Kapitel 2

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Yoongi lag wieder in seinem Bett, das leise Summen der Stadt drang durch das offene Fenster in seine Wohnung in Seoul. Er hatte seine eigene Wohnung, ebenso wie die anderen sechs Mitglieder von BTS. In ihrem ehemaligen Wohnheim wohnte nun eine andere K-Pop Gruppe.

Obwohl sie wieder alle zusammen waren, fühlte er sich einsamer denn je. Er vermisste die Maknaes, die durch das Wohnheim rannten, nachts Spiele spielten und ihn oft weckten. Er vermisste Seokjin, der vor allem vor ihrem Debüt dafür gesorgt hatten, dass sie alle genug zu essen bekamen. Er vermisste Namjoon und Hoseok, mit denen er so viele unzählige Songs produziert und gerappt hatte.

Es war einfach anders. Sein Leben hatte sich verändert und er hasste Veränderungen. Er seufzte leise und wischte sich eine einsame Träne aus dem Augenwinkel. Es war schwer zu akzeptieren, dass die Dinge sich geändert hatten, dass sie nie wieder so sein würden, wie sie einmal waren.

Yoongi wusste, dass er sich glücklich schätzen sollte, dass sie wieder alle zusammen waren, aber trotzdem konnte er dieses Gefühl der Leere nicht abschütteln. Es war, als ob ein Teil von ihm fehlte, als ob ein Teil seines Herzens immer noch in den Gängen ihres alten Wohnheims verweilte, umgeben von der lebendigen Energie seiner Freunde.

Mit einem Seufzen drehte sich Yoongi auf die Seite und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit der Nacht. Die Lichter der Stadt funkelten in der Ferne und er fragte sich, ob sich die anderen Mitglieder genauso einsam fühlten wie er.

Yoongi wusste, dass er den Schlaf brauchen würde. Es war immerhin schon fast zwei Uhr morgens. In etwa zehn Stunden hatte die Band einen Livestream zum Feiern des nachträglichen zwölfjährigen Debüts und der Wiedervereinigung aller sieben Mitglieder geplant.

Yoongi schloss die Augen und versuchte, seinen unruhigen Gedanken zu entkommen, aber sie verfolgten ihn gnadenlos. Er sehnte sich nach den Tagen zurück, als sie alle zusammen in einem Raum lebten, als das Lachen seiner Freunde sein Heilmittel gegen jegliche Einsamkeit war.

Er schüttelte seinen Kopf. In seinen Gedanken ermahnte er sich, sich gemäß eines Alters und nicht das eines Kindes mit Heimweh zu verhakten, obwohl sein Herz schmerzte. Er war nicht bereit dazu, sich so zu verhalten als wäre alles beim Alten, weil es das definitiv nicht war. Nach den stundenlangen Tanzproben würden sie nicht in ihr Wohnheim gehen, alle - manchmal zusammen - duschen gehen, sich danach gemeinsam an den Tisch zum Abendessen setzen und anschließend entweder noch einen Film gucken oder todmüde ins Bett fallen.

Yoongi seufzte schwer und öffnete wieder die Augen, um in die Dunkelheit zu starren. Er wusste, dass er sich anpassen musste, dass er lernen musste, mit dieser neuen Realität umzugehen, aber der Gedanke daran erschien ihm unmöglich.

Dann schwang er seine Beine über die Bettkante und stellte seine Füße auf dem kalten Boden ab. Ein unangenehmer schauer durchfuhr ihn und er erinnerte sich unwillkürlich an seine Zeit beim Sozialdienst. Er hatte im Altersheim gearbeitet, da er dort wahrscheinlich die wenigsten Fans antreffen würde. Eine andere Möglichkeit wäre der Kindergarten gewesen, aber diese Option hatte er schnell verworfen. Er konnte sich nicht monatelang das Geschrei kleiner Kinder anhören.

Yoongi erinnerte sich daran, wie er mit dementen und kranken Personen geredet hatte, wie er mehrmals dabei gewesen war, wie Oatienten gestorben waren und wie er den Vater eines alten Freundes dort angegriffen hatte. Der Mann war mit seinen knapp 65 Jahren noch ziemlich jung, aber das Altzheimer hatte ihn schon früh ereilt und ohne die Pflege hatte es keine Hoffnung gegeben. Kurz vor dem Ende seines Dienstes war der Mann verstorben. Das Bild seines Leichnams geisterte in Yoongis Kopf umher. Er wusste, dass er mit niemandem darüber reden durfte. Wie andere, die in solchen Bereichen arbeiteten, oblag er der Schweigepflicht. Nicht einmal mit-

"Autsch", fluchte Yoongi und sah kurz wütend auf seinen Kater Yangyang, der ihm in den Fuß gebissen hatte. Zuhause bei seinen Eltern hatte er ja seinen Hund Holly, aber hier in Seoul hatte er niemanden. Er lebte alleine, ohne Haustier und ohne Freunde. Deshalb hatte er sich einen Kater angeschafft, der ihm Gesellschaft leistete. Außerdem hatte er vor Kurzem noch die Fische seines Freundes, dessen Vater im Altersheim verstorben war, geschenkt bekommen. Seunjae - so hieß sein Freund - hatten diese Fische zu sehr an seinen Vater erinnert und er konnte sie nicht mehr sehen.

Jetzt war Yoongi nicht mehr alleine. Er hatte einige Fische und einen auf Krawall gebürsteten Kater, der ihm gerade am Fuß hing, während er aufstand.

"Yangyang", ermahnte Yoongi seinen Kater und beugte sich zu dem kleinen Tier hinab. Yangyang sah ihn mit großen Augen an, als ob er verstanden hätte, dass er etwas angestellt hatte, und ließ schließlich von Yoongis Fuß ab. Der Kater miaute leise und strich um Yoongis Beine, als ob er um Vergebung bitten würde.

Yoongi lächelte leicht und streichelte Yangyang über den Kopf, bevor er sich langsam erhob und sich auf den Weg in die Küche machte.

In der Küche angekommen, goss er sich ein Glas Wasser ein und trank es in einem Zug aus, bevor er sich entschied, ins Wohnzimmer zu gehen, wo sein geliebtes Klavier stand. Er stellte sein Glas auf der Ablage ab und setzte sich auf den Hocker. Seine Finger glitten sanft über die Tasten und er spielte den Song "Merry Christmas Mr. Lawrence" von Riyuishi Sakamoto, mit dem er noch kurz vor dessen Tod an dem Song "Snooze" gearbeitet hatte.

Aber dann war Riyuishi Sakamoto gestorben und der Traum von weiteren gemeinsamen Projekten war für Yoongi zerplatzt wie eine Seifenblase. Es war ein schmerzhafter Verlust, den er bis heute nicht ganz überwunden hatte, obwohl er in dem vergangen Jahr so viele Menschen hatte sterben sehen.

Als die letzten Töne des Songs verklungen waren, saß Yoongi still da und starrte durch sein Fenster hinaus in die Stadt, die selbst bei Nacht hell leuchtete. Die Lichter waren wie kleine Sterne, die in der Dunkelheit erstrahlten, aber für Yoongi war die Welt um ihn herum düster und trostlos.

Großstädte schliefen nie, das war ihm bewusst, aber manchmal wünschte er sich, dass er selbst in der Lage wäre, für einen Moment innezuhalten und einfach zu sein, ohne die Last der Vergangenheit und die Ängste der Zukunft. Aber die Welt drehte sich weiter, unaufhaltsam, und Yoongi konnte nichts anderes tun, als sich a die Dunkelheit zu klammern und darauf zu hoffen, dass irgendwo da draußen ein Funken Licht auf ihn wartete.

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