~ 27 ~

26 3 0
                                    

Eins der Dinge, die ich nach dieser Kreuzfahrt wohl am meisten vermissen würde, war die riesige Auswahl an Kleidung, die mir zur Verfügung gestellt wurde. Gemeinsam mit Nova hatte ich in meinem Schrank gewühlt, bis ich etwas Passendes gefunden hatte, und nun trug ich ein Kleid aus weißer Seide, das bis zu meinen Knöcheln floss. Der Schnitt war einfach, doch der Stoff war mit unzähligen kleinen Steinchen verziert.

Wir gingen zum Aufzug und fuhren noch ein Stockwerk tiefer. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, dass unser Stockwerk das letzte war, weil es als letztes auf der Anzeigetafel stand, doch anscheinend gab es unter uns noch einen Keller. Dort befanden sich größtenteils allerdings die Maschinen, die das Schiff zum Laufen brachten, und genauso hörte es sich auch an. Es ratterte und schnaufte, der Lärm war ohrenbetäubend und Dampf zog durch die Gänge.

„Ich dachte immer, dass die Aetheria durch Astralmagie fliegt", schrie ich über den Lärm hinweg.

„Das stimmt wohl nur zum Teil", schrie Nova zurück. „Um ein Schiff dieser Größe über einen so langen Zeitraum durch reine Magie fliegen zu lassen, müssten sehr viele Seraphim rund um die Uhr daran arbeiten. Das wäre dann kein entspannter Urlaub mehr, glaube ich."

Sie öffnete eine eiserne Luke und wir kletterten hindurch. Ich staunte nicht schlecht, als ich in einem der Maschinenräume stand, in dem sich zwischen Rohren und Öfen dutzende von Menschen aufhielten. Das Rattern der Maschinen wurde durch ohrenbetäubende Musik übertönt, die jedoch aus dem nächsten Raum zu stammen schienen. Der Geruch von Kohle und Öl hing in der Luft.

„Dürfen wir hier sein?", fragte ich überrascht.

„Klar", sagte Nova. „Hier sind rund um die Uhr Arbeiter, die die Maschinen anheizen, den Seraphim ist egal, was wir hier unten treiben, solange das Schiff läuft. Aber die Party findet im nächsten Raum statt, komm!"

Sie nahm mich an der Hand und schleifte mich hinter sich her. Wir kletterten durch eine weitere Luke und fanden uns in einer Art Taverne wieder, die mich an die Spelunke in Hjartvik erinnerte, in der ich mit Nevis damals gewesen war. Ich staunte nicht schlecht. Gedämpftes Licht fiel auf rustikale Holztische und Bänke, eine üppige Barfrau mit roten Locken schenkte Bier und Met aus und auf einer Bühne spielte eine fünfköpfige Band. Fiedeln, Flöten und Trommeln wurden begleitet vom energetischen Gesang einer hübschen dunkelhaarigen Sängerin mit einer Laute in den Händen. Die Tanzfläche davor war gerammelt voll. Die Gäste tanzten unbeschwert, lachten und klatschten im Takt, und der Klang von Gelächter und Gesprächen mischte sich mit der Musik und ließ das Schnaufen der Maschinen aus dem Nebenraum verstummen.

„Das guckst du, was?" Nova lächelte. „Bist du jetzt froh, dass du mitgekommen bist?"

„Allerdings. Ist das jeden Sonntag?"

„Genau genommen ist es jeden Abend, aber wir können ja nur sonntags. Das geht vielen so, sonntags ist jedenfalls am meisten los. Komm mit, ich möchte dir jemanden vorstellen!"

Sie nahm mich an der Hand und zog mich durch die Menschenmassen. Daria tauchte plötzlich auf und drückte mir ein Bier in die Hand, das ich dankend annahm. Ich war unfassbar durstig und trank einen großen Schluck. Dann verzog ich das Gesicht; ich hatte ganz vergessen, wie bitter es schmeckt.

Nova hielt vor einem Mann mit dunkelblonden Locken an, der nicht viel älter sein konnte als wir. Er trug ein weißes Hemd, das jedoch einige Rußflecken aufwies, und braune Leinenhosen, die von Hosenträgern gehalten wurden. Lächelnd reichte er mir die Hand.

„Ich bin Torin", stellte er sich vor.

„Lumi."

Sein Händedruck war wie sein Lächeln, warm und fest. Ich mochte ihn sofort.

„Torin arbeitet hier unten im Maschinenraum", erklärte Nova. „Er kommt auch aus Skaldengard, allerdings aus einem südlicheren Ort als Hjartvik."

Torin nickte. „Ich komme aus Eisengrad."

Nova drückte sich an seine Brust und er legte seinen Arm um sie, wobei ein zärtliches Lächeln um seine Lippen spielte. Und endlich kapierte ich.

„Ihr seid zusammen?"

Nova lächelte. Torin wandte sich ihr zu und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, den sie mit geschlossenen Augen erwiderte. Kurz fühlte ich einen Stich der Eifersucht, doch es war albern. Nova hatte Glück verdient, kaum jemand so sehr wie sie.

„Erst seit ein paar Wochen", erklärte sie mir, nachdem die beiden sich wieder voneinander gelöst hatten. „Ich wollte ihn dir heute Abend unbedingt vorstellen, auch deswegen war es mir so wichtig, dass du mit zur Feier kommst. Er wird mit uns in Ventura von Bord gehen."

Ich schluckte die unangebrachten Neidgefühle hinunter und zog Nova in eine Umarmung. „Das ist großartig", nuschelte ich in ihr Haar. „Ich freue mich so für dich!"

Und das tat ich wirklich. Nova konnte nichts dafür, dass mein Liebesleben eine solche Katastrophe war, dass ich mich ausgerechnet für einen Mann interessierte, den ich nicht haben konnte.

Dann fiel mir etwas anderes ein.

„Du warst an den Nachmittagen nie mit an Deck, oder?", fragte ich Torin.

Er verzog das Gesicht. „Ja, das stimmt. Ich habe furchtbare Schichten hier unten."

„Manchmal sehen wir uns tagelang nicht", fügte Nova hinzu. „Die Schichten gehen oft zwölf Stunden lang, über den kompletten Nachmittag und Abend, und die Arbeit ist körperlich sehr schwer, weshalb Torin danach viel schläft. Die Arbeiter hier unten haben einen eigenen Speisesaal, weil sie auch Nachtschicht arbeiten müssen und einen anderen Zeitplan haben als wir. Es ist schwierig."

„Aber es ist ja ein Ende in Sicht", sagte er und drückte ihr einen weiteren Kuss auf den Scheitel. Jetzt wurde mir klar, wieso Nova immer wieder so von unseren Arbeitszeiten als Tänzerinnen geschwärmt hatte. Verglichen mit Torins Arbeit hatten wir es wirklich leicht.

Ein anderer junger Mann tauchte neben Torin auf. Er hatte kurzes rötlich-blondes Haar, hellblaue Augen und Sommersprossen auf der Nase. Er war anders gekleidet als Torin, schicker. Er trug ein schiefergraues Hemd und dunkle Leinenhosen, wirkte insgesamt gepflegter.

„Das ist mein Freund Lyndor", stellte Torin ihn vor.

Ich schüttelte Lyndor die Hand. Er lächelte ein wenig schüchtern. „Hi."

Gemeinsam gingen wir zur Bar und deckten uns mit Getränken ein, ich tauschte mein Bier gegen ein Glas Wasser. Danach suchten wir uns einen Platz an einem der Tische.

„Und wo auf dem Schiff arbeitest du?", fragte ich Lyndor, nachdem wir uns gesetzt hatten. Ich stellte das Wasser ab und legte meine Hände auf den Tisch, spürte unter meinen Fingern den leicht klebrigen Film der Wachstuchdecke. Die Musik hatte inzwischen zu einer Ballade angesetzt, in der die Sängerin von ihrer unglücklichen Liebe zu einem Engel erzählte – ausgerechnet.

„Ich bin Roomboy", erklärte er.

„Roomboy?" Das Wort hatte ich noch nie gehört.

Nova mischte sich ein. „Lyndor ist der wohl einzige Mensch, der Zugang zu den Unterkünften der Seraphim hat", erklärte sie.

„Ich arbeite in Stock drei und vier", fügte er hinzu. „Wir machen die Zimmer der Seraphim sauber, beziehen die Betten, solche Sachen eben." Er nahm einen großen Schluck von seinem Met und ich wurde hellhörig. Er wusste also, wo die Seraphim lebten? Wo sie wohnten, wo sie schliefen, und vermutlich auch, wie man in diesen Bereich hineinkam?

Mein Herz schlug schneller. In diesem Augenblick fasste ich einen riskanten Entschluss.

Above the Winter Skies [Dark Romantasy]Where stories live. Discover now