v i e r z e h n

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Es war kalt, kälter als sonst. Mit schnellen Schritten lief ich den Weg entlang. Ich war spät dran & wenn ich noch vor dem Gong im warmen Klassenzimmer sitzen wollte, musste ich mich beeilen. Mein Atem wurde zu weißen Nebel. Meine Hände waren Eiskalt, sogar in meiner Jackentasche.

Ich zuckte zusammen, als plötzlich eine Schwalbe aus dem Gebüsch neben mir schoß.

Schwalben waren doch Zugvögel oder? Wieso ist sie dann nicht wie die anderen jetzt irgendwo in Afrika oder so? Es ist schon Mitte November. Das ist doch nicht normal.

Normal, dieses Wort hatte mittlerweile echt viel Bedeutung für mich. Schon komisch & das nur wegen einer gekritzelten Schrift auf einem Tisch.

Hätte ich mich nicht am Anfang des Schuljahres genau an diesen Platz gesetzt, hätte ich nicht in diesem Klassenzimmer Unterricht gehabt, dann hätte ich Lucas nie antworten können, ihn nie kennen gelernt, nie den Unfall gehabt & nie herausgefunden, dass er schwul ist.

Ich dachte wieder an den Vogel. Er war nicht normal & desswegen wird er den Winter wahrscheinlich auch nicht überleben. Vielleicht war es doch manchmal besser einfach nur Normal zusein.

Ich lief die Mauer entlang, auf der ich damals gestanden war, neben mir Lucas & hinuter auf den kleinen See geschaut hatten. Ich riss meinen Blick von ihr los & starrte vor mich auf den asphaltierten Weg.

Vielleicht war es besser, wenn ich einfach wieder mein normales Leben leben würde, ohne Lucas.

Eine Hand griff nach meinem Arm. Sie war eiskalt, ich spürte die Kälte sogar durch meine dicke Jacke hindurch.

Ich zuckte erschrocken zusammen.

Es war Lucas. Er warf seine Zigarette auf den Boden & tat drauf, bevor er mich ansah.

"Bitte, Anna."

Ich drehte mich wieder um & wollte weiter laufen, doch Lucas hielt mich immer noch an meiner Jacke fest.

"Anna, ich hab echt alles versucht um mit dir zureden & ich finde wirklich das ich das Recht dazu hab dir zu erklären, was wirklich passiert ist. Aber du rennst nur vor mir weg. Ich mein ich kann verstehen, dass du angepisst bist, aber weißt du was? Du solltest mir einfach mal zuhören. Bitte."

Er sah mir direkt in die Augen. Ich wusste nicht warum, aber ich nickte.

Er schaute mich erleichtert an, bevor er zur Mauer ging & sich drauf setzte, ich mich neben ihn.

"Danke."

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