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Am Abend in der Garderobe fühlte sich alles schon fast routiniert an. Dieses Mal ging ich allein in die Dusche, wusch meinen Körper, fuhr mit der Rasierklinge über meine Haut und cremte mich danach mit einer Lotion ein, die wunderbar nach Honig und Mandeln duftete. Zurück im Umkleideraum suchte ich nach einem frischen Outfit für meinen Tanz. Nova war bereits in einen dunkelroten Faltenrock und einen schwarzen Büstenhalter geschlüpft, der ihre Brüste nach oben presste und noch üppiger erscheinen ließ, als sie sowieso schon waren. Dazu trug sie kniehohe schwarze Stiefel. Das Haar hatte sie mit einem Spray so drapiert, dass ihre Mähne wild und ungezähmt aussah, die Augen mit dunklem Kajal umrandet. Wenn man sie so sah, hätte man sie für eine Femme Fatale halten können – nicht für die sanfte junge Frau, die so hilfsbereit und gutmütig und im Herzen nur bei ihrer kleinen Tochter war.

„Zieh wieder was Weißes an und setz deine Ohren wieder auf", riet sie mir. „Das ist dein Markenzeichen."

Ich lachte. „Wieso brauche ich ein Markenzeichen?"

Sie zuckte die Achseln. „Irgendwie mögen sie das. Und ich muss sagen, ich finde es auch gut. Ich will nicht, dass sie uns alle für austauschbar halten, sie sollen sehen, dass wir alle individuell sind. Und das funktioniert besser, wenn sie uns auseinanderhalten können. Unsere Namen merken sie sich ja doch nicht."

Ich war mir nicht sicher, ob ich sie verstand, aber ich hatte keine Einwände. Mir war es egal, was ich tragen würde, solange es mir nicht zu obszön erschien. Nach einer Weile entschied ich mich schließlich für ein weißes Kleid, das dem vom Vortag ziemlich ähnlich sah, schlüpfte in zierliche weiße Sandaletten und setzte meine Plüsch-Ohren wieder auf.

„Der Plan gilt übrigens immer für eine Arbeitswoche", erklärte Nova. „Am Samstag setzen wir ihn für die nächste Woche neu auf. Du wirst also bis dahin immer an dritter Stelle tanzen, ich hoffe, das ist in Ordnung für dich."

„Natürlich." Tatsächlich schien es mir noch immer die optimale Platzierung zu sein. Am Vorabend hatte ich allerdings schon gemerkt, dass die wahre Herausforderung der Schichten nicht in unserem kurzen Tanz lag, sondern in der Zeit davor und danach. Und so hatte ich an diesem Abend keine Angst mehr vor meinem Auftritt, wohl aber vor der Zeit im Saal. Ich fragte mich, ob Cassiel da sein würde. Und Michael.

Als es so weit war, nahm Nova mich bei der Hand. „Du bist immer noch neu, also genießt du Welpenschutz", sagte sie mit einem Lächeln. „Den Rest der Woche verbringst du mit mir in der Bar."

Erleichtert folgte ich ihr. Die Arbeit in der Bar war wirklich angenehm. Man hatte rund um die Uhr zu tun, befand sich aber nicht so sehr auf dem Präsentierteller, wie es im offenen Saal der Fall war.

Wir schenkten den Wein aus und sahen unseren Freundinnen beim Tanzen zu, bis ich irgendwann an der Reihe war. Als ich an diesem Abend die Treppe zur Bühne hinaufstieg, war ich bereits viel weniger nervös als am Vortag. Natürlich klopfte mein Herz und mein Atem ging ein wenig flacher als sonst, aber es war nicht diese Art von Aufregung, die mich befürchten ließ, gleich umzukippen. Es war irgendwie eine gute Aufregung, gemischt mit Vorfreude, weil ich hoffte, Cassiel wiederzusehen.

Unten hatte ich ihn nicht entdeckt, der Saal war allerdings in schummriges Licht getaucht und auch an diesem Abend waren wieder so viele Gäste anwesend, dass man einen einzelnen Seraph auch übersehen konnte.

Als ich schließlich auf der Bühne stand und den Blick wieder durch die Zuschauerreihen schweifen ließ, machte mein Herz einen Satz. Wärme sammelte sich in meinem Bauch. Ich entdeckte ihn sofort. Er saß wieder ganz vorne, am selben Platz wie gestern. An diesem Abend war er weniger förmlich gekleidet als bisher, wenn ich ihn gesehen hatte. Er trug einen grauen Pullover aus einem Stoff, der wie Kaschmir aussah, dazu blaue Jeanshosen. Er war nicht frisch rasiert; leichte Stoppeln zeigten sich auf Kinn und Wangen, was mir jedoch äußerst gut gefiel. Sein dunkles Haar trug er an diesem Abend offen, es fiel ihm in leichten Wellen bis zur Schulter.

Unsere Blicke trafen sich und er lächelte kaum merklich, was mein Herz gleich noch ein wenig schneller schlagen ließ. Die Musik setzte zu einem neuen Lied an und ich bewegte die Hüften, ließ die Musik durch mich hindurchfließen, spürte sie mit all meiner Seele und verlor mich in ihr.

Dieses Mal schloss ich meine Augen nicht. Die ganze Zeit über hielt ich den Blick auf Cassiel gerichtet, und an diesem Abend zog ich mich sehr viel früher aus als gestern. Ich stellte fest, dass es mir gefiel. Ich mochte es, dass er mich ansah, wie er mich ansah.

Und ich kapierte, dass diese Art von Unterhaltung mir eine eigenartige Form von Macht verlieh. Das Geschehen lag in meiner Hand. Ich war hier oben die Königin, ich entschied, was passierte, ich war der Mittelpunkt eines ganzen Saals voller Engel, die mir zu Füßen lagen. Und auch wenn ich nie ein Mensch gewesen war, der gern im Mittelpunkt stand, fühlte es sich unglaublich gut an.

Above the Winter Skies [Dark Romantasy]Where stories live. Discover now