f ü n f z e h n

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Ich ließ meine Beine nach unten baumelen & sie immer wieder gegen die Mauer schlagen. Unter mir der See, auf dessen Oberfläche schon kleine Eisschollen schwammen.

"Soll ich von ganz vorne anfangen."

Ich zuckte mit den Schultern: "Wäre wahrscheinlich hilfreich."

"Okay, also, an dem Tag von dem Unfall, bevor du oder Sunny oder Sarah bei mir waren, war Erik schon da. & er meinte, dass er mir was sagen will & so. & jedes mal wenn er es mir sagen wollte, hat er einfach mitten im Satz aufgehört. Mich hat das echt irgendwann total angepisst, bevor er angefangen hat zu weinen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte & was los war, bis er es sagte. Er sagte, dass er vielleicht schwul ist, aber es nicht genau weiß & dass ich ihn nicht hassen sollte & dass er Angst hatte. Seine Stimme war so leise, dass ich mich echt konzentrieren musste ihn zu hören über den Lärm der Autos, die draußen vorbei fuhren. Einen Moment lang hab ich nichts gesagt, bevor ich ihn dann umarmt hatte & meinte, dass ich ihn, doch nicht wegen sowas hassen würde & -"

Während er weiter redete hörte ich eine andere Stimme: "Die Chancen liegen bei 60%."

Die Stimme war leise & klang gedämpft, wie als würde jemand mit mir durch eine Glasscheibe reden. Ich sah mich um, es war niemand hier, außer Lucas & mir. Wahrscheinlich hatte ich mir die Stimme nur eingebildet. Ich konzentrierte mich wieder auf Lucas.

"-Wir haben noch darüber geredet. Aber dann kamen Sarah & du & Sunny & wir beschlossen wann anders weiter zu reden. Den ganzen restlichen Abend & die ganze Nacht konnte ich an nichts anderes denken, außer an Erik & dass er schwul war. & dann kamen Zweifel in mir auf. Was, wenn ich auch schwul war? Was, wenn ich keine Mädchen liebte, sonder auch Jungs? Was würden meine Eltern dazu sagen? & dann waren wir zusammen im Auto gessen & irgendwie war alles so perfekt, außer, diese Stimme ganz hinten in meinem Kopf die immer Lauter wurde & schon fast schrie: Was wenn du schwul bist? & dann-"

"-& dann wolltest du mich als Versuchsobjekt benutzen & raus finden ob du wirklich schwul bist."

Vollendete ich seinen Satz.

"Wenn du, dass do sagst klingt das richtig negativ."

"Weißt du Lucas, es war auch ziemlich negativ, du hast einfach nur mit mir gespielt."

"Was hätte ich den sonst tun sollen?", er warf seine Arme frustriert in die Luft.

"Ich weiß es nicht? Vielleicht mir sagen können dass du denkst, dass du schwul bist?"

"Anna. Mal ehrlich, denkst du, das ist so scheiß einfach jemanden zu sagen, dass man nicht normal ist, dass man schwul ist? Denkst du wirklich, dass das so einfach ist, in einer Welt voll mit rassistischen, homophoben & ignoranten Leuten? Weißt du was? Fick dich doch, egal was ich sagen werde, du wirst immer einen Weg finden, um mich für alles schuldig zu machen, aber weißt du was? In nem Streit ist niemand scheiß inschuldig."

Er stand auf & lief ohne sich noch mal nach mir umzudrehen Richtung Schule.

Ich sah ihm hinter her. Ich war wütend, wütend auf mich, weil ich wusste, dass er Recht hatte, damit, dass ich nicht ganz unschuldig an diesem ganzen Scheiß war. Ich hätte ihn nicht ignorieren dürfen & ihn nicht dafür verantwortlich machen sollen das er schwul war, er konnte nichts dafür.

Ich löste meinen Blick von Lucas Rücken & sah hinunter zum See.

Ich wollte hier weg. Einfach nur weg. Weg von Lucas. Weg von dieser Stadt. Weg von der Erde. Weg vom Universum.

Ich rutschte weiter nach vorne über den Abgrund.

Nichts hielt mich davon ab jetzt einfach nach unten zu springen.

Wenn ich Pech hatte würde ich einfach nur im Wasser landen & mir schlimmstenfalls ein paar Blaueflecken & eine Erkältung von dem kalten Wasser hohlen.

Wenn ich Glück hatte würde ich wahrscheinlich auf dem asphaltierten Weg um den See herum landen & höchst wahrscheinlich tot sein.

Aber was würde es mir bringen? Wie alles andre auf der Welt bin ich im Grunde nur Energie, die irgendwann mal zum Menschen wurde. Aber Energie verschwindet nicht einfach so, Energie kann sich nur Umwandeln, was bedeuten würde, ich wäre trotzdem noch irgendwo im Universum, nur in einer anderen Form. Mann konnte dem Universum nicht entfliehen auch nicht mit dem Tod.

Ich rutschte wieder zurück & lief langsam Richtung Hölle auch genannt Schule, sich zu beeilen Lohnte sich nicht mehr, ich war sowie so schon viel zuspät.

extraordinary.Where stories live. Discover now