EINZUG

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NATHANS POV


Warst du jemals glücklich? Sei es in der Familie, mit Freunden oder mit einer Freundin? Oder... einem Freund? -gesendet um 03:22 Uhr [fehlgeschlagen]


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Schweigend liefen wir zu meinem Auto. Während ich alles in meinem Kofferraum verstaute, machte es sich Paul auf dem Beifahrersitz so gut es ging bequem. Die Fahrt würde bestimmt ein wenig unangenehm werden, da er nach der Sache von gestern wahrscheinlich immer noch sauer auf mich war. Würde jemand Fremdes mich über meine Familie ausfragen, würde ich dieselbe Reaktion zeigen.

Wie vorausgesagt, fuhren wir in einer Stille zu meiner neuen Wohnung. Dort angekommen, saßen wir unbeholfen einfach nur da und warteten auf eine Reaktion des anderen. Die Sekunden vergingen und der Drang, irgendetwas zu sagen, stieg.

„So, da wären wir. Ich gehe schon mal die Tasche holen und hier ist der Schlüssel. Meine Wohnung liegt im dritten Stock, die erste Tür links", meinte ich zögerlich und ehrlich gesagt auch ein wenig eingeschüchtert.

Mit einem Blick auf seinem Bein fragte ich nervös: „Du kannst doch Treppen laufen, oder? Dieser Wohnungskomplex hat keine Aufzüge und ich müsste dich notfalls mehr oder weniger stützen". Zum Ende hin wurde ich immer leiser bevor ich schließlich verstummte.

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und fragte mich, wie ich einen so muskulösen und großen Mann die Treppen hinaufhelfen sollte. Natürlich habe ich anstatt zwei Krücken natürlich nur eine mitgenommen und das würde sich nun als ein etwas großes Problem erweisen. Gott, war ich dumm. Von wegen „zukünftiger Chefarzt".

„Werden wir schon sehen", murmelte er leise vor sich hin und sah angestrengt auf sein Bein. Erfreut über das neustehende Problem war er offensichtlich nicht. Das war wohl das Ende vom Gespräch und somit stiegen wir beide aus. Er ging auf die Wohnanlage zu, während ich ihm mit seinem ganzen Gepäck hinterhereilte. Im Treppenhaus angekommen, blickte ich fragend zu Paul und sah ihm dabei zu, wie er schwer schluckte und unmotiviert nach oben blickte.

Schließlich wagte er den ersten Schritt einer Stufe und versuchte seinen schmerzvollen Gesichtsausdruck zu überspielen. Sofort war ich an seiner Seite und hielt ihn aufrecht, bevor er sein Gleichgewicht verlor. Er lehnte sich an meine Schulter und geschockt starrten wir uns an, seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Haut fühlte sich kalt an meiner an und ich bemerkte, wie er direkt ein Kribbeln an der jeweiligen Stelle verursachte. Sei es von der überraschenden Kälte oder dem Körperkontakt. Erst jetzt realisierte ich, dass er nur ein T-Shirt anhatte, obwohl der Winter sich langsam schon anbahnte. Ganz vielleicht hätte ich ihm noch einen Pullover mitnehmen sollen. Irgendwie lief heute wirklich alles schief.

Zurück im hier und jetzt, verlor ich mich erneut in seine Augen. Dieses Braun fanden viele Menschen langweilig, aber ich fand, dass jedes Augenpaar eine gewisse Persönlichkeit ausstrahlte. Also es würde kein Unterschied machen, wenn man smaragdgrüne Augen hätte, Hauptsache man erkannte die Gefühle und die Gedanken dahinter.

Und sein Braun war keineswegs uninteressant: es verzierten komplexe Muster dieses ‚normale' Braun. Man könnte stundenlang diese Musterung anschauen und es würde einem nicht langweilig werden. Seine Wimpern waren lang und umformten seine Augen wie eine dichte dunkle Aura. Alle Frauen beneideten diese Wimpernlänge, diesen Schwung und die tiefe Schwärze. Jedoch störte mich eins an der ganzen Sache; es war unmöglich irgendetwas aus seinen Augen herauszulesen.

Er musterte mich nun das erste Mal, aber sein Blick blieb ausdruckslos. Doch an mir würde er niemals etwas Besonderes finden. Ich war normal. Wahrscheinlich war ich so normal, dass ich schon fast wieder besonders war. Die Betonung lag auf fast. Mir wurde schon oft genug gesagt, wie langweilig und komisch ich doch wäre.

Nathan |  ✓Where stories live. Discover now