BITTE

3.7K 232 3
                                    

NATHANS POV


Ich kann nicht mehr, bitte hilf mir. Zwar glaube ich, dass du mir freiwillig nicht helfen würdest, aber ich brauche im Moment einfach jemanden. Egal wen, Hauptsache ich denke nicht mehr an meine Probleme. Und du konntest mich immer gut ablenken. -gesendet um 21:21 Uhr [fehlgeschlagen]


###


Ich brach zusammen. Mental konnte ich es einfach nach all diesen Jahren nicht mehr aushalten, es wurde mir einfach zu viel. Tränen entwichen meinen Augenwinkeln und liefen meiner Wange entlang. Mein Körper fing automatisch an, abzuschalten. Ich zitterte am ganzen Leib und merkte erst zu spät wie meine Beine nachgaben.

Kurz bevor mein Gesicht mit dem Fußboden aufkam, spürte ich, wie mich zwei kräftige Arme unter meinen Armen stützten. Ehe ich mich versah, lehnte ich mich mit meinem ganzen Körper auf Paul und mir wurde schwarz vor Augen.


###


Erneut weckten mich Sonnenstrahlen, die mir brutal in mein Gesicht schienen. Nur mit Mühe schaffte ich es, meine Augen zu öffnen, denn meine Wimpern waren verklebt und mein gesamtes Gesicht war wohl angeschwollen. Meine milchige Sicht wurde langsam klarer und schwerfällig blickte ich um mich herum. Ich befand mich auf meinem Bett und ich schickte ein leises „Danke" an Paul, der mich wohl hierhergetragen hat. Mühsam setzte ich mich auf und legte mir meine Kissen hinter meinem Rücken zurecht.

Es ist wohl keine gute Idee gewesen, mehrere Stunden in der Winterkälte verbracht zu haben. Mein Hals kratzte und ich fühlte mich leicht fiebrig. Ich hielt mir meine warme Stirn und wurde von einem leisen Klopfen an der Zimmertür aus meinem einsamen Leid gezogen.

„Ja", flüsterte ich mit einer heiseren Stimme und hoffte, dass mich Paul hören konnte.

Paul drückte mit seinem Ellbogen die Türklinke hinunter und überraschenderweise trug er ein Tablett in das Zimmer hinein. Sanft drückte er die Tür wieder zu und stellte das Tablett mit warmem Frühstück auf den Nachttisch neben mir. Unbeholfen bedankte ich mich und nahm mir das Tablett auf den Schoß: Orangensaft, einfache Pfannkuchen und geschnittene Äpfel hatte er mir zubereitet. Ich musste mir ein leichtes Lächeln unterdrücken: wahrscheinlich war dies das Einzige, was er ohne Probleme, zubereiten konnte.

Ich bemerkte nicht, wie mich Paul abscannte und meinen miserablen Zustand einschätzte.

„Deine Augen sind verklebt", murmelte er eher zu sich selbst als zu mir und verließ daraufhin das Zimmer.

Es war erschreckend, wie schnell sich das Verhalten uns gegenüber ändern kann und wie wir nie miteinander kommunizieren konnten. Im Moment war er so unglaublich lieb und zuvorkommend, doch wie würde es in ein paar Stunden oder Minuten aussehen? Während ich in meinen Gedanken versank, hörte ich, wie Paul Schränke im Badezimmer aufmachte.

Schließlich kam er mit einem angefeuchteten Tuch heraus und ließ sich neben mich auf das Bett nieder. Kurz blieb er reglos sitzen und starrte hilflos auf seine Hände bis er tief einatmete. Zögernd wandte er sich wieder zu mir, griff wortlos nach meinem Kinn und tupfte vorsichtig auf meinen angeschwollenen Augen und säuberte meine Wimpern und Augenwinkel. Dabei war er so sehr auf seine Arbeit fixiert, dass ich mich nicht gegen seine plötzliche Nähe beschwerte.

Seine sonst so makellose Haut war überschattet mit Bartstoppeln, er hatte tiefe und dunkle Augenringe und sah allgemein relativ kraftlos aus. Selbst Pauls braune Augen haben jegliche Art von Schimmer verloren.

Er tat mir leid, obwohl ich eigentlich das Opfer in dieser Situation war. Jedoch waren wir nicht zusammen, sodass ich eigentlich keinerlei Recht hatte, so zu reagieren und ich konnte nichts daran ändern. Vielleicht gab es irgendeinen Weg, oder irgendeine Möglichkeit meine Gefühle abzustellen. Dies würde uns beiden am besten weiterhelfen und wir könnten wieder normal miteinander umgehen. Ich wollte so sehr alles abstellen, aber wenn ich Pauls unordentliches und trauriges Auftreten sah... es tat mir im Herzen weh. Auch wollte ich nicht wahrhaben, dass ich wohl der Übeltäter war und ihn so fühlen lassen habe. So wie er Macht über mich halten konnte, hielt ich scheinbar auch eine so große Kraft über ihn und seine Emotionen.

Ich schluckte schwer. Wie ich es vermisste, ein sorgloses Leben zu führen. Warte mal, ich hatte noch nie ein glückliches und sorgloses Leben. Vielleicht war es manchmal eine einfache Lösung, alles zu beenden.

„Danke", flüsterte ich als er von mir abließ.

Er nickte nur und wollte aufstehen, doch bevor er sich erheben konnte, griff ich nach seinem Handgelenk und hielt ihn auf. Ich haderte mit mir selbst, keine verständlichen Sätze bildeten sich in meinem Kopf. Panisch bemerkte ich, wie Paul mich verwirrt anschaut und abwechselnd zwischen mein Gesicht und meine Hand blickte.

Verdammt, was machte ich hier nur? Schließlich brachte ich ohne nachzudenken die zwei Wörter „Bitte bleibe" hervor und hätte sofort im Boden versinken sollen. Ich war nicht dazu berechtigt, so etwas zu fordern, vor allem nachdem ich mir vorgenommen habe, meine Gefühle zu verwerfen.

Ich wandte meinen Blick von ihm weg und peinlich berührt schaute ich mein Bettlacken an. Jedoch war meine Hand noch immer fest um sein Handgelenk umschlungen und Paul verharrte in seiner Position. Nach kurzem Überlegen setzte er sich neben mich und lehnte sich auch gegen den Bettrahmen. Erleichtert atmete ich seinen betörenden Duft ein und zuckte kurz zusammen, als er ein Arm um meinen Torso legte.

Er war da. Endlich.

So gut es ging, drückte ich mich noch näher an ihn. Paul murmelte etwas Unverständliches und legte daraufhin sein Kinn auf meinen Kopf. Hoffentlich waren es keine genervten Worte gegen mich.

„Tut mir leid wegen gestern. Ich hatte kein Recht so zu reagieren und wegzulaufen. Das was zwischen uns ist, ist keine... gewöhnliche Beziehung. Wir haben noch nie direkt über unsere Gefühle geredet, aber... Ich wollte mich nur noch einmal entschuldigen. Und vielleicht sollten wir ab jetzt eine rein professionelle Beziehung halten", sagte ich aus dem Nichts.

Überdachte ich seit neuestem meine Worte? Nein, anscheinend machte mein Unterbewusstsein alles von selber. Und ehe ich mich versah, verließ mich sein warmer Körper und ich hörte kurz darauf die Tür schließen.

Was passierte nur zwischen uns? Ich vergrub meinen Kopf in meine Hände und kämpfte gegen die Traurigkeit an. 




W I C H T I G ! Bei Suizidgedanken und starker Depression, wendet euch bitte an jemanden. Ihr seid nicht alleine und es wird immer Menschen geben die euch lieben und schätzen, vergesst das nicht! Hierfür gibt es Telefonseelsorgen und andere diverse Hilfen. 0800/111 0 111

- überarbeitet am 30.09.2021

Nathan |  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt