnachtlich geschmückt war. Auf einem kleinen Beistelltisch befand sich ein kleiner hässlicher Nikolaus auf einem ebenso hässlichen Sofa – ein Teelichthalter, der sicherlich aus den 1980er Jahren stammte und es irgendwie bis in das Jahr 2023 geschafft hatte. Auf der einzigen Fensterbank, die die Sicht auf den Frankfurt Römer und das Hauptamt aus dem dritten Stock freigab, stand ein weihnachtlicher Untersetzer. Ansonsten war das Zimmer – bis auf ein paar kalte Stühle – leer. Doch etwas ließ den Mittdreißiger stutzen. Auf den wenigen Stühlen in diesem Wartezimmer saß ein Mann. Es war ungewöhnlich, dass sich jemand zu dieser Uhrzeit am Abend des ersten Dezembers in Frau Mergerts Praxis aufhielt. Tobias wusste, dass er einer der letzten Patienten der Ärztin für Psychotherapie war. Für gewöhnlich war zwischen seinem Termin und dem des vorhergehenden Patienten einiges an Zeit, in der die Therapeutin sich um die Dokumentation ihrer Sitzungen kümmerte. Deswegen empfand er es als ungewöhnlich, tatsächlich auf einen anderen Patienten zu treffen.

Argwöhnisch betrachtete er den Mann, der etwa in seinem Alter zu sein schien – vielleicht war er aber auch ein paar Jahre jünger als er. Er war hager, hatte schulterlanges weißblondes Haar und strahlend blaue Augen, die auf einen ramponierten E-Book-Reader ohne Hülle gerichtet waren. Seine Haut war blass, wirkte fast wie Papier. Der Fremde hatte nur kurz aufgeschaut, bevor er sich wieder abgewandt und erneut seinem digitalen Buch gewidmet hatte. Es schien ihn nicht sonderlich zu kümmern, dass er nicht mehr allein war.

Tobias stand noch immer unschlüssig im Raum herum und setzte sich schließlich. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, musste er wie ein Idiot ausgesehen haben, so, wie er den Fremden angestarrt hatte. Doch irgendetwas an diesem Mann kam ihm seltsam vertraut vor. Ob sie sich schon einmal begegnet waren? Eigentlich müsste ihm dieser Mann ihm Gedächtnis geblieben sein, so einzigartig, wie er aussah. In diesem Fall würde er sich doch sicher an ihn erinnern, oder nicht?

Er war sich unsicher, ob er den Mann, der seelenruhig weiter sein Buch las, einfach ansprechen sollte. Schließlich gehörte das Netzwerken für ihn zum Beruf dazu. Er war zwar ›nur‹ im Außendienst des IT-Konzerns seines Vaters tätig und doch war ihm bewusst, dass er den Laden früher oder später übernehmen würde. Ob er das wollte, oder nicht, spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Andererseits wusste er nicht, ob es dem Mann überhaupt recht war, angesprochen zu werden. Sie kannten sich nicht, und ein Besuch beim Therapeuten sollte eigentlich auch anonym bleiben. Nicht jeder wollte, dass andere von einer psychischen Krankheit oder von einer akuten Krise erfuhren.

Dass er sein Gegenüber auch jetzt noch die ganze Zeit anstarrte, war ihm nicht bewusst. Nach einer gefühlten Ewigkeit richtete der weißblonde Mann seine Augen auf ihn und erwiderte unvermittelt seinen Blick. Den E-Book-Reader hatte er ausgeschaltet. Die beiden Männer hielten stumm Blickkontakt, bis der mysteriöse Unbekannte den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch bevor es so weit kam, öffnete sich die Tür zum Sprechzimmer und Frau Mergert steckte ihren Kopf heraus.

Sowohl Tobias als auch der Andere wandten instinktiv ihre Köpfe in Richtung der kleinen schmächtigen Frau, die ebenfalls verwirrt zu sein schien. »Herr Röhling? Sie sind aber früh dran«, bemerkte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. Tobias blinzelte und zückte sein Smartphone, um seinerseits die Uhrzeit zu überprüfen.

Erschrocken weiteten sich seine Augen, als er feststellte, dass er mehr als anderthalb Stunden zu früh dran war. »Ich muss mich in der Zeit vertan haben«, antwortete er zerstreut und schüttelte den Kopf. »Vermutlich wäre es am besten, wenn ich später einfach wiederkomme ...«

»Sie können auch einfach hier warten. Draußen ist es ziemlich kalt. Machen Sie sich doch einen Tee in der Küche – Sie kennen sich ja mittlerweile gut aus«, erwiderte sie freundlich lächelnd und winkte ihren nächsten Termin wortlos in ihr Sprechzimmer hinein. Der weißblonde Mann erhob sich ohne ein weiteres Wort und ohne ihm einen weiteren Blick zuzuwerfen. Er folgte der stummen Einladung der Ärztin, ehe Tobias seine Stimme wiederfand.

»Vielen Dank ...«, sagte er und verabschiedete sich fürs erste von seiner Therapeutin. Dass der mysteriöse Mann mit den eisblauen Augen ihn die nächsten Wochen bis in seine Träume verfolgen würde, konnte Tobias zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

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𝑨𝒅𝒗𝒆𝒏𝒕𝒔𝒌𝒂𝒍𝒆𝒏𝒅𝒆𝒓 𝟐𝟎𝟐𝟑Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt