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#6

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Bastian kam etwa eine halbe Stunde später. Zu einem Abend vor der Playstation konnte er einfach nie Nein sagen.

"Ich hoffe, das Spiel ist schon startbereit?", fragte er mich grinsend, während ich ihn direkt in mein Zimmer schleppte.

"Klar, alles fertig, um dich gnadenlos abzuzocken", erwiderte ich und fing mir einen kleinen Schubser von ihm ein. Er hatte die meiste Zeit tatsächlich keine Chance gegen mich. Generell war ich in vielen Dingen unschlagbar.

Und eindeutig zu sehr von mir selber überzeugt.

Ich reichte ihm ein Bier und dann schmissen wir uns in die Fatboys vor meinem Fernseher. Die Controller lagen schon startbereit und wir suchten uns beide unsere Mannschaften aus. Natürlich die gleichen wie immer.

Ich wusste nicht, wie lange wir dort saßen und uns nichts schenkten. Ich verbannte alle Gedanken an Blair in den letzten Winkel meines Gehirns und konzentrierte mich voll und ganz darauf, Bastian auszutricksen und den Ball in seinem Tor zu versenken.

"Mann, doch nicht zu DEM Spieler!", regte Bastian sich auf, als ein Pass daneben ging. Als er kurz darauf eine gelbe Karte bekam, schmiss er den Controller zur Seite und warf aufgebend die Hände in die Luft. Ich grinste in mich hinein. Wenn er schon so sauer war, würde er bestimmt viele kleine Fehler machen.

"Das kann doch nicht sein, der Schiedsrichter ist ein Vollpfosten...", murmelte er mürrisch und kurz darauf schoss ich erneut ein Tor.

"Das ist viel zu einfach", stichelte ich und erntete von meinem besten Kumpel einen giftigen Blick. Statt einer Antwort schnappte er sich blitzschnell wieder den Controller und hatte, bevor ich überhaupt blinzeln konnte, ein Tor geschossen.

Siegessicher sah er mich an, ein breites Grinsen im Gesicht. "Zu einfach also, hm?" Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Wenn er sich verarscht fühlte, dann zogen seine Fähigkeiten plötzlich an. Wenigstens hatte ich jetzt einen ordentlichen Gegenspieler.

"Das war ein Gnadentor, damit du nicht völlig verzweifelst. Aber es wird auch dein letztes in diesem Spiel bleiben", prophezeite ich.

"Davon träumst du wohl." Gut, so leicht würde Bastian sich also nicht mehr geschlagen geben.

Bis zum nächsten Tor dauerte es tatsächlich länger, weil er mir erbitterten Widerstand leistete, aber dann sah ich doch eine Lücke in der Abwehr und schon landete der Ball wieder im Tor.

"Ohhhh, das tut mir jetzt aber leid...", ärgerte ich ihn weiter. So sehr Bastian mich auch liebte, mir war klar, dass er mich in diesem Augenblick abgrundtief hasste.

Wenige Minuten später war das Spiel vorbei und ich hatte – natürlich – gewonnen. Ich lehnte mich zufrieden zurück und nahm einen Schluck von meinem Bier.

"Du wirst schon sehen. Irgendwann werde ich dich so dermaßen überraschen, wenn ich dich mal so richtig abzocke", meinte Bastian, während er auch einen Schluck nahm. Ich grinste. Das sagte er so ziemlich nach jeder Runde, die er verloren hatte.

Kurz war es still, bis auf die Hintergrundmusik, die noch vom Fernseher ausging, und ich genoss diesen Moment der einträchtigen Stille mit meinem besten Kumpel.

"Du und Blair drückt also gemeinsam wieder die Schulbank." So viel zur Stille und dazu, dass ich Blair gerne mal für eine Weile aus meinem Hirn verbannen wollte.

"Sieht ganz so aus, ja." Ich versuchte es nebensächlich klingen zu lassen und hoffte, dass Bastian daraufhin nichts mehr sagen würde. Eigentlich wunderte es mich sowieso ein wenig, dass er bisher noch nie etwas gesagt hatte. Noch nie gefragt hatte, warum Blair und ich auf einmal nichts mehr unternahmen und wir uns sogar aus dem Weg gingen.

Ich war mir auch nicht sicher, wie er auf die Nachricht reagiert hätte, falls aus Blair und mir tatsächlich etwas geworden wäre. Aber gut, diese Frage stellte sich ja sowieso nicht mehr.

"Dann kannst du dir ja von ihr ein bisschen helfen lassen, vielleicht bestehst du das Jahr dann", stichelte Bastian und grinste mich schief an.

"Wieso bin ich nochmal mit dir befreundet?", fragte ich ihn ernst, konnte aber nicht verbergen, dass ich genau wegen solchen Aussagen mit ihm befreundet war.

"Aber hey, du passt auf sie auf, oder?" Bastian Stimme klang tiefer als sonst.

"Aufpassen?"

"Ja, dass sie nicht blöd angemacht wird oder so." Er zuckte mit den Schultern. Kurz überlegte ich, ihm von Noah und seinem Interesse zu erzählen, aber ich ließ es bleiben. Stattdessen zog ich Bastian ein wenig auf.

"Meinst du nicht, dass es bald an der Zeit ist, Blair ein wenig Freiraum zu geben? Wir sind neunzehn, also keine Kinder mehr. Deine Schwester kann doch wohl auf sich selber aufpassen."

"Sie wird immer meine Schwester bleiben. Würdest du dich nicht um deine Schwester sorgen? Stell dir vor, Blair wäre deine Schwester." Oh nein, das wollte ich mir ganz sicher nicht vorstellen. "Würdest du nicht auch aufpassen, dass die Typen die Finger von ihr lassen?" Erwartungsvoll sah Bastian mich an und ich seufzte.

"Ich werde ein Auge auf sie haben", versprach ich schließlich und wusste, dass das ein Fehler war. "Aber ich werde ihr definitiv nicht sagen, mit wem sie sich abgeben soll oder nicht. Das steht mir nicht zu." Das war meine felsenfeste Überzeugung. Ich würde still beobachten, aber ich würde ihr auf keinen Fall irgendwelche Regeln oder Verbote aufzählen.

Bastian seufzte. "Okay, schon gut. Gib einfach Bescheid, wenn dir was Sorgen bereiten sollte."

"Hör mal, wir sind drei Wochen in der Berufsschule. Wie viel wird schon schief laufen?" Was dachte er? Dass Blair nach den Wochen plötzlich ein Junkie war? In eine Rockerbande eingeschleust? Schwanger?

"Und jetzt mach dir keine Gedanken darüber, sondern eher, wie du mir zur Abwechslung mal ein wenig Gegenwehr leisten kannst!" Ich nahm wieder meinen Controller zur Hand und wartete darauf, dass Bastian es mir gleich tat.

***

Eine ganze Weile später schloss ich die Haustür, nachdem Bastian gegangen war. Meine Mutter war schon im Bett und im Haus war es auf einmal totenstill. Leise ging ich wieder in mein Zimmer, verstaute die Controller und schmiss mich dann auf mein Bett.

Kurz flog mein Blick zu den Schulsachen, die in einer Ecke standen. Aber lernen würde ich sowieso nicht, schon gar nicht, da wir heute noch kaum Unterricht gemacht hatten.

Außerdem hatte ich gerade andere Probleme als die Schule.

Auf Blair aufpassen war so ungefähr das Letzte, was ich wollte. Abgesehen davon war ich der Meinung, dass sie ganz gut auf sich selbst aufpassen konnte. Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder. Aber gut. Ein bisschen verstand ich ihn ja auch. Wenn Blair...

Nein, den Gedanken würde ich definitiv nicht weiter denken.

Wenn ich mich auf die Freundesschiene konzentrieren würde, dann könnte ich die nächsten drei Wochen vielleicht möglichst unbeschadet überstehen. Ich hatte keine Ahnung, ob ich das hinbekommen würde, aber ich musste es zumindest versuchen. Alles andere würde in einer Katastrophe enden, da Blair mich anscheinend nicht in Ruhe in meiner Ecke schmollen lassen wollte.

Allein darüber nachzudenken nervte mich. Es nervte mich, dass ein Mädchen so viel Platz in meinen Gedanken einnehmen konnte. Und es nervte mich, dass ich mich selbst kaum unter Kontrolle hatte, wenn sie dabei war.

Dabei wäre es so schön, wenn es wieder so werden würde, wie es einmal war. Aber war das überhaupt möglich?

Wenn, dann nur, wenn ich meine Gefühle für sie in eine kleine Schachtel packte, diese verschloss und den Schlüssel dazu wegwarf. Am besten noch die Schachtel mit Benzin überschüttete und abfackelte. Und den Föhn anmachte und die Asche verstreute.

Ärgerlich schüttelte ich meinen Kopf, schnappte mir dann meine Kopfhörer und stellte leise Musik an.


From Friendzone With Love (Wattys2016-Gewinner)Where stories live. Discover now