UMARMUNGEN

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NATHANS POV


Kannst du mir erklären, warum du mich verlassen hast? Und genau dann, als ich dich am meisten gebraucht habe. Ich habe auf deine Unterstützung gehofft doch du warst nicht da. Du hast mich verlassen, du hast uns verlassen und dabei bin natürlich ich daran schuld. Ich wurde wie Dreck behandelt nur weil du... Ich werde dir niemals vergeben, ich hoffe du weißt es. Dennoch... vermisse ich dich so sehr, Jon. -gesendet um 12:21 Uhr [fehlgeschlagen]


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Auf dem Rückweg spürte ich die unangenehme Stimmung zwischen mir und Paul. Ich wusste, dass ich ihm noch eine Erklärung schuldete und die wollte ich ihm geben. Doch dies war leichter gesagt als getan, vor allem wusste ich nicht wo ich anfangen sollte. Einerseits war ich ihm dankbar, dass er mich nicht mit Fragen durchlöcherte, doch andererseits... ach keine Ahnung.

Ich kam mir nicht wichtig genug vor, meine Geschichte zu erzählen. Aber vielleicht interessierte es ihn doch und er wollte einfach nicht unhöflich sein... Was dachte ich da, als ob er sich um mich kümmern würde. Paul, der der nie seine Emotionen zeigte und sich verschloss, sobald man ihm zu nahekam. Jedoch fühlte ich mich schuldig, er verdiente es zu wissen wovor er mich bewahrt hatte.

„Wir waren zwei bis drei Jahre zusammen [...]", murmelte ich in einem Atemzug aus dem Nichts. Jedoch fühlte sich diese Aussage irgendwie falsch an.

„Okay... vielleicht war es für mich bis zum Ende schon noch Liebe, aber für sie höchstwahrscheinlich nicht. Sie hat mich betrogen, nicht andersherum. Aber sie hat wahrscheinlich gute Gründe es getan zu haben. Vielleicht war ich ihr einfach zu beschäftigt oder bin über die Jahre hinweg langweilig geworden", fügte ich noch leise hinzu und sah auf den feuchten Asphalt vor mir. Mir war es schon immer unangenehm meine Gefühle zu zeigen.


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Kurz vor meinem Wohnkomplex, hielt ich das Auto an und parkte ein. Ich half ihm heraus und schließlich kam es dazu, dass wir stillschweigend nebeneinander herliefen und die kühle Novemberluft einatmeten. Mittlerweile war es schon später Nachmittag, aber die Sonne war schon am Untergehen.

Plötzlich räusperte sich Paul neben mir: „Ich verstehe dich. Auch deine Reaktion verstehe ich. Nur verstehe ich nicht, wieso du mit einer so homophoben Person zusammen warst."

Verwirrt hob ich meinen Kopf und zog meine linke Augenbraue hoch. „Homophob?", fragte ich zögernd nach, worauf er nur nickte.

„Sie hat gesagt, dass wir uns zum Teufel scheren sollen und dass Menschen wie wir nicht hierhergehörten." Sein Gesicht blieb neutral doch Wut loderte in seinen Augen auf.

Oh, dann wurde ich anscheinend doch kurz ausgeknockt. Doch ehrlich gesagt, verstand ich die Welt nicht mehr. Ich bezeichnete mich schon immer als bisexuell und Hayley wusste es.

„Ich verstehe das alles einfach nicht mehr. Hayley und ich haben uns in einem Club kennengelernt, der eher an Homosexuelle orientiert war. Selbst ihre beste Freundin ist vom anderen Ufer und deswegen war sie dort als ihre Begleiterin", murmelte ich.

Ich sah hinauf Richtung Himmel und ließ den Regen sanft auf mein Gesicht prasseln. Mit einem leichten Lächeln genoss ich die Feuchtigkeit und den Rhythmus hinter den Tropfen. Darunter vermischten sich auch ein paar warme Tränen mit dem kalten Regen. Wie viele Menschen wohl ihre Tränen hinter den Regentropfen versteckt haben.

Noch nie habe ich mich so miserabel gefühlt wie jetzt. Es ist nicht so, dass ich sie vermisste, nein das tat ich nicht wirklich. Alleine der Gedanke, dass ich keine Menschen um mich herumhatte, die sich um mich sorgten wie... Paul und das, obwohl wir unsere kleinen Probleme miteinander hatten.

Keine Familie, kaum Freunde, nur einen Fremden. Wie tief war ich bitteschön gesunken? Anscheinend war mir nicht mehr zu helfen.

Die plötzliche Wärme um meinen Torso ließ mich kurz zusammenzucken. Ich realisierte erst einmal nichts, bis ich mit einem Blick zur Seite bemerkte, dass Paul seinen Arm um mich gelegt hat. Er selbst sah weiterhin auf die Straße und tat so, als wäre es etwas ganz Normales, etwas Selbstverständliches. Entschlossen blieb ich stehen und dadurch blieb auch automatisch Paul stehen.

Fragend sah er mich mit seinen braunen Augen an und das ließ mich, ohne nachzudenken, meine Arme um ihn legen. Normalerweise war ich nie wirklich auf spontanen Körperkontakt aus, doch ich war emotional am Ende.

Ich ließ meine Tränen freien Lauf und verstärkte die Umarmung, wohlbedacht seine Wunden zu schonen. Seine Körperwärme umhüllte mich und seine Arme an seinen Seiten ließen mich im Glauben, dass er geschockt war und nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Schließlich habe ich eine halbherzige Umarmung in eine Lebensrettende verwandelt.

Verlegen wollte ich mich von ihm lösen, zu groß war die Angst, ihn wieder sauer zu machen, als er mich nach kurzem Zögern doch noch zurückumarmte. Meine Augen wurden groß und ich konnte es kaum glauben.

Paul umarmte mich. Ich legte meinen Kopf vorsichtig auf seine Schulter und sog so unauffällig wie möglich seinen entspannenden Duft ein. Er merkte wie ich unkontrollierter atmete und drückte meinen Körper ein wenig an sich.

„Danke, Paul", hauchte ich mit einer zitternden Stimme. Ich konnte nicht in Worte fassen wie viel mir diese kleine Geste bedeutete. Vielleicht täuschte ich mich in ihn, vielleicht war er mehr als nur okay. Ich hoffte, dass er es sich selber nicht schwer machen würde und wenigstens versuchen würde, mit mir klarzukommen.

Vielleicht bewegten wir uns endlich in die richtige Richtung. In Richtung Freundschaft und gegenseitiges Vertrauen. Ich schloss meine Augen und genoss den Moment der ruhigen und idyllischen Atmosphäre auf dem Bürgersteig.

„Weine nicht wegen ihr. Sie hat es nicht verdient." 




Sehen wir hier etwa schon ein relationship-development? :o

- überarbeitet am 30.09.2021

Nathan |  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt