Nyx führte Ivan in sein Schlafzimmer.„Leg dich hin, Ivan", ordnete Nyx dort sanft an und fischte sich eine Fernbedienung vom Nachttisch. Als er einen der vielen Knöpfe drückte, erstrahlte plötzlich ein wolkenloses Himmelszelt auf dem Deckenhologramm.
Ivan konnte eine Sternschnuppe fallen sehen.
„Wünsch dir was", sagte Nyx, während er zu Ivan ins Bett krabbelte und sich neben diesen legte.
Zusammen blickten sie hinauf zu dem künstlichen Sternenhimmel. Am Fußende des Bettes hatte sich Mafed zusammengerollt und die Augen geschlossen, als würde er schlafen.
Ivan biss nachdenklich auf seiner Unterlippe herum, dann setzte er an: „Ich wünsche mir..."
Doch Nyx unterbrach ihn hastig. „Du darfst es nicht laut aussprechen, dann wird es nicht wahr."
Ivan wandte lächelnd seinen Kopf zu Nyx. „Okay. Dann behalte ich es für mich."
„Gut", erwiderte Nyx.
Eine Weile beobachteten sie schweigend das Himmelszelt, bis Nyx schließlich fragte: „Hast du schonmal die Milchstraße gesehen?"
„Nein."
„Ich kann dich zu jedem Planeten in den Sonnensystemen unserer Heimaten bringen", versprach Nyx. Er bediente einen weiteren Knopf und über ihnen erschien plötzlich ein Planet, dessen Schein das Zimmer in eine rote Farbe tauchte. „Das ist der Mars."
Ivan grinste. „Kaum zu glauben, dass man mal geglaubt hat, dort sei Leben möglich", sagte er.
„Von Proxima hatte man mal das Gegenteil behauptet und jetzt sieh uns an", lachte Nyx.
„Stimmt", murmelte Ivan. Den roten Planeten dabei zu beobachten, wie er sich langsam im Zeitraffer um seine eigene Achse drehte, erfüllte Ivan mit einer unbeschreiblichen, inneren Ruhe. Er fragte an Nyx gewandt: „Beobachtest du öfter die Planeten?"
„Gelegentlich", sagte Nyx. „Aber allein macht es nicht so viel Spaß. Ich finde, das Weltall hat etwas Melancholisches an sich."
„Ich finde es friedlich", meinte Ivan. Er rutschte näher an Nyx heran, welcher daraufhin seinen Arm ausbreitete, um Ivan zu sich zu ziehen. „Kannst du auch Proxima anwerfen?", fragte er nach einem Moment der Stille.
Nyx tastete nach der Fernbedienung, die er irgendwo neben sich abgelegt hatte und drückte eine neue Taste, woraufhin der Eisplanet über ihnen zum Vorschein kam. Dieser drehte sich nicht um die eigene Achse, doch die Kamera kreiste um den Planeten und offenbarte dadurch abwechselnd die vereiste Seite und die sonnenverbrannte Seite Proximas.
„Hm", machte Ivan, als er dies sah. „Proxima ist nicht so schön, wie ich es mir vorgestellt habe. Sieht ein bisschen verloren aus."
„Idiot", beschwerte Nyx sich lachend bei ihm.
Sie verbrachten die restlichen Stunden in der Geborgenheit des jeweils anderen, während sie die Planeten ihrer Sonnensysteme beobachteten.
Auch wenn Ivan versuchte alle anderen Gedanken beiseitezuschieben, so konnte er seine Sorgen nie vollends vertreiben. Er hatte bereits gesehen, wie skrupellos Utopia vorging und wie viele, mächtige Anhänger er hatte.
So sehr er Nyx auch vertraute, er hatte Angst, dass diese Mission ihren Tod bedeuten würde, und das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Er wollte auch in der Zukunft weitere Momente wie diese mit Nyx verbringen. Er wollte nicht, dass Utopia ihr Ende bedeuten würde, also kam er zu einem Entschluss.
Es schlug wesentlich schneller 17 Uhr, als Ivan es sich gewünscht hatte. Jede verstreichende Minute fühlte sich so an, als würde das Fahrzeug, in welchem Ivan sich befand, sich frontal einer massiven Wand annähern und Ivan hatte nicht die Möglichkeit, das Fahrzeug zu stoppen und die Kollision zu verhindern.
„Wir müssen aufstehen", murmelte Nyx. Er richtete sich gegen Ivans Willen aus seiner liegenden Position auf und zwang somit auch Ivan dazu aufzustehen.
„Ich hol unser Zeug", verkündete Nyx und verschwand sogleich im Sportraum.
Ivan nutzte den Moment und schlüpfte eilig in Nyx's Büro. Er hatte zuvor gesehen, wie Nyx sein Passwort eingegeben hatte, denn Nyx hatte ihm genug vertraut, dieses nicht vor ihm zu verstecken.
Er fühlte sich schrecklich dabei, dieses Vertrauen nun auszunutzen, um den Computer des anderen zu entsperren. Er öffnete eilig das Mail-Programm. Nyx war dort mit irgendeiner nichtssagenden Mailadresse angemeldet, die angeblich einem Vincent gehörte. Ivan verfasste eine knappe Nachricht an Julie. Sie beinhaltete die entschlüsselte Adresse mit dem Hinweis, dass diese aus Milas Daten entnommen worden war und gesichert Utopia zugeordnet werden konnte. Dann drückte er mit rasendem Herzen auf Senden, schloss alle Register und fuhr den Computer eilig wieder herunter.
Seine Hände zitterten, als er aus dem Büro floh und die Tür schnell wieder hinter sich zuzog.
„Ich habe auch noch die hier, ist mir gerade eingefallen", hörte er Nyx's Stimme aus dem angrenzenden Zimmer. Keine Sekunde später kam er nichtsahnend durch die Tür getreten und hielt Ivan lächelnd eine schusssichere Weste entgegen, die so dünn war, dass man sie problemlos unter normaler Kleidung anziehen konnte.
Ivan brach es das Herz zu sehen, wie bemüht Nyx um ihn war. Ivan fühlte sich schrecklich. Mit einem gequälten Lächeln nahm er die Weste entgegen und bedankte sich.
Nyx schien seine Anspannung zu bemerken, doch er interpretierte sie falsch. Er schenkte Ivan ein aufheiterndes Lächeln und ermutigte ihn: „Ich bin bei dir Ivan. Zusammen kriegen wir das hin. Alles wird gut."
Ivan nickte mit schmerzendem Herzen. „Ja", hauchte er leise.
-
Wie versprochen meldete Moros sich, noch bevor die beiden sich auf den Weg machten.
„Ich habe Tasca und auch dir eine neue Gesichtsmaske verpasst", sprach der Blonde durch Nyx's Headset. „Dabei handelt es sich um Mieter des Gebäudes, damit solltet ihr durch die erste Kontrolle kommen. Der Fahrstuhl ist passwortgesichert. Eris hat das Passwort in den Chat gestellt."
„Danke, gute Arbeit", sagte Nyx begeistert. „Dann kann ja nichts mehr schiefgehen."
Ivan wünschte sich, dass Nyx recht behielt.
Nachdem sie ihre Ausrüstung zusammengesucht hatten und erfolgreich unter Jacken versteckt hatten, machten die beiden sich auf den Weg zum Schiffshafen von Proxima und flogen von dort aus los in Richtung Ross. Utopia schien Posten auf vielen Planeten bezogen zu haben – Meta-Gen auf der Erde, das Bürogebäude und die Villa auf Trappist und nun dieses Labor auf Ross.
Womöglich hatte Utopia sogar noch weitere Standorte? Würde es dann überhaupt zielführend sein, nun dieses eine Labor anzugreifen? Andererseits hatte Mila die Adresse so tief in ihren Dateien versteckt gehalten, dass sie etwas Besonderes sein musste. Was auch immer die Antwort sein würde, Utopia musste auf die ein oder andere Weise der Wind aus den Segeln genommen werden, um seine Pläne zu durchbrechen. Sein Terror musste ein Ende finden.
Der Wohnblock, in dem Utopia seine Basis errichtet hatte, lag nicht weit entfernt vom Schiffshafen – nur einige Minuten Fußweg.
Von außen wirkte das Gebäude unscheinbar. Die Außenfassade war aus Solarplatten erbaut worden, sodass das Hochhaus nun am Abend das orange Licht der untergehenden Sonne reflektierte. Vor dem Gebäude war ein Spielplatz errichtet worden, der zu dieser Uhrzeit bereits verlassen dalag.
„Bereit?", fragte Nyx ihn, als sie sich dem Eingang näherten.
„Ja", sagte Ivan und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Er versuchte so zu tun, als wäre dieser Einsatz genauso, wie jeder andere Außeneinsatz mit der Polizei. Ich bin hier, um Kriminalität zu bekämpfen und Menschen zu schützen, redete er sich gut zu. Das hier ist mein Job. Noch einmal atmete er tief durch, dann betrat er mit Nyx das Gebäude.
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UTOPIA
Science FictionIm Jahr 2245 hat sich der Mensch bereits auf sechs bewohnbaren Planeten ausgebreitet. Doch seine Gier ist dadurch nicht gestillt. Als Polizist wird Ivan Tasca einem wichtigen Fall zugeteilt. Er soll die Terroristengruppe „Utopia" stoppen. Um dieser...